Richter: Angeklagter half, gewaltiges Unrecht zu verwirklichen. Die Verteidigung kündigt erneut Revision an. Motassadeq in U-Haft.
Mounir El Motassadeq (32) schaut zu Boden, verzweifelt, ausgelaugt, als er das Urteil hört: 15 Jahre Haft. Es ist kurz nach 19.30 Uhr, als der Vorsitzende Richter Carsten Beckmann (48) des 7. Strafsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) die Strafe verkündet und sagt: "Ich weiß gar nicht, ob das sehr überraschend war, nein, sicherlich nicht wirklich." Der Marokkaner, Helfer der Terroristen des 11. September 2001, streicht sich nervös über seinen Bart, als Beckmann ergänzt: "In diesem Verfahren war für die Verteidigung nichts zu gewinnen."
Es ist das voraussichtliche Ende eines jahrelangen Verfahrens, insgesamt dreimal stand Motassadeq in Hamburg vor Gericht. Der 7. OLG-Strafsenat musste nun nur noch festlegen, wie hoch die Strafe ausfällt für Motassadeq. Denn: Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte ihn im November der Beihilfe zum Mord in 246 Fällen sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung für schuldig befunden. Er habe gewusst, dass zumindest ein Flugzeug zum Absturz gebracht werden sollte.
Richter Beckmann spricht vom "gewaltigen Unrecht, was da verwirklicht wurde". Motassadeq half, die persönlichen Angelegenheiten für Mitglieder der Hamburger Gruppe um Todespilot Mohammed Atta zu verschleiern - während sie zum Teil in den USA die Piloten-Ausbildung machten.
Beckmann spricht Klartext: "Der Angeklagte hat mitgeholfen, 246 Menschen zu ermorden, 246 Leben auszulöschen. Wer dabei mithilft, der hat eine hohe Strafe verdient." Obwohl Motassadeq nicht vorbestraft war, nur in der unteren Hierarchie der Terroristen stand, nur in die Anschlagsvorbereitung eingebunden war: Die Tat wiege so schwer, dass die Höchststrafe geboten sei. Zuvor hatte Motassadeq noch mal gekämpft, emotional bewegt, aggressiv - zum Teil in einem aufwühlenden Dialog mit Dominic J. Puopolo jr., der am Terror-Prozess als Nebenkläger teilnahm. Seine Mutter Sonia (61) starb in der Boeing 767, die sich am 11. September 2001 in den Nordturm des World Trade Centers bohrte. "Ich verstehe Ihr Leid", sagt Motassadeq laut, beteuert dann erneut seine Unschuld. Und jammert: "Meine Zukunft, meine Familie ist ruiniert." Puopolo spricht vom unermesslichen Leid, das er und seine Familie erlitten haben. "Ihr Leben ist noch nicht vorüber, Sie können Ihr Leben wieder aufbauen - andere können das nicht mehr."
Motassadeq greift Bundesanwalt Walter Hemberger an, es sprudelt aus dem Angeklagten heraus, als ob ein Damm bricht: Hemberger sei auch ein Lügner, drehe sich seine eigene Wahrheit zurecht, echauffiert sich Motassadeq. "Sie müssen sich später bei Gott zur Verantwortung stellen!", brüllt der Angeklagte. Hemberger indes zeigt in seinem Plädoyer deutlich auf, dass Motassadeq stetig gelogen habe. Und: Der Marokkaner habe das Gastrecht missbraucht. "Sie haben auf Kosten der deutschen Steuerzahler die deutsche Sprache gelernt, studiert, hatten sogar noch Unterstützung." Erleichtert verlässt Puopolo nach dem fast zehnstündigen Prozess-Marathon gegen 20.30 Uhr das Strafjustizgebäude. "Es ist ein historischer Tag für die Opfer-Familien, die Gerechtigkeit hat gesiegt", sagt er matt.