Handelskammer will wieder “Feuer und Flamme“ sein und die Sommerspiele 2028 nach Hamburg holen. Eine riesige Chance für die Wirtschaft - und für Wilhelmsburg, die Veddel und Rothenburgsort
Hamburg. Es ist gerade drei Jahre her, da hatte Hamburgs damaliger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) die Olympia-Ambitionen der Stadt per "Ordre de Mufti" vorerst für beendet erklärt. Die Aussage hatte er in einem Nebensatz eines Radiointerviews versteckt, und erst, als ihm einen Tag später die Wirkung seiner Bemerkung bewusst wurde, relativiert. Es mache doch realistischerweise keinen Sinn, sagte von Beust, einem Phantom hinterherzujagen, da doch jedem klar sein müsse, dass Europa nach den Sommerspielen 2012 in London nicht vor 2024 oder erst 2028 mit einer erneuten Ausrichtung der Spiele rechnen dürfe. Wenn der deutsche Sport dann wieder Interesse zeige, stehe Hamburg selbstverständlich für eine Kandidatur, wenn sie denn national gewollt sei, zur Verfügung.
Der Handelskammer - Interessenvertretung der lokalen Wirtschaft mit rund 160 000 Unternehmen mit 800 000 Beschäftigten - waren Sätze wie diese immer zu vage. Der Hamburger Sport und die Kräfte, die ihn politisch und ökonomisch tragen, brauche eine Orientierung - nichts Nebliges, sondern Konkretes, hieß es. Diese Weichenstellung gibt es nun mit dem "Standpunkt Sport", den die Handelskammer nach zwei Jahren Vorbereitung gestern Mittag der Öffentlichkeit präsentierte. Unter der Überschrift "Auf Leistung setzen - Der Sport als Wirtschaftsfaktor Hamburgs" fordert die Kammer den Senat auf, eine erneute Olympiabewerbung für die Dekade zwischen 2020 und 2030 vorzubereiten. Das Motto des leidenschaftlichen Plädoyers für Olympia: "Think big!" Nur wer sich große Ziele setze, erreiche auch die kleinen, sagte Präses Frank Horch. Schon der Weg als Ziel lohne sich für die Stadt. Und Professor Hans-Jörg Schmidt-Trenz, der Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, ergänzte: "Um die herausragende Bedeutung des Sports für Hamburg weiter zu steigern, brauchen wir klare Vorgaben für alle Beteiligten. Dem Senat waren sie nach dem Aus für unsere Olympiabewerbung für das Jahr 2012 abhanden gekommen." Das habe der gesamten Hamburger Sportpolitik geschadet und der Sportstadt in ihrem Ansehen wie ihrer Wahrnehmung. Der Sport sei in der Agenda der wichtigen Themen in die Abstiegszone gerutscht. "Wir benötigen dringend einen Stimmungsumschwung, auch mit Hinblick auf die Bürgerschaftswahlen 2012." Die langfristige Ausrichtung sollte deshalb die erfolgreiche Bewerbung um die nächsten nach Europa vergebenen Sommerspiele sein. Für die müssten die Vorbereitungen jetzt beginnen, selbst wenn es vielleicht erst in zwölf bis 15 Jahren ernst werde. Schmidt-Trenz: "Die Beispiele anderer Olympiastädte zeigen eindrucksvoll die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen auf die gesamte Region. Hamburg, mit mehr als 1,7 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, bringt alle Voraussetzungen mit, um in diesem globalen Wettstreit bestehen zu können. Wir müssen uns ihm nur stellen."
Von Olympia profitieren allerdings höchstens jene Städte, die noch nicht im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. Barcelona, das 1992 Sommerspiele veranstaltete, gilt dafür als bestes Beispiel. Die Ausrichtung Olympischer Spiele amortisiert sich in der Zukunft dann, wenn in den folgenden zehn bis 20 Jahren eine deutlich höhere Anzahl an Touristen die Stadt besucht und dort Geld für Übernachtungen, Essen oder Einkaufen ausgibt. Langzeitstudien fehlen jedoch. Dieser mögliche Effekt ist für Metropolen wie Berlin - Hamburgs größtem nationalen Mitstreiter - sowie London, Paris, Rom oder New York von vornherein zu vernachlässigen, weil diese weltweit bekannt sind und entsprechend bereist werden. Für diese Städte bleibt Olympia - außer einem Imagegewinn - vor allem ein Kostenfaktor, ein Milliardenspiel mit zum Teil ungedeckten Schecks. Makroökonomisch macht es für Deutschland weit mehr Sinn, sich mit Hamburg als mit dem hoch verschuldeten Berlin um Sommerspiele zu bewerben.
Wie schwer es ist, allein die nationalen Gremien von der Bewerbung zu überzeugen, diese schmerzliche Erfahrung hatte Hamburg vor acht Jahren machen müssen (siehe Text unten). Die Stadt hat wenig daraus gelernt, die Handelskammer hat daher im Rahmen ihres Standpunktes einen Masterplan aufgelegt, der Hamburg für Olympia "fit machen" soll. Schwerpunkte sind dabei der Leistungssport und Großveranstaltungen, aber auch die Verbesserung der Infrastruktur des Breitensports, der Basis der allgemeinen Sportbegeisterung in dieser Stadt. Bei der Olympiabewerbung 2002 hatten 90 Prozent der Hamburger die Kandidatur unterstützt.
Hamburg, rät die Handelskammer, solle sich in den nächsten zehn Jahren vor allem um die Ausrichtung nationaler Titelkämpfe und internationaler Nachwuchsmeisterschaften bemühen. Damit könne sich die Stadt einen guten Namen machen, und es komme sie weit preiswerter, als wenn sie um Spitzenevents wie eine Schwimmweltmeisterschaft mitbiete. "Gerade das Ergebnis bei der Bewerbung um die Schwimm-WM 2013 hat verdeutlicht, dass die Vergabe nicht nach sportfachlichen Kriterien erfolgt", schreiben die Autoren des "Standpunktes Sport". Hamburg sei allseits für die hohe Qualität seines Konzeptes gelobt worden, den Zuschlag erhielt mit großer Mehrheit Dubai. Dass die Scheichs die WM später zurückgeben mussten, weil sie ihnen zu teuer wurde, krönte den Irrsinn.
Hamburg, empfiehlt die Handelskammer, solle sich auf seine Traditionsveranstaltungen besinnen und diese notfalls "durch Bereitstellung einer Fehlbetragsfinanzierung aus öffentlichen Mitteln bis zu einer Höhe von zehn Prozent des Veranstaltungsbudgets" unterstützen. Das widerspricht den Plänen des Senats. Der will den Zuschuss für das Tennisturnier am Rothenbaum (200 000 Euro) und für das Galopp-Derby in Horn (400 000 Euro) im nächsten Jahr streichen. Handelskammer-Syndikus Reinhard Wolf hält das für eine Fehlrechnung: "Durch das Tennisturnier hatte die Stadt zuletzt zusätzliche Steuereinnahmen von rund 350 000 Euro. Fällt die Veranstaltung aus, verschenkt Hamburg im Endeffekt bis zu 150 000 Euro."
Ein weiterer Ansatz der Kammer: Zu erfolgreichen Großveranstaltungen wie dem Marathon, dem Triathlon und den Cyclassics, einem Weltcup-Radrennen, sollen neue im viel beachteten "Hamburger Format" hinzukommen. Das steht für eine Mischung aus Breiten-, Spitzen- und Schulsport und für ungewöhnliche Veranstaltungsorte. Das kann die Innenstadt sein, der Rathausmarkt oder das Tennisstadion, wo 2006 für den Schwimmwettbewerb Aquatics ein 25-Meter-Pool auf dem Centre-Court installiert wurde. Für die Hamburg Athletics, eine Leichtathletik-Veranstaltung möglicherweise auf dem Jungfernstieg mit Weltklasse-Sprintern wie Olympiasieger Usain Bolt oder -Weitspringern wie dem Hamburger Halleneuropameister Sebastian Bayer liegen bereits Pläne vor wie für die Idee, an mobilen Kletterwänden am Hauptbahnhof "Hamburg alpin" zu veranstalten. Zudem wünscht sich die Handelskammer die Öffnung der Alster für internationale Segelwettbewerbe. All diese spektakulären Ereignisse wären Meilensteine auf dem Weg zu Olympia.
Das Jahr 2028 mag noch weit entfernt erscheinen - doch für die Stadtentwicklung Hamburgs könnte eine Wiederauflage der Olympia-Bewerbung einen erneuten Schub bringen. So wie die Bemühungen Anfang des Jahrtausends, als es letztlich erfolglos darum ging, Austragungsort 2012 zu sein. "Das hat damals den Sprung über die Elbe erst richtig beflügelt", sagt der Hamburger Stadtplanungs-Professor Dieter Läpple. Das Konzept von damals einfach wieder aufzunehmen, dürfte aber nicht mehr funktionieren: Im Bereich der HafenCity sollte seinerzeit eine Art Sportlerdorf gebaut und später zu günstigen Wohnungen umgenutzt werden. Mietwohnungen im bezahlbaren Bereich wären im Augenblick zwar ideal, der angepeilte Olympiatermin 2028 liegt jedoch in zu weiter Ferne. Längst wird der Masterplan für die östliche HafenCity fortgeschrieben. Und eine Bebauung dort mit dem dringend benötigten Wohnraum müsste, da sind sich wohl alle Fachleute einig, schon weit vorher erfolgen.
Anders ist es mit den seinerzeit ins Spiel gebrachten Flächen im Hafen: Da ist eine riesige Schuppen- und Logistikanlage, die direkt an den Norderelbbrücken liegt. Ursprünglich sollte dieses fast 200 000 Quadratmeter große Areal mit Namen "Überseezentrum" 2012 für eine neue städtebauliche Nutzung freiwerden. Eben für die Sommerspiele in Hamburg.
Jetzt wird davon ausgegangen, dass dort bis 2025 eine Hafennutzung stattfindet. So jedenfalls steht es im aktuellen und noch nicht veröffentlichten Entwurf des neuen Hafenentwicklungsplans, der dem Abendblatt vorliegt. Die Hafenplaner in der Wirtschaftsbehörde glauben selbst nicht mehr an eine Hafenzukunft über dieses Jahr hinaus: "Sollten Verlagerungen hafenwirtschaftlicher Nutzungen unausweichlich sein, müssten sie an anderer Stelle kompensiert werden", heißt es dort lapidar. Und das klingt nicht gerade danach, dass dort für den Hafen um jeden Quadratzentimeter gekämpft werden soll.
Tatsächlich böte sich diese Fläche an der Elbe auch für eine große Sportfläche sehr gut an. Und sie wäre dafür auch noch frei, da die vor einigen Monaten heftig umstrittene Verlagerung der Uni von Eimsbüttel wieder vom Tisch ist.
Doch wo könnten ein Sportlerdorf und ähnliche Einrichtungen gebaut werden? Da wird es schon pikanter: Stadtplaner wie Dieter Läpple sehen benachbarte Flächen weiter westlich auf dem Kleinen Grasbrook als ideal an. Dort arbeiten heute noch rund 1000 Hafenarbeiter im Pkw- und Fruchtumschlag. Auch dieses Gelände war schon einmal für einen neuen Campus im Gespräch - wogegen Hafenwirtschaft und ausgerechnet die Handelskammer heftig gewettert hatten. Nun könnte ausgerechnet der Vorschlag der Handelskammer diese Diskussion neu entfachen. "Eine neue Entwicklung dort muss kommen", sagt Läpple, "denn dort liegt einfach die Zukunft der Stadt."
Denkbar wäre auch, dass die neuen Olympia-Bemühungen einen weiteren Schub für die Stadtentwicklung über den Kleinen Grasbrook hinaus bringen: Der liegt zum Beispiel nicht weit vom Spreehafen: "Die kleine Alster" von Veddel und Wilhelmsburg wird dieses seeartige Hafenbecken mit seinen Hausbooten gelegentlich genannt. Charmant die Vorstellung, dort vielleicht Kanu-Wettbewerbe oder ähnliches stattfinden zu lassen. Doch an dieser Stelle dürfte viel Protest von der Hafenwirtschaft zu erwarten sein. Denn nach dem neuen Hafenentwicklungsplan ist dort eher ein Ausweichquartier für kleinere Hafenbetriebe vorgesehen, die wegen des Baus neuer großer Terminals neuen Platz brauchen. Dennoch: Für Wilhelmsburg, die Veddel und auch für Rothenburgsort böte eine Olympia-Bewerbung viele Möglichkeiten, mehr vielleicht noch als die Internationale Bauausstellung (IBA). Unabhängig davon, ob die Spiele tatsächlich einmal in Hamburg ausgetragen werden. Oder anders formuliert: "Eine Olympia-Bewerbung ist immer gut - vor allem, wenn man hinterher gar nicht den Zuschlag bekommt", sagt Läpple.