Daniela Matijevic war als Soldatin im Kosovo. Zurück in Deutschland erlebt sie eine Heimat, die für ihre Rückkehrer kein Mitleid fühlt.
Die Tür springt auf, und eine fröhliche junge Frau bittet in ihre Wohnung. Daniela Matijevic lacht gern, sie hat einen festen Händedruck, sie trägt bequeme Jeans und T-Shirt, die kurzen Haare hat sie mit Gel verwuschelt. Jule, ihr sechs Wochen alter Mischlings-Welpe, springt an ihr hoch. Matijevic geht durch die hell eingerichteten Räume in ihr Arbeitszimmer und zeigt die Urkunden an der Wand. Sie hat die Einsatzmedaille der Bundeswehr bekommen, steht da. Und sie hat "wegen vorbildlicher Pflichterfüllung eine förmliche Anerkennung" bekommen. Daniela Matijevic war ein guter Soldat.
Vor über zehn Jahren kehrte Stabsunteroffizier Daniela Matijevic aus dem Kosovo nach Deutschland zurück. Sie dachte, dass der Krieg mit der Zeit verschwindet, wenn sie versucht, ihn zu vergessen und einfach fröhlich zu sein. Bis sie merkte, dass das nicht klappt. Denn der Krieg ist ein Teil von ihr. Durch die Erinnerung.
Daniela Matijevic riecht dann die Luft des Kosovo. Sie spürt die Sonne, die erbarmungslos ihren Helm aufheizt. Sie sieht die beiden Mädchen, die kichernd auf sie zukommen. Sie freut sich über die ausgelassene Fröhlichkeit der beiden Kinder, mitten im Krieg. Sie blickt den beiden hinterher, wie sie über eine Wiese weglaufen. Sie hört die Explosion der Landmine, unglaublich laut. Sie spürt etwas Nasses im Gesicht. Es ist Blut. Die Mädchen sind tot.
Es ist, als ob Daniela Matijevic in einem Kino sitzt, sie ist die einzige Besucherin und an ihren Zuschauersessel gefesselt. Die Szene mit den Mädchen wird in Endlosschleife ausgestrahlt.
Daniela Matijevic hat sich auf die Couch ins Wohnzimmer gesetzt. Wenn sie über den Krieg spricht, werden ihre Sätze kurz, präzise und ihre Stimme monoton. Mit ihrer Familie, ihren Freunden und selbst ihren Kameraden aus dem Kosovo-Einsatz hat sie selten über den Krieg gesprochen. Und doch ist es so wichtig, es zu tun, sagt sie.
Der Krieg ging weiter, weil die Gesellschaft sie ignorierte
Was sie als junge Soldatin im Auslandseinsatz sah, hat sie krank gemacht. Fast zehn Jahre lang fragte sie sich: Warum hast ausgerechnet du das überlebt?
"Mit der Hölle hätte ich leben können" lautet der Titel ihres Buches. Die "Hölle" - damit meint sie das Kosovo. Aber eine viel größere Hölle war für sie das, was sie wieder zu Hause in Deutschland erlebt hat: Der Krieg ging weiter, weil die Gesellschaft sie, die Veteranin, ignorierte. Mit ihren Erlebnissen im Kosovo allein wäre sie schon fertig geworden, sagt sie.
Sie schreibt über die Wut der Veteranen, die im Auftrag des Bundestages ihr Leben riskierten und von der Bevölkerung keinen Respekt bekommen. Sie trifft mit ihrer Anklageschrift eine Gesellschaft, die seit dem Zweiten Weltkrieg jegliches Mitgefühl mit Militärs zum Tabu erklärt hat. Wer im Einsatz an der Seele erkrankt, wird bei seiner Rückkehr höchstens an sein Berufsrisiko erinnert.
Vielleicht ist ihr Buch deshalb so berührend, weil sie eine Frau ist und aus ihrer weiblichen Perspektive der Krieg noch brutaler erscheint. Weil sie es sich als Frau zugesteht, dass sie schwach ist. Viele ihrer männlichen Kameraden wollen immer noch stark sein.
Stolz zeigt sie ihre Visitenkarte, die gerade aus der Druckerei gekommen ist: "Deutscher Veteranenverband e. V." steht darauf. Und dass Matijevic die Vorsitzende ist. Das Handy klingelt. Verbandssachen. Die Veteranen müssen ins Vereinsregister, wollen sich bei Ministerien vorstellen. Sofort hebt sich ihre Stimme, sie scherzt, sie fühlt sich wohl. Sie hat ihre Aufgabe gefunden.
Veteranen, das sind in den Augen vieler entweder Alt-Nazis oder Spinner
Dass Daniela Matijevic den Veteranenverband gegründet hat, ist das Ergebnis des Buches, ihres Verarbeitungsprozesses. Veteranen - das seien in den Augen vieler Deutscher entweder Alt-Nazis oder labile Spinner. "Aber Veteranen sind auch Frauen wie ich. Und Familienväter, die an ihrem Schicksal zerbrechen", sagt sie.
Die Familie Matijevic stammt aus Bosnien-Herzegowina, die Mutter wanderte mit Daniela und ihrer Schwester aus, als sie noch klein waren. Vielleicht ist es charakteristisch für Deutschland, dass eine Frau mit Migrationshintergrund den Deutschen Veteranenverband gründen muss. Das macht unangreifbar gegen Vorwürfe der Deutschtümelei.
Daniela Matijevic war schon als Schülerin eine, die gerne hilft. Sie gründete die "Schülerhilfe Bosnien", sammelte mit ihren Schulkameraden Medikamente, Kleidung und Lebensmittel für die Menschen in Bosnien-Herzegowina. Und damit sie sichergehen konnte, dass die Hilfsgüter auch wirklich ankamen, setzte sie sich selbst in den gemieteten Laster und fuhr in das Krisengebiet. Nach der Schule machte sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau, doch der Job erfüllte sie nicht. Sie schaute sich nach etwas Neuem um, blieb auf einer Job-Messe vor einem Info-Stand der Bundeswehr stehen. "Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Hilfe an vorderster Front zu leisten?", fragte der Wehrdienstberater.
Sie verpflichtete sich für vier Jahre, ihre Familie war nicht begeistert. Drei Jahre diente sie als Sanitätssoldat bei der Luftwaffe , dann erfuhr sie, dass sie ins Kosovo versetzt werden sollte. Weil sie Serbokroatisch spricht und übersetzen konnte. "Kamerad, Sie gehen nach Prizren!", hieß es, am 6. August 1999 ging der Flieger.
Matijevic arbeitete auf der Intensivstation vom Feldlazarett in Prizren, sah Kinder, die auf Minen getreten waren. Überbrachte Eltern die Todesnachricht. Dann wurde sie zum Militärischen Abschirmdienst abkommandiert, ihre Sprachkenntnisse waren gefragt.
Bei ihrer Arbeit sah sie Massengräber, geköpfte Menschen und eine Frau, die in einem Dorfbrunnen ertränkt wurde, indem man eine lebendige Kuh auf sie geworfen hatte. Matijevic war damals 24 Jahre alt. Wütend beschreibt sie das, was Menschen einander antun, in ihrem Buch, sie will es mit der Gesellschaft teilen. "Die Menschen wissen nichts über die Auslandseinsätze der Bundeswehr", sagt sie. Oder sie verdrängen sie lieber.
Matijevic will, dass die Deutschen die Geschichte des kleinen Ivica lesen. Ivica, ein schmächtiger Junge, sieben Jahre alt, dunkle Locken, pechschwarze Augen. Er wurde unzählige Male von einem Mann sexuell missbraucht, wie viele andere Kinder im Kosovo. Die internationalen Soldaten sollten die Massenvergewaltigungen aufklären, Matijevic musste übersetzen. Sie musste Ivica zu einer Gegenüberstellung mit dem Mann überzeugen. "Liebling, wir sind alle bei dir. Ich werde nicht einen Zentimeter von deiner Seite weichen. Dir kann nichts passieren, das verspreche ich dir", sagte sie zu dem Kind. Schließlich gab der Junge nach, reichte Matijevic die Hand. Auf dem Dorfplatz waren fünf Männer aufgestellt, Ivica deutete mit seinen dünnen Armen auf einen von ihnen. In derselben Sekunde zog dieser einen kleinen Revolver. Und schoss Ivica mitten ins Gesicht. Sie konnte nichts mehr für ihn tun. Ihre Erinnerung setzte erst am nächsten Tag wieder ein. Später wollte sie nicht mehr wissen, was mit dem Täter passiert war. Wenn sie heute in ihrer hellen Wohnung über "die Sache mit Ivica" redet, blickt sie auf den Boden. Obwohl andere damals versagt haben, fühlt sie sich schuldig. Sie weiß, dass das irre ist. "Aber es ist nun mal so", sagt sie.
Die Schuldgefühle nahm sie mit sich, als sie am 3. November, einem kalten Mittwochabend, wieder in Deutschland landete. Nach 88 Tagen Krieg. "Ich hätte sterben müssen - für mein Unvermögen. Mich hätte die Kugel treffen sollen. Meine Schuld."
Sie konnte nicht schlafen, aß unkontrolliert. Dann kamen die Kopfschmerzen. Sie wünschte sich, mit voller Wucht gegen die Wand zu rennen. Sie wurde krankgeschrieben bis zum 30. Juni 2000. An diesem Tag wurde sie aus der Bundeswehr entlassen, ihr Vertrag war ausgelaufen.
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Sie wollte in ein normales Leben zurück, die Erinnerung ließ sie nicht
Die Krankheit, die Daniela Matijevic aus dem Krieg mitbrachte, ist in Deutschland bekannt geworden unter dem Namen: Posttraumatische Belastungsstörung, PTBS. Die Bundeswehr muss Soldaten, deren Erwerbsfähigkeit zu mindestens 50 Prozent gemindert ist, weiterbeschäftigen. Doch unter die Stichtagsregel, die es seit 2007 gibt, fallen nur Soldaten, die nach dem 1. Dezember 2002 im Einsatz waren. Matijevic gehört nicht dazu, genauso wie etwa 7000 andere Kameraden.
Sie wollte damals in ein normales Leben zurück, jobbte in einem Callcenter, fing ein Jurastudium an, doch ihre Krankheit zwang sie zum Aufgeben. Beim Arbeitsamt wurde sie abgewiesen, beim Sozialamt auch, beim Versorgungsamt sagte ihr die Sachbearbeiterin: "Herzchen, niemand hat Sie gezwungen, zum Bund zu gehen."
Freundschaften gingen in die Brüche und mit ihrer Familie hatte sie eine unausgesprochene Vereinbarung: Wir reden nicht über den Krieg. Bis zum vergangenen Jahr lebte sie so vor sich hin. Dann beschloss sie ihre Erlebnisse aufzuschreiben. Sie reichte ihre Aufzeichnungen an einen Agenten weiter. Innerhalb weniger Tage waren zehn Verlage interessiert.
Es sind die plastischen Schilderungen, die ihr Buch zu einem Nachhilfekurs für die Gesellschaft machen. Daniela Matijevic findet Worte für das, was Soldaten im Auslandseinsatz erleben. Und sie schildert eindringlich, wie Soldaten ihre Kriegserlebnisse nach ihrer Rückkehr immer wieder vor Augen haben. "Ein Flashback schleicht sich an wie ein Niesen. Ähnelt aber bald einem Niesen nicht mehr", schreibt sie und an anderer Stelle: "In meinem Kopf fängt es an zu wimmeln, in etwa wie in einem Bienenstock. Der Boden unter mir wird auf einmal weich, weich wie Watte - ich versinke beinahe darin. Alles um mich herum verliert Konturen. Ich bekomme einen Tunnelblick. Ohne Vorwarnung fällt der Vorhang."
Wenn sie heute mit Freunden in ein Restaurant geht und am Nebentisch bestellt jemand Salat, muss sie würgen. Sie riecht den Essig. Mit Essig hatten sie damals im Kosovo versucht, den Leichengeruch der Massengräber loszuwerden. Manchmal dauert ein Flashback zwei Minuten, manchmal eineinhalb Stunden. Sie sagt, dass sie vor nichts mehr Angst hat. Immerhin, das hat ihr der Krieg gebracht. Aber die Schuldgefühle sind geblieben.
Sie will mit ihrem Buch nicht die Bundeswehr als Institution anklagen. "Die Bundeswehr hat mir gut getan, und sie ist eine Institution, die richtig und wichtig ist", sagt sie. Sie klagt die Bundeswehr dafür an, dass sie die Veteranen im Stich lässt. Und vor allem klagt sie die Gesellschaft an. "Ich kam zurück und wurde behandelt wie ein Schmarotzer. Klar ist es schlimm, was im Einsatz passiert, aber das hätte ich noch verknapst. Aber zurückzukommen und behandelt zu werden wie ein Penner, das hat mich wütend gemacht." Seit sie den Veteranenverband gegründet hat, hat sie über 600 Mails bekommen, Mails von betroffenen Soldaten, von beschämten Bürgern. "Seit ich gesehen habe, dass der ganze Mist, der mir passiert ist, einen Sinn hat, geht es mir besser", sagt sie.
Ein Veteranentag in Deutschland? Paraden durch die Straßen?
Jetzt kämpft sie dafür, dass die Stichtagsregelung für das Weiterverwendungsgesetz gekippt wird. Und vor allem dafür, dass die Gesellschaft den Krieg nicht mehr verdrängt. Matijevic war in den Niederlanden, besuchte das Veteraneninstitut, holte sich Anregungen. Einen Veteranentag in Deutschland? Paraden durch die Straßen? So etwas fände sie zwar gut - aber sie ist realistisch genug, um einzusehen, dass es so etwas wegen der deutschen Geschichte nicht geben kann.
Daniela Matijevic ist jetzt 35 Jahre alt. Sie will weiter schreiben, das sei ihre Passion, sagt sie. Am kommenden Freitag wird sie nach Hamburg kommen und auf dem Harbour-Front-Festival aus ihrem Buch vorlesen. Die Bundeswehr hat noch nicht auf die Gründung des Veteranenverbands reagiert, sagt sie. Aber das Versorgungsamt. Neun Jahre lang hatte sie von 741 Euro Kriegsversehrtenrente im Monat gelebt. Zweimal wurde ihr Antrag, die Versorgungslage zu prüfen, abgelehnt. In diesem Jahr, als die Bundeswehr von ihrem Buchprojekt erfahren hatte, wurde der Antrag plötzlich angenommen. Entschuldigung, hieß es, aber man habe ihr schätzungsweise monatlich 1000 Euro zu wenig ausgezahlt.
Aufgeben kam für sie nie infrage. "Hätte ich aufgegeben, dann hätte der Krieg endgültig gesiegt", sagt sie. An ihre Haustür hat sie ihre alte Flieger-Uniform und ihre Ausgeh-Uniform gehängt. Wenn sie ihre Wohnung verlässt, sieht sie den Orden der Kfor, der Nato, das Sportabzeichen, die goldene Schützenschnur, das Uno-Barett. Sie sagt, die Uniformen bringen ihr Glück. Durch diese Tür kann nichts Schlimmeres kommen als die Hölle.
Das Buch: "Mit der Hölle hätte ich leben können: Als deutsche Soldatin im Auslandseinsatz", Daniela Matijevic, 256 Seiten, erschienen im Heyne Verlag
Daniela Matijevic liest am Freitag, 10. September, um 19 Uhr auf dem Harbour Front Literaturfestival im Pressehaus Gruner + Jahr, Baumwall 11