Um sich über den Dreiklang aus Hamburg, Hafen und Musik zu unterhalten, ist ein Platz auf dem Bug eines Kajütboots genau das Richtige.
Hamburg. Ein "Veermaster", wie er in dem berühmten Shanty besungen wird, ist weit und breit nicht zu sehen, und die Beine des Schippers am Steuerrad der "MS Bruno" machen auch überhaupt keinen "scheepen" (schiefen) Eindruck. Egal. Um sich über den Dreiklang aus Hamburg, Hafen und Musik zu unterhalten, ist ein Platz auf dem Bug eines Kajütboots trotzdem genau das Richtige. Erst recht, während es aus dem Spreehafen in Richtung Landungsbrücken tuckert. In der für diesen Anlass angeheuerten Experten-Besatzung ist einiges an Musik drin. Zwei Elbphilharmonien erstmals in einem Boot: die eine personifiziert durch Generalintendant Christoph Lieben-Seutter als Repräsentant eines Projekts, das angesichts der Kostenexplosionen noch längst nicht alle in ihr Herz geschlossen haben.
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Die andere, entschieden günstigere Kultur-Adresse wird durch Sebastian Reier - DJ-Künstlername: "Booty Carrell" - vom Golden Pudel Club vertreten, der sich selbst den nicht ironiefreien Namen "Elbphilharmonie der Herzen" verlieh und vom Fischmarkt 27 aus tapfer gegen den Musik-Mainstream anfeiert. Szenestars wie Rocko Schamoni und Jacques Palminger haben dort ihre künstlerische Heimat. Wenn auswärtige Gäste kommen, kriegen sie vor Begeisterung schon mal etwas durcheinander, wie ein Gast-DJ aus Los Angeles, der stolz an seine Freunde twitterte: "Yeah, ich trete in Hamburg im Golden Pudel Club auf, da haben schon die Beatles gespielt!" Was gut klingt, aber trotzdem nicht stimmt. Dritter im Bunde ist Oliver Korthals, mit Leif Nüske einer der Gründerväter des Mojo Clubs, für den nach jahrelanger Pause die Wiederaufbauarbeiten an der Spitzenadresse Reeperbahn 1 begonnen haben. In den 90ern etablierte sich der Mojo mit seinem Dancefloor-Jazz-Angebot als Hamburgs erste Party-Adresse, im Februar 2012 soll er unterhalb der "Tanzenden Türme" neu eröffnet werden.
Klassische Höchstkultur, kunterbunter Exotentreff und Klubszene also. Passt gut zusammen, weil alle drei zum Klang des Hamburger Hafens gehören wie der Fisch ins Brötchen. Die Männer verstehen sich bestens; eigentlich kein Wunder. Korthals erklärt sich das mit der räumlichen Nähe der drei Spielstätten zum Wasser, die er für den verbindenden gemeinsamen Nenner hält. "In früheren Jahrzehnten war der Hafen für Hamburg immer auch ein Einfallstor für Musik." Alle Drei sind der Meinung, dass das feuchte Herz der Hansestadt eine Menge Hörenswertes bietet. "Der Hafen an sich ist ja schon Musik", findet Reier, "die Geräuschwelt, all das ist sehr musikalisch." Vom Wasser aus schweift der Blick an der Großen Elbstraße entlang, wo seit einiger Zeit wieder das Hafenklang seine Heimat hat, ein Klub, in dessen Tonstudio unter anderem Udo Lindenberg und die Einstürzenden Neubauten vor den Mikros standen.
Doch um den Sound des Hafens in sich aufzunehmen, reicht es schon, mit offenen Ohren die Elbe entlangzufahren. Klubgründer Korthals' liebste Klänge sind die industriellen Geräusche aus den Containerterminals und natürlich die Schiffsirenen. DJ Sebastian Reier steht auf das sich ständig verändernde Quietschen der Landungsbrücken-Pontons, und dem Elbphilharmonie-Chef hat es besonders das typische Klackern der Seile an die Masten angetan, garniert mit klassischem Möwengeschrei. Für jede Generation und jeden Geschmack bietet der Hamburger Hafen den passenden Gefühls-Soundtrack. Ganz klassisch gefällig? Da gäbe es von Georg Philipp Telemann die Ouvertüre "Hamburger Ebb und Fluth", 1723 zur Feier des 100. Geburtstags der Hamburgischen Admiralität geschrieben. Fast so klassisch: Auf den Schunkel-Wellen von NDR 90,3 läuft immer noch das "Hamburger Hafenkonzert", Stapellauf 1929 und damit die älteste Radiosendung der Welt. Etwas jüngere Musikfans sind in den Klubs rund um die Reeperbahn sozialisiert worden. Indra, Kaiserkeller, Star-Club, der Karrierestart der Beatles, überhaupt, die wilden Beat-Jahre. Inzwischen ist die "geile Meile" (Udo Lindenberg) als Touristenmagnet familientauglicher und massenkompatibler geworden, in musikalischer Hinsicht nicht zuletzt auch durch den Erfolg des allherbstlichen Reeperbahn-Musikfestivals.
Schon dieser Schnelldurchlauf zeigt: Die Hafensentimentalität kann einen in Hamburg in jeder Altersklasse erwischen, Beispiele dafür finden sich reichlich in den Hitlisten mit HH auf dem Nummernschild. Als Jan Delay noch bei den Beginnern war, knödelte er in "City Blues" seine Liebeserklärung an die lokale Waterkant: "Hamburg ist ein derber Beat, schön und schmuddelig. Und der Hafen, der ist das Herz, die Bassline." Die Band Kettcar rockte sich mit der Textzeile "An den Landungsbrücken raus, dieses Bild verdient Applaus" in hiesige und andere Herzen.
Auch Musicals laufen in dieser Stadt offenbar umso besser, je mehr Nähe zum Wasser sie haben: Im Operettenhaus stach in den vergangenen Jahren das Udo-Jürgens-Musical in See, um endlich mal nach New York zu kommen. Am anderen Elbufer werden die ansonsten in Bussen angelieferten Musical-Touristen in Barkassen zum Erfolgsmusical "König der Löwen" geschippert und dürfen so erst mal etwas frische Hafenatmosphäre einatmen, bevor sie in den Dschungel ziehen.
Und dann sind da noch die vielen Hamburger Shantychöre. Man muss beileibe nicht von auswärts sein oder voll wie eine Strandhaubitze, um beim Anblick so einer Männertruppe mitsamt obligater Quetschkommode in gerührtes Mitbrummen zu verfallen. In der Haifisch-Bar kann es jederzeit passieren, dass die Bedienung eine Gitarre unterm Tresen hervorkramt und der ganze Laden gerührt Seemannslieder grölt, auch der Schellfischposten ist eine sichere Anlegestelle für Freunde gediegener musikalischer Geselligkeit. Ina Müller, Hamburgs nächste Heidi Kabel, weiß etliche Lieder darüber zu singen.
Kurioserweise ist ausgerechnet ein Beute-Hamburger eine der wichtigsten Gallionsfiguren maritimen Liedguts: Freddy Quinns Wiege stand in Wien, nicht an der Elbe oder wenigstens der Alster. Egal, niemand ist perfekt. Dafür liefert er mit "Junge, komm bald wieder" einen Konsensklassiker. Auf die Frage nach dem ganz großen Hamburger-Hafen-Hit, nennen Christoph Lieben-Seutter, Sebastian Reiher und Oliver Korthals unisono Freddys Sentimental-Schlager.
Die Worte Hamburg und Hafen reimen sich zwar nicht, sind gemeinsam aber doch immer wieder ein Gedicht. Den Schlussakkord dieses Lobgesangs setzt Christoph Lieben-Seutter: "Der Hafen ist emotional unglaublich aufgeladen. Fernweh, Heimweh ... Das alles klingt da mit. Da ist Musik immer sehr nahe."