Das Schweigen hat ein Ende: Generalintendant Christoph Lieben-Seutter spricht exklusiv im Abendblatt über seine Pläne bis zur geplanten Eröffnung im Frühjahr 2012.

Abendblatt:

Mit dem Sabbatical, von dem Sie kürzlich geträumt haben, wird's jetzt wohl nichts.

Christoph Lieben-Seutter:

Nein, jetzt kann die Planung endlich wieder mit Volldampf vorangehen.



Abendblatt:

Wann geht das erste Konzert über die Bühne der fertigen Elbphilharmonie?

Lieben-Seutter:

Ende April, Anfang Mai 2012. Dieser Termin ist so neu, dass ich ihn noch nicht mit den Orchestern abstimmen konnte. Der NDR hat ja als Residenzorchester das Recht des ersten Abends.



Abendblatt:

Das wäre dann die kürzeste Saison des Universums, weil sie normalerweise im Juni schon wieder enden würde.

Lieben-Seutter:

Da werden wir ein großes Eröffnungsfestival machen und feiern, bis im September die nächste normale Spielzeit beginnt.



Abendblatt:

Es geht also erst nach der nächsten Bürgerschaftswahl los.

Lieben-Seutter:

Eindeutig ja.



Abendblatt:

Hat der Wahltermin zwischendurch mal eine Rolle gespielt?

Lieben-Seutter:

Das wurde immer groß vermutet. Aber die Ansage vom Bürgermeister war, es soll fertig sein, wenn es fertig ist.



Abendblatt:

Wir wüssten gern, wer wohl so alles in der Eröffnungswoche spielt.

Lieben-Seutter:

Das glaube ich gerne. Aber wir müssen alles komplett neu zusammenstellen. Neuer Termin, neues Spiel.



Abendblatt:

Ist auf der Bau-Seite alles geklärt, haben Sie jetzt wirklich konzeptionelle und finanzielle Planungssicherheit im Backstage- und Infrastruktur-Bereich?

Lieben-Seutter:

Bis zur letzten Türklinke ist es noch nicht ganz durch, aber alles, was kritisch ist, ist jetzt berücksichtigt. Es wird nicht nur ein funktionierendes, sondern ein sehr gutes Konzerthaus.



Abendblatt:

Ab wann dürfen die Musiker hinein?

Lieben-Seutter:

Der große Saal wird uns am 30. Oktober 2011 übergeben, einen Monat vor der Gesamtfertigstellung - mit eingebauter, aber noch nicht gestimmter Orgel. Dann haben wir ein halbes Jahr, um das Haus spielfertig zu machen.



Abendblatt:

Was ist als Nächstes konkret als Vorgeschmack geplant?

Lieben-Seutter:

Die hauseigenen "m-Konzerte" der Laeiszhalle werden ab der nächsten Saison durch ein neues Konzept abgelöst, sie finden dann nicht mehr nur in der Laeiszhalle statt, sondern auch an anderen Orten der Stadt - Handelskammer, Kirchen, in Schulen, in der Fabrik - und werden kontinuierlich erweitert. In der nächsten Spielzeit bestreiten drei Residenzkünstler jeweils mehrere Konzerte. Festivals sind noch nicht dabei, aber Termine, zu denen sich Themen ballen.



Abendblatt:

Sie haben viel Koordinationsbedarf mit den anderen Anbietern, das Thema Runder Tisch steht schon lange zur Debatte. Steht er demnächst auch tatsächlich im Raum?

Lieben-Seutter:

Wir sprechen laufend miteinander, die einen mehr, die anderen weniger, in kleineren und größeren Runden. Der große runde Tisch ist wohl eher ein Schlagwort, nach dem vor allem diejenigen rufen, die um ihre bisherige Monopolstellung fürchten. Dabei sollte es nicht um das Abstecken von Claims gehen, sondern vielmehr darum, gemeinsam das Hamburger Musikangebot zu optimieren und neues Publikum zu gewinnen.



Abendblatt:

Im Wiener "Kurier" wurden Sie kürzlich mit dem Satz über Hamburg zitiert: "Ich war vorgewarnt." Was heißt das, wenn man wie Sie aus der Intrigen-Hochburg Wien kommt?

Lieben-Seutter:

Dass die Hamburger Klassikszene so ihre Eigenheiten hat, aber das trifft wohl auch auf viele andere Städte zu.



Abendblatt:

Ist Hamburg intriganter als Wien?

Lieben-Seutter:

Das ist für mich nicht die Frage. In Wien hat die Musik eine selbstverständlichere Rolle in der Gesellschaft, ist anders akzeptiert, dort ist vielleicht weniger Basisarbeit nötig.



Abendblatt:

In der Stadt hat eine ganze Reihe von Sponsoren viel Geld gegeben für das Projekt - wie war bei denen die Stimmung vor der Einigung?

Lieben-Seutter:

Von den kulturbegeisterten Hamburgern habe ich zu 95 Prozent immer nur Zuspruch erfahren, in den verschiedensten gesellschaftlichen Kreisen, auch in der Zeit, wo wir von den Schlagzeilen gejagt worden sind. Dass sich Stifter und Spender Sorgen machen und sich vielleicht fragen, ob ihr Geld bei der Elbphilharmonie gut eingesetzt ist, ist ja höchst verständlich. Die wichtigsten Geldgeber wurden schon vor Wochen eingebunden und über die Vorgänge informiert, dabei war eine richtige Aufbruchstimmung zu spüren.



Abendblatt:

Wenn Sie derzeit in Leserbriefspalten und Online-Foren schauen und die heftige Ablehnung des Projekts sehen - macht Ihnen das nicht Bauchschmerzen?

Lieben-Seutter:

Es gibt dort ja auch viele positive Stimmen, aber natürlich ist jede negative Stimme betrüblich. Ressentiments sind beim Thema Hochkultur nicht ganz vermeidbar. Man wird nie die gesamte Bevölkerung geschlossen hinter Theater, Musik, Konzert stehen haben.



Abendblatt:

Was werden Sie konkret unternehmen, um diese Ablehnung zu verringern?

Lieben-Seutter:

Wir werden zeigen, worum es in der Elbphilharmonie geht - um die Musik. Ab nächsten Sommer, also lange vor der Fertigstellung, wird es Elbphilharmonie-Konzerte geben. Gratiskonzerte, vielleicht auch Open Airs und auch nicht nur Klassik. Und wenn die Elbphilharmonie in ihrer ganzen Pracht dasteht und wir schon vor der Eröffnung Begehungen und Probenbesuche anbieten können, werden die Leute sagen: Das hat sich ausgezahlt.



Abendblatt:

Wann sind Qualität und Anspruch des Elbphilharmonie-Programms sichtbar?

Lieben-Seutter:

Den Qualitätsanspruch haben wir schon jetzt. Die Hamburger Orchester und Veranstalter, die ja auch den Großteil des Elbphilharmonie-Programms bestreiten werden, rüsten merkbar auf. Was unsere eigenen Veranstaltungen betrifft, so können wir schon jetzt bei den m-Konzerten in der Laeiszhalle über 600 neue Abonnenten verzeichnen - die, wir haben das abgefragt, den anderen Veranstaltern nicht fehlen. Dank der Kooperation mit Nordic Concerts können wir hochkarätige Gastorchester zu moderaten Preisen präsentieren. Aus der soeben veröffentlichten Liste der 20 weltbesten Orchester holen wir eine ganze Reihe in den nächsten Jahren nach Hamburg, auch schon vor der Eröffnung des neuen Hauses.



Abendblatt:

Sind mit der Einigung auch Ihre Überlegungen hinfällig, alles hinzuwerfen?

Lieben-Seutter:

Ich hatte immer vor, rund zehn Jahre in Hamburg zu bleiben. Da ich erst ab der Eröffnung 2012 meinen eigentlichen Auftrag erfüllen kann, freue ich mich darauf, das Haus auch ein paar Jahre lang zu bespielen.