Der Autogipfel bei Kanzlerin Merkel soll eine neue E-Poche einläuten. Doch entschieden ist nichts - außer vielleicht, dass es bei vier Rädern bleibt.

Hamburg. Wenn Sirri Karabag seine Geschichte erzählt, sieht er manchmal so aus, als könne er selbst nicht ganz glauben, was da in den letzten zweieinhalb Jahren passiert ist. Wie aus dem Fiat-Händler an der Stresemannallee in Hamburg-Eimsbüttel quasi in null Komma nichts Deutschlands einziger ernsthafter Hersteller von Elektrofahrzeugen geworden ist. Wie er, im Grunde zufällig, allen großen Autokonzernen davongerast ist. Man könnte auch sagen: Der Kleinste ist plötzlich der Größte. Und das hat mehr mit Cleverness, Unternehmergeist und Durchsetzungsvermögen zu tun als mit einer grünen Gesinnung. "Ich habe aus der Not heraus ein Thema gelöst", sagt Sirri Karabag, "und plötzlich gemerkt: Mensch, du bist ja Monopolist."

Das Thema ergab sich 2007, als Karabag, der sich nach dem Abitur an der Ida-Ehre-Schule und einer kaufmännischen Ausbildung als Fiat-Händler selbstständig gemacht hatte, auf der IAA in Frankfurt mit Micro-Vett ins Gespräch kam. Die italienische Firma baut in Imola kleine Nutzfahrzeuge mit Elektroantrieb. Warum sollte das nicht auch beim Fiat 500 klappen?, dachte sich der 45-Jährige, dessen Vater Ende der 60er-Jahre der erste türkische Lebensmittel-Grossist in Hamburg war.

Nur 30 Monate später hatte Karabag "seinen" Fiat umgerüstet und seine Kunden darüber per Prospekt informiert. "Und dann brach hier die Hölle los." 50 000 Euro sollte die grüne Knutschkugel kosten, allein 17 000 Euro davon verschlang die Batterie. "Interessant war, dass der Preis die Leute nicht wirklich abgeschreckt hat", wundert sich Karabag noch heute. 600 (!) Bestellungen gingen in kurzer Zeit bei ihm ein. Stadtwerke, Energieversorger - alle waren im Wortsinn elektrisiert. Tanken an der Steckdose, Autos ohne Auspuff - da hatte einer im richtigen Moment die passende Antwort für den Zeitgeist. Was er nicht hatte - und damit zur Not -, waren so elementare Dinge wie eine Zulassung für Deutschland. Oder eine Garantie - denn nach dem Umbau galt die Fiat-Werksgarantie nicht mehr. Oder eine Versicherung.

Ein Hamburger Fiathändler gibtden Weltkonzernen das Tempo vor

Karabag nutzte einen privaten Kontakt zum Vorstand des TÜV-Süd. Und hielt nach dem Ausbessern von "rund 100 Fehlern" eine offizielle TÜV-Zulassung in den Händen. Er fand in der Europ Assistance einen Partner, mit dem er "in nur drei Wochen eine Elektrodrive-Garantie inklusive Mobilitätsservice" entwickelte. Er hat jetzt 80 Mitarbeiter, eine eigene Entwicklungs- und Schulungsabteilung und bildet in Hamburg Service-Leute aus, auch vom ADAC.

Rund 700 000 Euro hat Karabag in sein Elektroprojekt investiert. Und bewiesen, dass es geht. Das Problem der Autokonzerne ist seiner Meinung nach, dass sie Milliarden in die Entwicklung von neuen, sparsamen Verbrennungsmotoren gesteckt haben. Und das soll alles umsonst gewesen sein? "Das ist so, als wenn man nach einer durchzechten Nacht das fürchterliche Aufwachen hinauszögert, indem man sich einfach die Decke über den Kopf zieht."

Auch die üblichen Einwände der mangelnden Reichweite für E-Mobile lässt "der kleine Stromer", wie ihn die "Süddeutsche Zeitung" taufte, nicht gelten. Sein Karabag 500e kommt 140 Kilometer weit. Und er ist sich sicher, dass die Batterien, wenn sie erst einmal in Massenproduktion hergestellt werden, immer kleiner und leistungsfähiger werden. Und vor allem viel billiger. "Bei einer industriellen Fertigung kosten sie in fünf Jahren vielleicht noch ein Fünftel des heutigen Preises."

Was wünscht sich Karabag, der heute beim Autogipfel dabei ist, von Angela Merkel? "Ich möchte der Kanzlerin empfehlen, gemeinsam mit der Industrie über eine mögliche Fehleinschätzung der zukünftigen Mobilitätskonzepte zu diskutieren", sagt er. "Denn wenn sich herausstellt, dass die deutsche Autoindustrie auf das falsche Pferd gesetzt hat, wird das negative Folgen für die gesamte Volkswirtschaft haben." Schließlich ist "der Autobauer von morgen der Akkubauer von heute".

Die Frau, die den Strom zum Autofahrer bringen will

Wie verhilft man einem Produkt zum Durchbruch, für das es noch gar keinen richtigen Markt gibt - Strom für Elektroautos zum Beispiel? "Sehen Sie, so einfach ist das", sagt Carolin Reichert. Sie hält ein Kabel mit zwei Steckern in der Hand. Der eine geht vorn in den Fiat 500 hinein, der andere daneben in die Ladesäule. 20 Minuten laden, 100 Kilometer weit fahren - das sind die bisher geltenden Kennziffern für eine Schnellladung an der Säule.

Ginge es nach der studierten Wirtschaftsinformatikerin, die nach einem Job beim Chiphersteller Infineon sechs Jahre lang bei der Unternehmensberatung Roland Berger gearbeitet hat, bevor sie zum Energiekonzern RWE kam, werden in zehn Jahren 2,5 Millionen Elektroautos an 1,5 Millionen Ladestationen im Lande mit Öko-Strom aufgetankt. Zweifler setzt die 38-jährige Managerin gerne erst einmal in einen Tesla Roadster. Der schmucke US-Sportwagen mit seinem 292 PS starken Elektroantrieb beschleunigt, leise und abgasfrei, in 3,7 Sekunden auf Tempo 100.

In einer ähnlichen Geschwindigkeit treibt Carolin Reichert ihre Mission voran. Am Anfang schwamm sie in dem Konzern, der sein Geld bisher vor allem mit Kohlekraftwerken verdient hat, buchstäblich gegen den Strom. Aber in RWE-Chef Jürgen Großmann, der findet, dass sie "ihre eigene Emotionalität sehr geschickt auf dieses wichtige Thema" überträgt, hatte die gebürtige Nürnbergerin einen großen Förderer.

Ihr Jahresetat liegt mittlerweile "im hohen zweistelligen Millionenbereich", ihr Team ist auf 40 Mitarbeiter angewachsen. Eine bunte Truppe, sagt sie. Viele junge Leute, flache Hierarchien. Elektroingenieure, Autoexperten, Mobilfunker, Marketingprofis.

Und natürlich gebe es, bei aller grünen Euphorie, eindeutige Business-Pläne, die dem Konzern-Controlling standhalten müssten. Auch ihre Abteilung müsse natürlich mittelfristig Geld verdienen. Und dafür hetzt Carolin Reichert durch die Welt und sammelt Bündnispartner. Kooperiert mit Renault und Sixt, hat mit dem ADAC eine erste Versicherung für Elektroautos geschlossen und mit dem Parkhausbetreiber Apcoa eine Vereinbarung ausgehandelt, um in dessen Häusern Ladestationen zu installieren. So umgeht sie lange Genehmigungsverfahren für öffentliche Flächen. "In Berlin müssen Sie sieben Behörden kontaktieren, um eine Säule aufzustellen", sagt sie.

Einen der wichtigsten Prozesse hat sie im September 2008 in Gang gesetzt, als sie "bei Daimler angerufen hat". Das Ziel: ein einheitlicher Stecker. Dieser ist jetzt in Deutschland standardisiert, und Reichert geht davon aus, dass er "noch in diesem Jahr zum Europastandard" wird. "Es darf keine Insellösungen geben", ist eine ihrer wichtigsten Forderungen an die Politik. Was würde sie sich noch von Kanzlerin Merkel wünschen? "Einfache Genehmigungsverfahren, konkrete Mengenziele für den Aufbau von Ladestationen und intelligente Rahmenbedingungen, die nicht unbedingt den Haushalt belasten."

Wäre es nicht sensationell, überlegt sie zum Schluss laut, wenn in Zukunft in jedem Neubaugebiet die Ladestationen gleich mit geplant würden?

Die zuständigen Ministerien stehen sich gegenseitig im Weg

An einem Montag im April steht Andreas Jung im Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion im Berliner Reichstag. Heute ist sein großer Tag. Er hat zu einem Fachgespräch eingeladen. Der Titel: "Energisch Elektrisch! Mit Hochdruck zum Stromauto". Anfang des Jahres hat Fraktionschef Volker Kauder den 34-Jährigen zum "Beauftragten für Elektromobilität" der Fraktion gemacht. Jetzt heißt Jung "300 Gäste aus allen Bereichen" willkommen. Jung, seit 2005 im Bundestag, sagt, dass sich die Union als "drängende Kraft" in Sachen Elektromobilität verstehe. "Wir wollen nicht nur dabei sein, wir wollen an der Spitze stehen", sagt er. Deutschland soll mindestens eine Milliarde Euro in die Forschung und Entwicklung der Elektromobilität investieren, für Elektro-Dienstwagen soll es Steuer-Erleichterungen geben und Sonderabschreibungen für Firmen, die eine Elektro-Ladestelle auf ihr Gelände stellen. Außerdem sollen die Flotten des Bundes mit Elektroautos bestückt werden.

"Wir suchen intensiv das Gespräch auf Regierungsebene", sagt Jung. Aber hat er auch Einfluss? Das kann er abschließend noch nicht sagen. "Es üben sich alle in Zurückhaltung."

Dass beim Auto-Gipfel wirklich etwas Großes herauskommt, ist höchst unsicher. Die Kanzlerin hat das Thema Elektromobilität zur Chefsache gemacht. Und erst mal eine "Gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität der Bundesregierung" eingerichtet. Und dort beginnt das Problem: Der Chef der Geschäftsstelle kommt aus dem Verkehrsministerium. Doch der Bereich Elektromobilität berührt auch die Interessen aus drei weiteren Ministerien: Wirtschaft, Umwelt und Forschung. Folglich kommen die restlichen Mitarbeiter der Geschäftsstelle aus diesen Ministerien. Über allem steht das Kanzleramt. Im Februar nahm die Geschäftsstelle ihre Arbeit auf. Auskünfte geben die Mitarbeiter allerdings nicht, kein Kommentar.

Und das hat offenbar seinen Grund: Die Geschäftsstelle Elektromobilität ist machtlos, weil ihre Mitarbeiter unterschiedliche Interessen zu vertreten haben. Es geht um Geld: Keines der Ministerien will, dass vorhandene Mittel in Elektro-Projekte umgeschichtet werden. Und auch um parteipolitische Interessen geht es. Vor allem zwischen dem CSU-geführten Verkehrsministerium und dem FDP-geführten Wirtschaftsministerium gebe es Zwist, berichten Insider. "Die Geschäftsstelle ist kaum in der Lage, ihre Arbeit zu machen", heißt es. Ständig funkten die Staatssekretäre aus den Ministerien dazwischen. Vertreter aus der Industrie wüssten gar nicht, an wen sie sich wenden sollten.

Was wird nun beim Gipfel herauskommen? Nicht viel, sagen selbst Vertreter aus dem Regierungslager. Man wird sich wohl vertagen, auf den Herbst. Die Minister werden Grußworte halten, und die Kanzlerin wird zumindest in Aussicht stellen, dass sie in die Forschung und Entwicklung investieren will. Wie viel? Ob die Kanzlerin in Zeiten von Milliarden-Hilfen für das klamme Griechenland den Mut zu konkreten Zahlen hat, bleibt ungewiss.

Andreas Jung lässt sich die Begeisterung für E-Autos nicht nehmen. "Ich bin fasziniert von der Technik. Wenn man in so einem Fahrzeug sitzt, ist das ein völlig neues Erlebnis", schwärmt er. Natürlich ist er heute beim Auto-Gipfel auch dabei. Als Zuhörer.