Präsident Obama versucht, enttäuschte Anhänger zurückzugewinnen. Während seine Popularität sinkt, steigen schräge Kandidaten auf.
Washington. Vergleiche hinken meist - und oft auf zwei Beinen. Aber man stelle sich einmal vor, Angela Merkel würde einige Tage vor der Bundestagswahl in Stefan Raabs Sendung "TV total" auftreten, um dem Volk ihre Politik zu erklären. In der Hoffnung, auf diese Weise ihre im freien Fall befindliche Popularität aufzubürsten. Mit einigem Recht würde man wohl von einem Akt der Verzweiflung sprechen. Das dürfte sich bei Barack Obama kaum anders verhalten. Sein gestriger Interview-Auftritt in der Satiresendung "The Daily Show" des bissigen Moderators Jon Stewart war der erste eines amtierenden US-Präsidenten in der 16-jährigen Geschichte der Sendung. Stewart stellte dem Präsidenten natürlich jene Kernfrage, die für die amerikanische Gesellschaft den höchst unruhigen Hintergrund der Kongresswahlen am 2. November darstellt: "Liegen die Schwierigkeiten, die Sie haben, vielleicht in der Diskrepanz zwischen dem, was Sie versprochen - und dem, was Sie tatsächlich geleistet haben?"
Ein ungewohnt ernst und mit müden Scherzen agierender Obama wehrte sich mit dem schrägen Hinweis, dass das Wahlvolk ihn damals wohl falsch verstanden habe: Wenn er von Wandel, an den man glauben könne, gesprochen habe, dann habe er damit keinen Wandel innerhalb von 18 Monaten gemeint. Er halte sehr wohl an seinem Slogan "yes, we can" fest, doch die Umsetzung geschehe nicht über Nacht und überhaupt nur Zentimeter für Zentimeter.
Der Präsident verwies dann auf Erfolge wie die teure Stabilisierung der Wirtschaft, das Wachstum bei Arbeitsplätzen oder die auf den steinigen Weg durch die politischen Instanzen gebrachte historische Gesundheitsreform. Einmal in Schwung, prahlte Obama: "Wir haben sogar Dinge vollbracht, von denen die Leute gar nichts wissen". "Ach, planen Sie eine Überraschungsparty?" schnappte Stewart.
Die Lage ist ernst für die Demokraten. Das ganze, 435 Sitze umfassende US-Repräsentantenhaus wird am kommenden Dienstag neu gewählt, dazu 37 der 100 Senatoren und 37 Gouverneure. Obama und seiner Partei droht eine saftige Niederlage. Hektisch hat der Präsident in den vergangenen Wochen und Tagen rund 110 Spendengalas und Wahlkampfauftritte absolviert, um die Stimmung noch herumzureißen. Der Erfolg ist mehr als unsicher.
Im Vorfeld der "midterm elections" zur Halbzeit der Legislaturperiode umweht ein Hauch von Tragik den noch 2008 wie ein moderner Messias umjubelten Barack Obama. Der Präsident muss damit rechnen, zumindest in einem der beiden Häuser - Senat oder Repräsentantenhaus - die demokratische Mehrheit zu verlieren. Damit wäre es sehr schwierig für ihn, große, politisch umstrittene Gesetzesvorhaben noch durchzubringen.
Wäre Barack Obama ein Filmstar , müsste man wohl das grausame Etikett "Kassengift" bemühen. Mehrere Kandidaten seiner eigenen Partei haben sich deutlich von dem Präsidenten abgesetzt, um nicht als politischer Kollateralschaden zu enden. So grollte Frank Caprio, Kandidat für das Gouverneursamt in Rhode Island im Rundfunk, Obama könne sich seine Unterstützung für ihn "in den Hintern schieben". In Pennsylvania schilderte der Abgeordnete Jason Altmire seinen Wählern eindringlich, wie energisch er dem Präsidenten Kontra gebe und ließ gar erkennen, man könne die umstrittene Gesundheitsreform durchaus auch wieder kassieren. In Idaho versuchte der Demokrat Walt Minnick, die republikanische "Tea-Party"-Bewegung beim Kampf gegen illegale Einwanderer rechts noch zu überholen; und in Texas beteuerte der Abgeordnete Chet Edwards seine erbitterte Gegnerschaft zu Obamas Regierungsprogramm. Parteidisziplin - in den USA ohnehin nicht sonderlich ausgeprägt - sieht anders aus.
Die midterm elections gelten traditionell als Stimmungstest für den amtierenden Präsidenten. Obwohl es nicht zuletzt dank des gewaltigen obamaschen Hilfsprogramms einen ersten, hauchzarten Silberstreif am Konjunkturhorizont gibt, obschon die Gesundheitsreform fast 50 Millionen bislang gar nicht krankenversicherten Amerikanern erstmals Schutz geben wird und der raubtierhafte US-Finanzmarkt zum ersten Mal gewissen Kontrollen unterworfen wurde, befindet sich ein erheblicher Teil der Amerikaner in erbitterter Gegnerschaft zu Barack Obama. Das hat weit tiefere Ursachen als bloße Enttäuschung über die stotternde Wirtschaft oder verlorene Arbeitsplätze.
Eigeninitiative und Selbstverantwortung frei von staatlicher Bevormundung bilden ein wesentliches Fundament des amerikanischen Modells. Für viele Amerikaner, und nicht nur in der Wolle gefärbte Republikaner, sind staatliche Konjunkturprogramme und vor allem eine staatlich geförderte Krankenversicherung das schleichende Gift des Sozialismus. Tiefes Misstrauen gegenüber dem Staat ist ein Kernelement des amerikanischen Konservatismus. Man erinnere sich, dass die Gründungsgesellschaft der USA im späten 18. Jahrhundert aus Menschen und ihren Nachfahren bestand, die vor der Tyrannei und Intoleranz herrschender Eliten in Europa geflohen waren.
Insofern ist es keineswegs ein Zufall, dass sich die machtvollste Anti-Obama-Bewegung den Namen "Tea-Party" gegeben hat. Er spielt auf ein Ereignis am 16. Dezember 1773 an, als 50 amerikanische Kolonisten, verkleidet als Indianer, 45 Tonnen Tee der britischen East India Trading Company vom Schiff "Dartmouth" in den Hafen von Boston warfen. Der wütende Protest gegen die Steuer- und Zollpolitik des britischen Königs Georg III. führte in der Folge letztlich zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg.
Die erzkonservative Tea-Party-Bewegung sorgt sich darum, dass Obamas Politik eher der Unterschicht zugute kommen könnte als der Mittelschicht und den Reichen. Die Tea-Party-Bewegung besteht zu 90 Prozent aus Weißen mit höherem Bildungs- und Einkommensniveau und zu fast einem Drittel aus Pensionären.
Zu den Hauptfinanziers der Tea Party-Bewegung gehören die Industriellen-Brüder David und Charles Koch, die mit einem Vermögen von 35 Milliarden Dollar mit an der Spitze der US-Reichenliste stehen. Sie streben einen glasreinen Kapitalismus an und leisten vor allem gegen Obamas geplante Steuer auf Einkommen über 250 000 Dollar erbitterten Widerstand.
Galionsfiguren und treibende Kräfte im Widerstand gegen Obama sind aber die frühere Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin , die im Wahlkampf 2007 um das Amt des Vizepräsidentin kämpfte, sowie der erzreaktionäre Fernsehmoderator Glenn Beck. Da stört es offenbar nicht weiter, dass Palin im Wahlkampf 2007 ihre außenpolitische Kompetenz damit begründet hatte, dass man an klaren Tagen von Alaska aus Russland sehen könne. Und die Kampagnen der Tea-Party, die aggressiv und mit beachtlichem Verleumdungspotenzial geführt werden, zeitigen durchaus Erfolge. Nach jüngsten Umfragen haben sich ausgerechnet Bevölkerungsgruppen, die Obama einst besonders zugetan waren - wie Frauen, Katholiken oder Bildungsferne - verstärkt den Republikanern zugewandt.
Stärker noch als in früheren Wahl-Jahren finden skurrile Sonderlinge, Seiteneinsteiger und Fundamentalisten ihr Publikum. Man mag dies als Indiz dafür werten, dass viele Amerikaner in einer immer unübersichtlicher und komplexer werdenden Welt geradezu verzweifelt nach Orientierung oder Alternativen zum Hergebrachten suchen. Anders ist es kaum zu erklären, dass sich etwa bei den Vorwahlen der Republikaner in Delaware die zuvor als absolut unwählbar geltende Christine O'Donnell gegen einen früheren Gouverneur und langjährigen Abgeordneten mit Multimillionen-Etat durchsetzen konnte. O'Donnell ist gegen Kondome, Anti-Aids-Programme, hält Krebserkrankungen für einen Akt Gottes und führte vor Jahren einen vehementen Kampf gegen die Masturbation.
Dann gibt es da den früheren Postbeamten, Soldaten und Karatelehrer Jimmy McMillan, dem sein Äußeres zum Beinamen "Papa Schlumpf" verholfen hat. Er hat eine Partei namens "Die Miete ist verdammt zu hoch" gegründet, will Gouverneur in New York werden und lederte bei einer Fernsehdiskussion den früheren Clinton-Bauminister Andrew Cuomo und den Republikaner Carl Paladino ziemlich ab. 1993 wollte McMillan seine Wahl zum Bürgermeister von New York erzwingen, indem er sich an einen Baum kettete und mit Benzin übergoss.
Tea-Party-Kandidat Paladino, ein reicher Unternehmer, will in New York den Finanznotstand ausrufen, um Wohlfahrts- wie Gesundheitsprogramme drastisch zurückfahren zu können, und würde Sozialhilfeempfänger am liebsten ins Gefängnis werfen, um ihnen "Manieren beizubringen".
Die frühere eBay-Chefin und erste Internet-Milliardärin Meg Whitman möchte als Nachfolgerin von Arnold Schwarzenegger Gouverneurin von Kalifornien werden und wendet sich scharf gegen höhere Steuern für Reiche. Pikant: Whitman beschäftigte neun Jahre lang eine mexikanische Hausangestellte ohne Aufenthaltserlaubnis.
Und die Kandidatin Kristin Davis will Gouverneurin des Staates New York werden und kann in gewisser Weise auf Erfahrungen mit der Politik verweisen. Die als Manhattan Madam bekannte frühere Callgirlchefin versorgte New Yorks Gouverneur Eliot Spitzer und die lokale High Society mit Mädels und ließ sich auch selber kostenfrei mit Spitzer ein. Die Affäre kostete ihn 2008 seinen Job - und den will jetzt Manhattan Madam haben.
Bei aller Skurrilität mancher Kandidaten wird es am Dienstag für Barack Obama ernst. Der Kongress ist im US-Politsystem die Kontrollinstanz für den machtvollen Präsidenten. Verliert Obama dort die Mehrheit, so wäre er für den Rest seiner Amtszeit auf Kompromisse angewiesen. Es wäre wohl das Ende vom angekündigten "change" - einer sozialeren Politik für Amerika.