Es muss nicht immer Berlin sein: 1500 Designer leben in der Hansestadt. Vier von ihnen berichten, was sie inspiriert, aber auch, was fehlt: zum Beispiel eine Modenschau.
Schwarze Wände, grelles Design, übergroße Sweatshirts und silberne Frittengabeln als Kettenanhänger. Das auf den ersten Blick düster wirkende Atelier von Bitten Stetter (37) liegt an der Stresemannstraße, könnte aber auch in Berlin-Mitte sein. Oder eben auch nicht: "Ich war mal eine kurze Zeit in Berlin, aber richtig verbunden fühle ich mich nur mit Hamburg", sagt die Modedesignerin. "Außerdem sind alle in Berlin, da geht man als Kreativer schnell in der Masse unter. Und man verbringt zu viel Zeit, um von A nach B zu kommen. Kostbare Zeit, die bezahlt einem ja keiner."
Stimmt es also, dass man als Jungdesigner ins wilde Berlin zieht, sich inspirieren lässt und dann nach Hamburg zurückkehrt, um Geld zu verdienen? "Nein, ich bin hier viel besser vernetzt. Und es gibt keinen anregenderen Ort als den Hafen. Die Schiffe, die ein- und ausfahren. Es ist immer alles in Bewegung. Dabei fließen die Ideen nur so." Park Fiction und der Golden Pudel Club sind ihre Lieblingsplätze: "Dort findet man einen guten Austausch zwischen Jung und Alt und trifft individuelle Menschen."
Seit Dezember 2008 entwirft und verkauft die Modedesignerin ihre Kollektionen in Altona. Als Designerin arbeitet Bitten Stetter aber schon seit 13 Jahren. Richtig bekannt ist sie außerhalb Hamburgs, verkauft ihre Mode hauptsächlich nach Hongkong und Japan. Schon als Studentin an der Armgartstraße wurde ein Pariser Büro auf die Hamburgerin aufmerksam, ihre erste Kollektion zeigte sie in Paris und nicht in Hamburg (abgesehen von kleineren Hochschul-Events).
Kreative Klasse! Die hat Hamburg genauso wie Berlin. Manch ein Zukunftsforscher hat Hamburgs intellektuelle Energie gar mit London verglichen. "Doch ebenso wie die Elbphilharmonie noch ein virtuelles Etwas ist, sind Hamburgs Träume von einer Kreativmetropole noch nicht in Erfüllung gegangen", heißt es im Report "Zukunft Deutschland 2020" vom Zukunftsinstitut in Kelkheim. Diese Vision sieht John Ribbe skeptisch. Der Modedesigner zog zwar vor fünf Jahren mit seinem Designatelier von Paris nach Hamburg, "aber ich war nicht auf der Suche nach einer Modemetropole, denn hier gibt es keine. Mode hat in Deutschland nicht den kulturellen Wert, den sie in Frankreich, Italien oder Japan hat." Dafür habe Hamburg eine fabelhafte Lebensqualität: "Genau das, was ich als Designer brauche und in Paris vermisse."
"Hamburg hat ein riesiges kreatives Potenzial, macht aber nichts daraus", kritisiert Silke Wilhelm (34). Die Hamburgerin zog 2003 mit ihrem Label Silke Wilhelm I. als Pionier in die Speicherstadt, hat gerade ein eigenes Parfum auf den Markt gebracht, seit zwei Jahren zeigt sie ihre romantischen Kollektionen in einem Showroom in Paris während der großen Modenschauen. "In Berlin sitzen meine Schnittdirectricen. Hamburg ist Businessstadt, hier sind alle Handelspartner. Um in Ruhe kreativ zu arbeiten, kann man sich hierhin wunderbar zurückziehen. Zeigen muss man sich woanders." Ihre Energie zieht sie aus Spaziergängen an der Elbe, morgens im Cafe "Erste Liebe" an der Michaelisbrücke ("Dort ist es ein bisschen wie in Paris!") oder in ihrem Loft, hoch über den Dächern von Hamburg.
"Im ersten Jahr hatten wir nicht einmal eine Heizung, aber das gehörte irgendwie dazu. Dafür war das Viertel überhaupt nicht mit einem Stil besetzt. Die beste Voraussetzung für einen Designer." Rund 5 000 Quadratmeter feinste Loftfläche bietet die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) im Speicher R3 kreativen Mietern aus der Mode-, Möbel- und Werbebranche zur freien Gestaltung. Auf diese Weise hat sich mittlerweile ein ganzer "Modespeicher" gefüllt. Rainer Nelde, verantwortlich für Vermietung und Verwaltung: "Nichts ist gleich. Die Gebäude erzählen alle eine Geschichte, sind sehr mit Tradition behaftet. Ich glaube, dass gerade diese Seele der Speicherstadt die Designer inspiriert." Ein erster zentraler Anziehungspunkt für Kunden und Modeinteressierte ist so entstanden.
Doch was der Stadt fehlt, ist eine Plattform, ein großes Event, bei dem sich alle 1500 Designer präsentieren und austauschen können. Ein Fashion Day. Es muss ja nicht gleich eine ganze Woche sein (im Übrigen besteht die Berliner Fashion Week streng genommen auch nur aus einem verlängerten Wochenende). Mit dem "designxport" könnte dieser kühne Plan schon in naher Zukunft realisiert werden: Mitten in der HafenCity soll 2011 eine temporäre Präsentationsfläche von 600 Quadratmetern mit Shop und Gastronomie entstehen. "Dann könnten hier auch regelmäßige Modenschauen stattfinden", sagt Babette Peters. Mit einem jährlichen Budget von 150 000 Euro wird sie nicht weit kommen. "Neben Sponsoren und Mitgliedsbeiträgen bin ich auf die Kooperation der Designer angewiesen. Mode ist ein nun mal ein teures Geschäft."
Mit gutem Beispiel voran gehen die Eppendorfer Designer Stefan Harm und Tobias Jopp. Vor Kurzem feierten die Macher des Labels FKK im Kultwerk West eine große Party, mixten Modenschau, Musik und Fotoausstellung zu einem Fashion Battle. "So bekommt man Öffentlichkeit", lobt Babette Peters. "Hamburg hat sich gefunden. Der Stil ist understatet, dabei aber nicht unterkühlt wie so manches Vorurteil, sondern eher zurückhaltend und sexy dabei", sagt Designer Stefan Harm.
Befreiende Schlichtheit. Das ist es auch, was Tonja Zeller (37) immer wieder an Hamburg fasziniert. Sie hat sich von ihrem 2008 gewonnenen Innovationspreis für Mode und Textil den Traum vom eigenen Atelier an der Elbchaussee verwirklicht, arbeitet oft in Düsseldorf: "Nach ein paar Tagen in der Düsseldorfer Schickeria bin ich immer sehr froh, wieder in Hamburg zu sein", sagt die Nachwuchsdesignerin, die von Jil Sander schwärmt, in der Schanze wohnt, aber ansonsten am liebsten allein ist, in Planten und Blomen oder am Altonaer Balkon spazieren geht. Allerdings sei es sehr schwer, sich als Modedesignerin in Hamburg zu etablieren: "Viele Leute trauen sich nicht, ihren eigenen Stil zu finden und kleinere Labels zu entdecken. Lieber verlassen sie sich auf die Wirkung großer Marken."
Mehr Mut - das wünscht sich Bitten Stetter auch insgesamt für die Stadt, um international zu konkurrieren. Die Designer haben einen Anfang gemacht und Mut bewiesen. Sie glauben an die Stadt, auch, wenn Hamburg keine Modemetropole ist. Noch nicht.