Griechenland spart sich zu Tode. Es bedarf eines radikalen Neuanfangs und anderer Hilfen
Es wirkte wie eine Groteske: Die griechische Polizeigewerkschaft hatte am Donnerstag für die Festnahme der Mitglieder der Troika eine Belohnung von jeweils einem Euro ausgesetzt. Zur Begründung sagte der Polizeiverband, die Vertreter von EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) zerstörten "den sozialen Zusammenhalt" in Griechenland. Man sollte diese rhetorisch zugespitzte Fahndung nicht überbewerten, und doch zeigt sie die ganze Dramatik der Situation.
In der Nacht zum Montag hat das griechische Parlament ein weiteres Sparpaket verabschiedet, aber Hoffnung verleihen derlei Beschlüsse nur noch der Börse. In Griechenland selbst regiert längst Verzweiflung, die sich in Straßenschlachten, Brandschatzungen und Vandalismus Bahn bricht. Die Demokratie strauchelt so stark wie noch nie seit dem Ende der Militärdiktatur 1974.
Griechenland liegt am Boden. Die Wirtschaft ist seit dem Jahr 2007 um 18 Prozent eingebrochen und schrumpft weiter, die Arbeitslosigkeit ist auf 21 Prozent geklettert und steigt unentwegt. Trotz brutaler Einschnitte und Steuererhöhungen vergrößert sich das Defizit. Griechenland befindet sich längst in einem Teufelskreis, aus dem es nicht herausfindet. Und nicht nur die Menschen auf der Straße ahnen, dass jedes weitere Sparpaket die todkranke Volkswirtschaft nicht heilen kann. Sie ist in großen Teilen veraltet, verkrustet, verloren. Und weil der Außenhandel nur bei 20 Prozent liegt, werden auch Lohnsenkungen für den Export keine Rettung sein. Die Politik der Kürzungen ist gescheitert.
Griechenland ist längst pleite und jeder weitere Kredit der EU oder des IWF verlängert nur das Leiden, bringt aber keine Lösung. Zugleich wächst in Europa die Erkenntnis, dass die Rettung scheitern dürfte. Ohnehin bleibt dem Rest der Europäischen Währungsunion nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder man alimentiert Griechenland, damit es im Euro bleiben kann, oder man finanziert das Land nach dem Austritt. Letzteres wird immer wahrscheinlicher, der Plan B ist überfällig.
Doch keiner sollte sich der Illusion hingeben, der Euro-Ausstieg löse das Problem für Europa. Ein Schuldenschnitt und die Wiedereinführung der Drachme dürften schwere soziale wie wirtschaftliche Verwerfungen auslösen. Aber diese Krise birgt auch die eine Chance, die Griechenland nötiger hat als jeden weiteren Kredit: die Chance auf einen radikalen Neuanfang.
Zwar haben die Milliardentransfers das brüchige Finanzsystem in Europa einigermaßen stabilisiert, eine Ansteckung aber haben sie nicht verhindert. Und die griechische Wirtschaft haben sie auch nicht weitergebracht. Ist jemals in der Geschichte eine Milliardenhilfe so verpufft? In den Augen vieler Griechen ist Europa kein Unterstützer, sondern nur ein Aufseher, Kontrolleur, ja Zerstörer. In den Augen Europas ist Hellas ein zerstrittenes Land, in dem selbst in der größten Not Einzelinteressen, Egoismen und Wirklichkeitsverdrängung regieren. Das hohe Gut der europäischen Solidarität scheitert ausgerechnet an den Gestaden, an denen die Idee von Europa geboren wurde. "Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll", hat Georg Christoph Lichtenberg gedichtet. Der Satz gilt noch immer.
Statt Milliarden in ein gescheitertes System zu überweisen, bedarf es eines europäischen "Marschallplans". Hilfen für die Menschen im Land, für die nötige Infrastruktur, Verwaltungsreformen und moderne Strukturen dürften besser angelegt sein als neue Kredite, die die Krise nur verlängern. Mit den Hilfen benötigt Griechenland auch Wahrhaftigkeit: Das Land steht vor harten Reformen und schweren Jahren. Die griechische Tragödie ist noch längst nicht vorbei.