Beide Seiten lobten die konstruktive Arbeitsatmosphäre, betonten aber auch die noch strittigen Punkte. Ein drittes Treffen ist für Mittwoch anberaumt.
Sie haben sich ein Stück aufeinander zubewegt: Drei Stunden lang saßen sich die Spitzen der schwarz-grünen Koalition und die Vertreter der Volksinitiative "Wir wollen lernen" am Freitagnachmittag bei den Verhandlungen über die Schulreform gegenüber. Nach dem frostigen ersten Treffen vor einer Woche war es eine ernsthafte Arbeitssitzung. Das Eis ist ein wenig getaut.
Als die beiden Fraktionschefs Frank Schira (CDU) und Jens Kerstan (GAL) sowie Initiativensprecher Walter Scheuerl anschließend vor die Kameras und Mikrofone traten, wurde jedoch sehr schnell deutlich, wo es noch hakt. Nach wie vor umstritten sind vor allem drei Punkte: Freiwilligkeit oder Verbindlichkeit der Primarschule, Zeitplan der Einführung und die Qualitätssicherung. Neu ist, dass über die beiden konkreten Vorschläge, die beide Seiten schriftlich vorgelegt hatten, diskutiert wurde. Die Ernsthaftigkeit der Verhandlung belegt auch, dass kurz nach Beginn der Gesprächsrunde eine Lesepause eingelegt wurde, um die Angebote der jeweils anderen Seite zu studieren.
"Wir sind noch nicht zusammen, aber wir haben uns aufeinander zubewegt. Die Atmosphäre war eindeutig besser", sagte Schira. "Es war eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre, aber wir sind noch recht weit auseinander", umriss Scheuerl seine Sicht der Dinge. "Es war ein gutes Gespräch. Wir haben in einigen Punkten Klarheit. Es ist Bewegung da", sagte Kerstan. "Das Misstrauen des ersten Treffens ist weg", sagte ein Teilnehmer der Runde. Es sei auch manchmal herzlich gelacht worden.
Wie berichtet, hatte die Initiative eine Art Schulversuch Primarschule vorgeschlagen: Im kommenden Schuljahr sollen zunächst 25 Primarschulen auf freiwilliger Basis ihren Betrieb aufnehmen, im darauffolgenden Jahr noch einmal 25 freiwillige Schulen. Sechs Jahre lang soll die Leistungsentwicklung des alten und des neuen Systems verglichen werden, erst dann fällt eine Entscheidung darüber, ob die Primarschule flächendeckend eingeführt wird. Diese zeitliche Streckung und die Unverbindlichkeit, das zeigte sich am Freitag deutlich, ist mit der schwarz-grünen Koalition nicht zu machen. "Eine Entscheidung erst nach sechs oder sieben Jahren, das wäre das Begraben des Reformprojekts", sagte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan. Nach Abendblatt-Informationen unterstützte der Moderator und Unternehmer Michael Otto in der Verhandlungsrunde diese Position. Seiner Ansicht nach, so Otto, sei es nicht sinnvoll, zwei parallele Schulsysteme über einen derart langen Zeitraum nebeneinander laufen zu lassen. Otto hatte in zahlreichen Gesprächen vor Beginn der Verhandlungen Kompromisslinien ausgelotet und einen Vorschlag erarbeitet.
CDU und GAL präsentierten der Initiative gestern ihr Kompromissangebot, das im Wesentlichen auf Ottos Ideen beruht. Danach sollen im Sommer alle die Schulen mit der Primarschule starten, die dies wollen. Nach Einschätzung von Experten könnten das zwischen 60 und 80 Schulen sein. Die flächendeckende Einführung der Primarschule soll laut Koalition dann zum Schuljahr 2011/12 erfolgen.
Neu an dem Vorschlag der Koalition ist die Gründung eines Sonderausschusses der Bürgerschaft, der die Einführung der Reform kritisch begleiten soll. Alle drei Monate solle es Anhörungen über die Umsetzung der Reform geben. Die erforderlichen Daten sollen zwei wissenschaftliche Institute zu liefern - eines wird von der Initiative benannt, eines von der Koalition.
"Wir haben spontan erhebliche Bedenken, weil der Sonderausschuss ein parlamentarisches Gremium ist", sagte Initiativensprecher Scheuerl. "Das ist keine externe Evaluation eines unabhängigen Gremiums, wie es auch Herr Otto vorgeschlagen hat", sagte Scheuerl. "Wir sind eine parlamentarische Demokratie. Letztlich muss die Bürgerschaft entscheiden", entgegnete CDU-Fraktionschef Schira. Im Übrigen bedeute ein Ausschuss ein Höchstmaß an Transparenz und medialer Beobachtung.
Offen ist auch noch, was genau geprüft werden soll: Die Koalition schlägt vor, die Einhaltung der Rahmenbedingungen unter die Lupe zu nehmen: Lehrerversorgung, Klassengröße, räumliche Ausstattung und Lehrerfortbildung. Die Initiative fordert dagegen einen Vergleich der schulischen Leistungen zwischen den Primarschülern und denen, die nach der vierjährigen Grundschule auf eine weiterführende Schule wechseln.
Beide Seiten vereinbarten ein drittes Treffen für Mittwoch. Das könnte lange dauern, denn dann geht es schon um 9 Uhr los.