Richter erteilte auch ein fünfjähriges Berufsverbot für die Anästhesistin. Sie hatte dem Jungen eine tödliche Infusion verabreicht. Tränen laufen über ihr Gesicht. Die Stimme droht Jessica W. zu versagen, jetzt, in diesem Moment, auf den sie seit fast zwei Jahren gewartet hat.
Der Moment, bevor im Prozess das Urteil gesprochen werden soll über die Ärztin, die für den Tod ihres kleinen Sohnes Franjo verantwortlich ist. Sie wolle nur, sagt Jessica W. schluchzend, dass "niemand, egal, was er damit zu tun hat, das vergisst". Die Medizinerin Petra O. wird Franjo bestimmt nicht vergessen. Weil sie mit der Schuld am Tod des Vierjährigen leben muss. Und weil sie deswegen zu einer deutlichen Freiheitsstrafe verurteilt wurde: Ein Jahr und zehn Monate Haft ohne Bewährung wegen fahrlässiger Tötung lautete gestern die Entscheidung des Amtsgerichts Wandsbek gegen die 49-Jährige. Zusätzlich verhängte der Amtsrichter ein fünfjähriges Berufsverbot für die Medizinerin.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Bewährungsstrafe von anderthalb Jahren und 10 000 Euro Geldbuße gefordert. Der Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert. Als das Urteil gesprochen ist, schlägt die Angeklagte die Hände vors Gesicht. Wie erstarrt folgt die Frau, die ihren Kopf mit einem bunten Kopftuch verhüllt hat, dann der Urteilsbegründung. Das Handeln der Anästhesistin sei kein Momentversagen gewesen, "sondern ein ganz kapitaler ärztlicher Kunstfehler", betont Amtsrichter Maximilian Rehder. Der kleine Franjo hatte am 7. August 2006 nach einer Routineoperation wegen einer Vorhautverengung im Kinderkrankenhaus Wilhelmstift einen Fieberkrampf bekommen. Die Ärztin hatte daraufhin die Gabe von Glukose angeordnet. 500 Milliliter einer 40-prozentigen Lösung liefen schließlich als Infusion in den kleinen Körper des Vierjährigen. Franjos Zustand verschlechterte sich daraufhin dramatisch. Über Stunden kämpften Ärzte um sein Leben - vergebens. Das Hirn des Vierjährigen war durch die Überdosierung der Glukose so stark angeschwollen, dass es zum Hirntod kam. Kurz vor seinem Tod war Franjo noch getauft worden. Das war Franjos Mutter Jessica W. wichtig.
Die Hirnschwellung sei eingetreten durch die "extreme, geradezu irrwitzige Infusierung", hatte der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, Klaus Püschel, als Sachverständiger im Prozess angegeben. Er sei "überzeugt", dass zu dem Zeitpunkt, als die Infusion komplett verabreicht worden war, "das sein Todesurteil war". Franjo sei nicht mehr zu retten gewesen.
Dabei war die Ärztin gewarnt worden. Als sie nach der 500-Milliliter-Flasche Glukose gegriffen hatte, hatte eine Krankenschwester erhebliche Bedenken angemeldet. Und schließlich, als Petra O. darauf bestand, dem Kind die Lösung zu verabreichen, hatte sie verlangt, dass diese ungewöhnlich hohe Dosierung dokumentiert werden solle. Das sei so, "als gebe man dem Kind Apfelsaft", hatte die Medizinerin beharrt. Und zu Franjos Mutter sagte sie: "Die Infusion tut ihm einfach gut. Dann ist das durch, dann kann er nach Hause."
Die Ärztin müsse "überzeugt gewesen sein, das Richtige zu tun", sagt Richter Rehder in der Urteilsbegründung. Die Behauptung der Ärztin im Prozess, sie habe nur einen kleinen Teil der Glukosemenge verabreichen wollen, sei aber durch einen Notfall abgelenkt worden, sieht er als widerlegt an. Auch hatte die Angeklagte gesagt, sie habe ihre Kollegen über die verabreichte Glukosemenge informiert. Damit habe sie versucht, die Schuld auf Kollegen abzuwälzen, sagt der Richter. Denn nach Aussage aller Zeugen hatte sie genau das verschwiegen.
"Selbst wenn das Kind nicht zu retten gewesen ist, ist es ein unmögliches Verhalten, das zu verschweigen", betont der Amtsrichter. Jeder Mensch mache Fehler, auch Ärzte. "Aber auch von einem Arzt ist zu fordern, dass er den Fehler einräumt, um den Patienten zu retten." Mit ihrem Verhalten habe Petra O. "dem Ansehen der Ärzteschaft ganz erheblichen Schaden zugefügt". Dass die Ärztin trotz der Bedenken der Krankenschwester auf der Vergabe der 500-Milliliter-Lösung beharrte, vergleicht der Richter mit einem Autofahrer, der auf eine rote Ampel zufährt, vom Beifahrer noch darauf hingewiesen wird und trotzdem Gas gibt. Abgesehen von Petra O. habe "sich niemand falsch verhalten", betont Rehder. Zur Bewährung könne die Strafe für die Ärztin nach seiner Überzeugung nicht ausgesetzt werden. Dagegen spreche unter anderem, dass sie versucht habe, die Schuld auf andere abzuwälzen. Und auch, dass sie vor dem Prozess nicht einmal versucht habe, Kontakt mit der Mutter des toten Kindes aufzunehmen. In der Verhandlung hatte die Medizinerin noch zu Jessica W. gesagt: "Ich hoffe, Sie können mir einmal vergeben, irgendwann."