Betroffene berichten, wie es ist, wenn das Gehör geschädigt ist.

Anna (16) steht an einem Gleis im Hamburger Hauptbahnhof. Eine S-Bahn fährt ein. Die Anzeigetafel zeigt: "Bitte Ansage beachten!" Aus dem Lautsprecher ertönen unverständliche Sätze. Anna bekommt nur mit: "Dort . . . umsteigen." Und: "Von dort bis . . ." Mehr versteht sie nicht. Sicherheitshalber fragt sie einen Mann, ob die S-Bahn Richtung Poppenbüttel fährt. Der Mann nickt mit dem Kopf, zeigt aber mit einem Finger in die entgegengesetzte Richtung und nuschelt dabei. Anna hat es nicht verstanden und fragt nochmals nach. Nun wird der Mann ungeduldig. Und ärgerlich. Kopfschüttelnd wendet er sich ab. Situationen wie diese erlebt Anna häufig: Sie ist schwerhörig. Schwerhörige können Töne, Geräusche und Sprache nur eingeschränkt wahrnehmen. Hörgeräte sind wichtige Hilfen, können aber den Hörverlust nicht ganz ausgleichen. Schwerhörige nutzen ihr Restgehör, und viele sind zusätzlich darauf angewiesen, die Sprache von den Lippen abzusehen. Die natürliche Sprachentwicklung ist häufig beeinträchtigt, und bei der Kommunikation ist der Schwerhörige oft verunsichert, weil eine vollständige Sprachaufnahme nicht gelingt. Bei Gehörlosen ist die Sprachaufnahme noch schwieriger. Denn der Unterschied zwischen Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit ist, dass Gehörlose Töne, Geräusche und Sprache kaum oder gar nicht hören. Hörgeräte können diesen Hörverlust nicht ausgleichen. Deshalb ist der Gehörlose in der Kommunikation mit gut Hörenden auf das Absehen von den Lippen und das Beobachten der Körpersprache angewiesen. Tritt der Hörverlust schon in der frühen Kindheit ein, ist so keine natürliche Sprachentwicklung möglich. Auf künstlichem Weg muss der Gehörlose Wörter, Sätze und die Aussprache lernen. Seine Aussprache ist oft schwer verständlich, weil er wegen des fehlenden Gehörs seine Sprechweise nicht kontrollieren kann. Die Gefahr der Isolation ist für Gehörlose sehr groß. In der hörenden Umwelt finden Hörgeschädigte nur schwer einen Ausbildungs- beziehungsweise Arbeitsplatz, weil sie beispielsweise bei Konferenzen, Telefonaten oder Gesprächen akustisch nicht immer folgen können. Hörgeschädigte haben die Möglichkeit, sich bei Bildungszentren für Hörbehinderte in Essen, Leipzig, Husum, Oldenburg oder Hildesheim um einen Ausbildungsplatz zu bewerben. Solche Zentren haben allerdings den einen Nachteil, dass man dort in der Regel nur handwerkliche Berufe lernen kann: Tischler, Zahntechniker, Schneider, Gärtner etc. Wer von den Betroffenen aber zum Beispiel Arzthelferin oder Fotograf werden möchte, hat schlechte Chancen.

Henrike Wöhler, Ann-Christin Hoppe, 10 Schule für Hörgeschädigte