Mit den Aufklärern der Plagiatsfälle Guttenberg und Koch-Mehrin stimmt etwas nicht. Abendblatt-Autorin eröffnet Debatte über moderne Blogwarte.
Gewiss, es ist wichtig und richtig, Politiker beim Lügen zu erwischen. Und möglicherweise ist auch das Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen befriedigt, wenn die beim Täuschen, Fälschen und Plagiieren Ertappten für ihre Taten büßen, indem sie auf ihre lukrativen, öffentlichkeitswirksamen Ämter verzichten müssen. Denn diese Strafe ist bitter und schmerzt. Jeder, der Macht verliert, leidet darunter, nun nicht mehr täglich vor aller Welt "wichtig" zu sein, keinen Stab von Mitarbeitern mehr befehligen zu können und für die Umgebung unsichtbar zu werden. Einer von vielen zu sein, nichts Besonderes mehr.
Nachdem man dem ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nachweisen konnte, dass seine Dissertation in weiten Teilen abgeschrieben war - und viele glauben, nicht einmal von ihm selbst -, nachdem die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Silvana Koch-Mehrin, wegen Plagiatsvorwürfen zurückgetreten ist, scheint nun aber ein neuer Volkssport ausgebrochen zu sein. Eine Gruppe von Menschen fühlt sich dazu berufen, in fremden Doktorarbeiten, ja sogar Diplomarbeiten herumzustochern und zu stöbern, um nach Stellen zu suchen. Das Unanständige dieser Stellen besteht dann darin, dass sie abgekupfert sind, abgeschrieben, plagiiert.
+++ Jäger und Gejagte - Alles kommt raus! +++
Auf der Webseite PlagiPedi Wiki stehen inzwischen 200 wissenschaftliche Arbeiten von Personen des öffentlichen Lebens, in denen man Fremdtexte zu finden hofft. Deutsche-Bank-Chef Ackermann und seine Dissertation "Der Einfluss des Geldes auf das reale Wirtschaftsgeschehen" zählt dazu, auch die des Doppeldoktors (Dr. iur. und Dr. phil.) Michel Friedman, der unter anderem über "Schuldlose Verantwortung: Vorgaben der Hirnforschung für Ethik und Strafrecht" promovierte. Guido Westerwelle ("Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen") und Jürgen Trittin (mit einer "unbekannten Diplomarbeit"!) stehen auf der Liste, und der Papst ("Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche"). Fast wirkt es wie eine Liste von Zukurzgekommenen und Neidern, die Leuten, die sie nicht leiden können, mal kräftig eins überbraten wollen. Scheußlich!
Was will man nun durch das Aufdecken von Abgeschriebenem beweisen? Dass der Mensch schlecht ist, ein Angeber, Betrüger? Ach, das wussten wir vorher nicht? Glaubt irgendjemand, durch das Aufdecken gestohlener Texte in den Dissertationen von Dirk-Jens Nonnenmacher, Ex-Vorstandschef der HSH Nordbank, oder des RWE-Chefs Jürgen Großmann wirklich bisher unbekannte moralische Verwerflichkeiten zu finden? Haben Banker und Manager, so sie denn Unheil anrichten, nicht Schlimmeres getrieben, als abzuschreiben? Beispielsweise Tausende von Menschen arbeitslos gemacht oder um ihr Geld gebracht. Und was ist eigentlich mit den Nichtpromovierten vom Schlage Carsten Maschmeyer, den die Uni Hildesheim zu seinem 50. Geburtstag mit einem Ehrendoktor beschenkte? Da müsste man schon woanders suchen als in einer Dissertation. Haben wir alle, die wir ehrlich promoviert haben, nicht immer schon gewusst, dass es unter uns schwarze Schafe gibt? Leute, die mehr Schein als Sein mögen und alles dafür tun. Am liebsten Schummeln. Na und?
Die selbstgerechten Besserwisser, die nach den Fehlern anderer stöbern und auch noch stolz darauf sind, weil sie meinen "das Richtige" zu tun, sind mindestens so unangenehm wie die Betrüger. Ob sie nun mit Schwarzarbeit, falschen Abrechnungen oder Affären vom "rechten Weg" abgekommen sind. Haben wir nicht alle als Kinder die Nachbarn gehasst, die selbstgerecht hinter der Gardine lauerten, um uns beim Steinewerfen zu ertappen. Und da kannten wir Wörter wie Denunziant oder Blogwart noch gar nicht. In unserer Sprache hießen die Klugscheißer, Korinthenkacker oder Oberlehrer. Oder sind die heutigen Blogwarte besser?
Wer es nötig hat, seine Zeit damit zu verbringen, anderen Menschen ihre Fehler, Versäumnisse und Fehltritte nachzuweisen, der ist nicht moralisch integer, mit dem stimmt etwas nicht.