Hamburg. Er wuchs mit Scharia und Taliban in Afghanistan auf. Dann flüchtete Qorban Sultani. Im Christentum fand er Hoffnung. Jetzt predigt er in Hamburg.

Wenn Qorban Sultani in diesen Tagen vor seiner Gemeinde steht und über Liebe, Frieden und Hoffnung spricht, dann kommt es ihm vor, als wäre das alles ganz weit weg. Der Hass und der Terror, mit dem er aufgewachsen ist und vor dem er schließlich floh. Und tatsächlich sind schon fast zehn Jahre vergangen, seitdem er – wie Tausende andere Flüchtlinge auch – im Jahr 2015 in Deutschland Schutz suchte.

Heute ist der 35-Jährige angekommen in dem Land, dass ihm damals noch so fremd war. Und er hat seine Berufung gefunden. Der ehemalige Moslem fand zum Christentum, ließ sich taufen und wurde Pastor in der Christuskirche in Altona. Gerade in diesen Tagen kurz vor Weihnachten, wenn die Gemeinde ganz eng beisammen ist, dann weiß er besonders zu schätzen, wie gut es ihm ergangen ist.

Flüchtling in Hamburg: Qorban Sultani konvertierte in Indien zum Christentum

Als Sultani ein Kind war, da war das Taliban-Regime sein Alltag. Und auch später, als die Amerikaner nach Afghanistan kamen, da steckte ihm noch die Angst in den Knochen. „Das war nicht das Leben, das ich wollte“, sagte Sultani. Weil er für sich keine Zukunft in Afghanistan sah, schloss er sich seinem Schwager an und reiste nach Indien. Einen echten Plan hatte er nicht, er wollte nur weg.

Ausgerechnet im hinduistischen Indien aber fand er über Umwege zum Christentum. „Ich begann, die Bibel auf meiner Muttersprache zu lesen und nach und nach fühlte ich mich in den Schriften immer mehr aufgefangen und zu Hause.“ Das, was er las, habe er als Geschenk empfunden. „Ich bin mit der Scharia aufgewachsen, dem religiösen Rechtssystem des Islam, das auf dem Koran basiert. Angst und Strafe sind da ganz essenziell“, sagt er.

Flüchtlinge Hamburg: Afghanischer Pastor fühlte sich in seiner Heimat bedroht

Über das Studieren der Bibel sei ihm bewusst geworden, dass es auch anders geht. „Hier sind die Liebe und die Barmherzigkeit zentral und das hat mir auch in den dunkelsten Stunden Hoffnung gegeben.“ Und so wurden schließlich sechs Jahre aus dem kurzen Indienbesuch. Sultani ließ sich taufen und wurde Christ – aus voller Überzeugung. Dennoch kehrte er nach Afghanistan zurück. „Ich habe meine Familie vermisst und trotz allem auch meine Heimat“, sagt er.

Doch nach seiner Rückkehr war alles noch schwieriger als zuvor. „Als Christ in einem muslimischen Land zu leben, ist nicht einfach. Jeder spricht über dich, bei vielen traditionellen Zusammenkünften ist man außen vor. Zum Teil habe ich mich bedroht gefühlt.“

Flüchtlinge Hamburg: „Da, wo man willkommen ist, da soll man bleiben“

2015 verließ er schließlich sein Land – auch, wenn er hier inzwischen geheiratet hatte. „Ich hatte so viel Angst, dass ich es versuchen und meine Frau später nachholen wollte.“ Das Ziel: Schweden oder England. „In Schweden hatte ich Kontakte und England erschien mir sinnvoll, da ich schon etwas Englisch sprechen konnte.“ Doch sein Weg führte ihn zunächst nach Deutschland, konkret nach Dortmund. Dort erlebte er diesen einen Moment, der alles änderte: „Am Bahnhof standen Menschen und klatschten und hielten Schilder hoch, auf denen stand, dass wir willkommen sind.“

In diesem Moment entschied er: „Da, wo man willkommen ist, da soll man bleiben.“ Und so blieb er. Die ersten Jahre verbrachte er im nordrheinwestfälischen Mettmann und machte zwei Ausbildungen: Eine zum Kfz-Mechatroniker und eine weitere beim Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, die extra für Menschen mit Migrationshintergrund angeboten wurde. In Windeseile lernte er die Sprache.

„Am Bahnhof standen Menschen und klatschten und hielten Schilder hoch, auf denen stand, dass wir willkommen sind.“

Qorban Sultani
ist als Flüchtling 2015 nach Deutschland gekommen

Sein Mentor war es, der ihm irgendwann erzählte, dass in Hamburg eine Pastorenstelle frei sei. Sultani zögerte nicht lange. „Ich wollte endlich von der Theorie in die Praxis und mein Wissen und meinen Glauben weitergeben“, sagt er. In der Gemeinde der Christuskirche in Hamburg-Altona mit 250 Mitgliedern sei er herzlich empfangen worden. Für ihn ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen.

Nach all den Jahren der Angst dürfe er hier nun erleben, wie erfüllend es sei, sich wirklich sinnvoll zu engagieren. Neben dem Gottesdienst, den er im Wechsel mit einem weiteren Pastor abhält, kümmert er sich um Senioren in der Gemeinde, ist im Sprachcafé für Menschen, die neu in Deutschland sind, aktiv, hilft bei Behördengängen, bei Gerichtsterminen und Problemen im Alltag.

Weihnachten in Hamburg: Frieden ist für Pastor der Christuskirche in Altona größtes Geschenk

Besonders stolz ist er darauf: „Als ich nach Hamburg kam, gab es neben der Deutschen Gemeinde auch eine Afghanische Gemeinde seit mehr als 20 Jahren. Wir haben dann angefangen, die Integration und die Zusammenarbeit zu fördern“, erzählt er. „Heute feiern wir die Gottesdienste gemeinsam, und die Predigt und die Lieder werden übersetzt.“

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Dass er selber erst seit rund zehn Jahren in Deutschland ist, hört man kaum mehr. „Ich bin ganz und gar angekommen“, sagt er. Und das gilt nicht nur für ihn, sondern auch für seine Frau, die er kurz nach seiner Ankunft nachholen konnte. Gemeinsam haben sie inzwischen vier Kinder, drei Mädchen und einen Jungen. „Gerade jetzt zur Weihnachtszeit könnten wir nicht dankbarer sein“, sagt er. Dass seine Kinder hier in Frieden aufwachsen können, das sei das schönste Weihnachtsgeschenk.