Der Hamburger Ex-Justizsenator war dabei, als die 79-Jährige am vergangenen Sonnabend in Würzburg freiwillig einen tödlichen Giftcocktail trank.

Bedeutungsschwer blickt Roger Kusch durch den eiligst gebuchten Salon "Rostock" im SAS-Radisson-Hotel am Dammtor. Er entschuldigt sich dafür, dass er nicht früher habe einladen können, und sagt, er wolle heute "die näheren Umstände des begleiteten Suizides, die am Samstag sich ereignet haben", offenlegen. Der Ex-Senator ist nervös, offensichtlich. Neben sich hat er einen Flachbildschirm aufbauen lassen. Er hoffe, die Technik werde ihn nicht im Stich lassen. Er wolle Video-Aufnahmen präsentieren, "die einen Eindruck von Frau Sch. geben, die am Samstag freiwillig aus dem Leben geschieden ist". Die Technik funktioniert. Sie funktionierte auch am Sonnabend. Bettina Sch. ist tot. Sie starb zwei Monate vor ihrem 80. Geburtstag in Würzburg - begleitet von Hamburgs Ex-Justizsenator Roger Kusch (53) an einem Mix aus Chloroquin und Diazepam, einem Malaria- und einem Beruhigungsmittel. Kusch filmte ihren Tod.

Kusch trägt seinen Leitgedanken vor: Das Recht auf Selbstbestimmung müsse bis zum letzten Atemzug gelten. Das habe er schon als Senator gesagt, dem wolle er, "was ja bei Politikern nicht häufig ist", Taten folgen lassen. Wie kam er an seine erste "Sterbepatientin", an die Frau, an der er seinen Tatendrang demonstriert? Bettina Sch., Jahrgang 1928, Sternzeichen Jungfrau, ehemalige Krankenschwester, bis auf einen noch nicht näher untersuchten Knoten im Gewebe gesund, aber altersschwach und offenbar einsam, hatte sich an den Senat gewandt, um von Kusch mehr über dessen Tötungsapparat zu erfahren. Er telefonierte mit ihr, besuchte sie dreimal. Eine gewisse Nähe wird offensichtlich, als Kusch das Video startet: Bettina Sch. sitzt rauchend, im Kittel, eine Decke im Rücken, auf einem Sessel. Kusch lehnt sich zu ihr. Es könne immer schiefgehen, hört man Kusch im Video dozieren, aber nach seinen Recherchen sei in Deutschland noch kein Suizid mit den genannten Medikamenten schiefgegangen. Es gebe Ärzte, die das durchgeführt hätten, sagt Kusch. Aber natürlich nicht öffentlich.

Bettina Sch. sagt, sie habe seit Wochen das Haus nicht verlassen. Sie spüre, dass sie sich nicht mehr lange werden versorgen können. "In ein Pflegeheim zu gehen, entspricht nicht meinen Vorstellungen von einem selbstbestimmten Leben", sagt sie. Und: "Das Essen ist oft nur Pflicht, weil ich ja bis zum Tode am Leben bleiben muss." Sie scherzt mit Kusch, er fragt, ob es sein könne, dass sie am Ende noch mit dem tödlichen Becher in die Kamera prosten werde. Sie sagt, dass ihr Tod für alle von Vorteil sein könnte - wenn er dazu beitrage, dass die Politiker den begleiteten Suizid vereinfachten. Bettina Sch. trank am Sonnabend um 13.30 und 13.45 Uhr, so berichtet Kusch, in seinem Beisein zwei Becher Gift. Zuerst das Diazepam, dann das Chloroquin. Sie löffelte süßen Sirup hinterher. Gegen den bitteren Geschmack. Zwischendurch unterhielten sich Kusch und Sch. Nach dem zweiten Becher ging Kusch aus der Wohnung, "wegen der eigenen Straflosigkeit", wie Kusch sagt. Wäre er geblieben, hätte er wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden können. Die Kamera lief weiter. Das Weggehen sei eine erhebliche Belastung für ihn gewesen. Über die Regungen der Suizidantin berichtet Kusch nichts. Man habe sich verabschiedet, festgestellt, dass weder "Auf Wiedersehen", noch "Lebe wohl" passend gewesen seien. Um 16.30 kehrte Kusch zurück, fand Bettina Sch. in "schlafähnlichem Zustand".

Einen 20-Jährigen mit Liebeskummer würde er nicht in den Tod begleiten, sagt Kusch, das müsse strafbar bleiben. Aber wo die Grenzen sind, das könne er so auch nicht sagen: "Ich habe keinen persönlichen Maßstab, die Endgültigkeit des Sterbewunsches zu beurteilen", gibt Kusch zu. Sterbehilfe als Gefühlsentscheidung? Ein medizinisch-psychiatrisches Gutachten habe die volle Zurechnungsfähigkeit bei Bettina Sch. erwiesen, fällt dem Ex-Senator dazu ein. Sein Tötungsautomat, der hier nicht zum Einsatz kam, weil die "Patientin" noch schlucken konnte, bleibe einsatzbereit.

Ob er zukünftig Geld für seine Dienste wolle, könne er nicht sagen, so Kusch: "Dafür stehe ich noch zu sehr unter dem Eindruck des Geschehens, an dem ich beteiligt war."