Der Altkanzler präsentierte sein neues Werk „Unser Jahrhundert“ im Thalia Theater und kritisierte die aktuelle Alterspolitik der Regierung.
Hamburg. Altkanzler Helmut Schmidt (91) hat sich für eine schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 70 Jahre ausgesprochen. Die „Überalterung“ sei eine der wichtigsten Herausforderungen der aktuellen Politik, sagte der SPD-Politiker und „Zeit“-Herausgeber bei der Vorstellung seines neuen Buches „Unser Jahrhundert“ im voll besetzten Hamburger Thalia-Theater unter stetiger Missachtung des geltenden Rauchverbots. Die von Guido Westerwelle (FDP) angestoßene Sozialdebatte über die Höhe von Hartz IV kritisierte Schmidt als „oberflächlich“.
Die Probleme der älter werdenden Gesellschaft seien bislang durch den Zuzug junger Ausländer überdeckt worden, so Schmidt weiter. Notwendig sei als erster Schritt, dass die Menschen nicht bereits mit 60 oder 61 Jahren in den Ruhestand treten, sondern erst mit 65 Jahren. Dann müsse das Renteneintrittsalter schrittweise angehoben werden. Parallel dazu müssten die jungen Menschen eher ihr Studium beginnen – „und ein bisschen früher damit aufhören“. Diese Problematik teile Deutschland mit seinen Nachbarländern.
„Unser Jahrhundert“ ist ein aufgezeichnetes Gespräch, das Schmidt und der deutsch-amerikanische Historiker Fritz Stern (84) im Sommer 2009 in Schmidts Privathaus in Hamburg über die politische Entwicklung des 20. Jahrhunderts geführt haben. Die Deutschen sind nach der Auffassung Schmidts auch nach dem Zweiten Weltkrieg verführbarer geblieben als andere Nationen. Weil ihr Unterbewusstsein belastet sei, machten sie sich mehr Sorgen als andere Nationen. Dies zeige sich beispielsweise in einer übergroßen Ängstlichkeit vor dem Waldsterben, Atomkraftwerken oder einem atomaren Weltkrieg.
Wenig Angst bescheinigte Schmidt den Deutschen dagegen bei der Bewältigung der aktuellen Weltwirtschaftskrise. Alle wichtigen Regierungen der Welt hätten Lehren aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 gezogen und die Wirtschaft durch Sonderprogramme angekurbelt. Damals sei die Weltwirtschaft „kaputtgespart“ worden. Eine solche Lehre aus der Geschichte, so Schmidt, habe er den Regierungen gar nicht zugetraut.