Wenn es im Zuge der Krise mehr Arbeitslose gibt, steigen die Kosten drastisch. 2000 Langzeitarbeitslose mehr kosten 15 Millionen Euro.

Hamburger Abendblatt:

Der Etat der Sozialbehörde ist im Haushalt 2009/2010 mit 2,4 Milliarden Euro jährlich wieder der größte Einzeletat. Wollte die CDU nicht weg vom Wohlfahrtssystem?

Dietrich Wersich:

Unsere Sozialpolitik hat nichts mit der reinen Umverteilungspolitik früherer Jahre zu tun. Mit dem Geld sollen Menschen unterstützt werden, ihre Probleme zu überwinden und wieder mehr Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, außerdem werden Familien und Kinder gefördert. Die Schuldnerberatung wird ausgebaut, die Sprachförderung verbessert. Der Ausbau der Kindertagesbetreuung trägt dazu bei, die Bildungschancen zu erhöhen, und hilft Eltern, Beruf und Familie zu vereinbaren. Das ist auch eine Maßnahme gegen Kinderarmut.



Abendblatt:

Glauben Sie, dass das eingeplante Geld angesichts der krisenhaften Entwicklung reicht?

Wersich:

Wenn Arbeitslosigkeit zunimmt, werden wir auch mehr Geld für Sozialleistungen ausgeben müssen. 2000 Langzeitarbeitslose mehr als aktuell würden 2009 zum Beispiel rund 15 Millionen Euro Mehrkosten im Sozialetat bedeuten. Deshalb ist die Förderung von Beschäftigung auch Sozialpolitik.



Abendblatt:

Prognostizierte 574 Millionen Euro gibt die Stadt 2009 für Mietzuschüsse und Mietnebenkosten von rund 220 000 Menschen aus. Warum ist diese Summe so hoch - schließlich ist Hamburg eine der reichsten Regionen Europas?

Wersich:

Ja, wir haben viele wohlhabende Menschen in Hamburg, aber damit nicht automatisch auch viele Arme. Die Zahl derjenigen, die auf soziale Unterstützung angewiesen sind, ist deutlich niedriger als zum Beispiel in Bremen, Hannover oder Berlin.



Abendblatt:

Erst hatte die CDU das Sozialticket abgeschafft, nun wird es wieder eingeführt. Was soll das?

Wersich:

Wir haben nicht das alte Sozialticket wieder eingeführt, sondern den Nachlass für Zeitkarten von fünf auf 18 Euro monatlich erhöht. Darauf hatten wir uns in der Koalition verständigt.



Abendblatt:

Im Etat finden sich jetzt Wohnprojekte für von Zwangsheirat bedrohte Frauen oder interkulturelle Opferberatung - ist das die grüne Handschrift in der Sozialpolitik?

Wersich:

Nein. Wir haben zwar eine gemeinsame Koalition, aber die CDU hatte bereits in den vergangenen Jahren in der Sozialpolitik umgesteuert, und das wird jetzt weiter fortgesetzt.



Abendblatt:

Ist Hamburgs CDU auf dem Weg zu Multikulti?

Wersich:

Integration ist nicht nur "Multikulti", sondern muss auf den Werten des Grundgesetzes erfolgen. So haben wir zum Beispiel als CDU-Senat das EU-Projekt gegen Zwangsheirat initiiert und Opferberatungsstellen eingerichtet. Das Wohnprojekt ist ein weiterer Schritt, den wir nun gemeinsam gehen. Der Sozialhaushalt ist im Übrigen ein gemeinsamer Haushalt von CDU und GAL. Das kostenfreie letzte Kita-Jahr war ein grüner Programmpunkt, die CDU hatte in ihrem Programm die Ausweitung des Kita-Rechtsanspruchs. Jetzt machen wir beides.



Abendblatt:

Sind die hohen Sozialausgaben angesichts einer wirtschaftlichen Krise überhaupt zu rechtfertigen?

Wersich:

Sozial- und Gesundheitssektor bilden inzwischen ganz wesentliche Wirtschaftsfaktoren in Hamburg. Das zeigte auch neulich die Abendblatt-Liste der 200 größten Firmen, darunter waren 36 Unternehmen dieser Branchen. Von denen 2009 übrigens 19 Personal aufstocken wollen und nur zwei mit Abbau rechnen. Mit unseren Investitionen will ich auch neue Arbeitsplätze ermöglichen, zum Beispiel in der Gesundheitsbranche oder im Bereich der Kinderbetreuung. Das ist alles wirtschaftliche Aktivität, Dienstleistung am Menschen. Das ist ja nicht weniger wert als Autos zu bauen. Auf der anderen Seite unterstützen wir die Menschen, die derzeit zum Beispiel auf Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe angewiesen sind, um wieder auf die Füße zu kommen. Es wäre gefährlich, Menschen einfach abzuschreiben, weil wir dann Zustände bekämen, wie sie zum Teil in Frankreich oder England herrschen.