Hamburg. Baugemeinschaft, Altoba und Otto Wulff wollen für sozial vorbildliches Wohnen sorgen. Doch Prestigeprojekt in Hamburg verzögert sich.
- Hamburger Bauprojekt Othmarschen Gärten wird immer mehr zum Desaster.
- Die Verzögerungen kosteten die Baugemeinschaft mehr als 300.000 Euro
- Schulbehörde fuhr den Investoren vor Baubeginn in die Parade.
Zeitgemäßer kann man heute in Hamburg kaum bauen: Um den öffentlich zugänglichen grünen Innenhof gruppiert sich ein Ensemble aus Mehrfamilienhäusern des Altonaer Spar- und Bauvereins (Altoba). Hier finden auch Frauen aus Frauenhäusern sowie Alleinerziehende mit Unterstützungsbedarf eine neue Heimat. Nebenan leben Singles und Familien in Eigentumswohnungen und Reihenhäusern sowie Mitglieder einer Baugemeinschaft, die in zwei eigenen Wohnungen Flüchtlinge beherbergt.
Gäbe es so etwas wie ein Vorzeigequartier, das Objekt Othmarscher Gärten am Othmarscher Kirchenweg wäre es: Sozial. Regional. Ökologisch. Mit 42 Wohnungen der Genossenschaft Altoba, elf öffentlich gefördert, 31 frei finanziert. Mit 20 Eigentumswohnungen und 21 Eigentums-Reihenhäusern, erstellt von Otto Wulff, einem Hamburger Bauunternehmen. Und 24 Wohnungen der Baugemeinschaft Baumhaus Altona in Holzbauweise. Alles in exzellenter Lage auf dem ehemaligen Sportplatz der Loki-Schmidt-Schule, gut angebunden an den Nahverkehr und an die geplante Velo-Route, nur wenige Fahrrad-Minuten von Ottensen entfernt.
Baustart war für 2020 geplant - dann begann das Desaster
Als das Abendblatt im Juli 2018 das Projekt vorstellte, regierte Bürgermeister Peter Tschentscher seit drei Monaten die Stadt; die Tränen des HSV über den ersten Abstieg waren kaum getrocknet und Corona noch eine exotische Biersorte. Als Baubeginn nannten die Projektpartner das Jahr 2020.
Wer sechs Jahre nach dem Erscheinen des Berichts zum Othmarscher Kirchenweg fährt, sieht eine Baustelle, auf der gerade das Kellergeschoss fertiggestellt ist. Gebaut hat es ein von der Baugemeinschaft Baumhaus beauftragtes Unternehmen. Ansonsten verbirgt sich hinter dem Bauzaun unwegsames Gelände. Reihenhäuser? Wohnungen? Fehlanzeige.
Angesichts des Wohnungsmangels ist das jahrelange Brachliegen eines Quartiers mit mehr als 100 Wohneinheiten kaum verständlich. Und so taugt das Vorzeigequartier inzwischen als Lehrbeispiel, wie sich der Bau von Wohnraum über Jahre verzögern kann, ohne dass die Bauherren die geringste Schuld trifft.
Es grenzt an ein Wunder, dass überhaupt gebaut wird
Angesichts der Explosion der Baukosten sowie der enorm gestiegenen Zinsen kommt es einem Wunder nah, dass das Projekt nicht längst gescheitert ist. „Wir freuen uns, dass trotz aller anfänglicher Herausforderungen die Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Altona sowie dem Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen gut verläuft und das Bauvorhaben weiterhin umgesetzt werden soll. Die gemeinschaftliche nachhaltige Entwicklung des Quartiers steht nach wie vor an erster Stelle“, sagt Holger Fieseler, Geschäftsführer der Otto Wulff Projektentwicklung GmbH, auf Anfrage.
Auslöser des Dilemmas war das Ansinnen der Schulbehörde, die 2019 unerwartet temporären Bedarf für die Baufläche anmeldete. In der Folge stoppten Otto Wulff und Altoba verständlicherweise alle Erschließungsplanungen.
Vor Baubeginn fuhr die Schulbehörde den Investoren in die Parade
„Altoba und die Otto Wulff Projektentwicklung GmbH hatten bereits 2018 die gemeinsame Anhandgabe für das Grundstück am Othmarscher Kirchenweg erhalten. Dann aber erhob die Schulbehörde den vorübergehenden Anspruch auf das Grundstück bis 2026, um in dieser Zeit dort Unterrichtscontainer aufzustellen. Was dann aber nicht kam, waren die Unterrichtscontainer, geschweige denn die Schülerinnen und Schüler. Schließlich konnten wir am 23.12.2022 endlich den Kaufvertrag unterschreiben“, sagt Altoba-Vorstandschef Burkhard Pawils.
Die Verzögerung sei „sehr bedauerlich aus Sicht der Mitglieder, die schon längst ihre Wohnungen hätten beziehen können“, so Pawils. Noch gravierender wirken sich die gestiegenen Baukosten und Zinsen aus: „Aufgeschoben heißt zwar nicht aufgehoben – in diesem Fall aber leider massiv verteuert. Wenn wir unser ursprüngliches bauliches Konzept 1:1 umsetzen würden, kämen für die frei finanzierten Wohnungen Nutzungsgebühren heraus, die wir unseren Mitgliedern nicht zumuten möchten und können. Darum werden wir verschiedene bauliche Anpassungen vornehmen, durch die wir die Kosten reduzieren können. Dazu gehört beispielsweise der Verzicht auf eine Tiefgarage.“
2018 rechnete man mit einem starken Bevölkerungswachstum
Das Abendblatt hat bei der Schulbehörde nachgefragt. Sie verweist auf die wachsenden Schülerzahlen, die Anfang 2018 zur Entscheidung führten, eine neue Schule zu bauen. Zugleich sollte die Loki-Schmidt-Schule erweitert werden. Denn der Schulentwicklungsplan von 2019 ging von einem stärkeren Bevölkerungswachstum für Altona-Ottensen-Bahrenfeld aus.
„Da die Ausbau- und Neugründungsmaßnahmen, wie alle Baumaßnahmen, mit zeitlichen Risiken behaftet waren, haben wir als Behörde den Flächenbedarf an der ehemaligen Sportplatzfläche angemeldet, um die Schülerversorgung sicherzustellen, als zwingende gesetzliche Aufgabe und in Priorität zu Wohnungsbaumaßnahmen“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Alternative Flächen konnten im stark verdichteten Altonaer Kerngebiet nicht gefunden werden.
Erst auf Basis der Daten von 2020/2021/2022 zeigte sich, dass das Wachstum doch weniger stark ausfiel. „Entsprechend konnte das Grundstück ab Anfang 2022 freigegeben werden“, so Albrecht. Er betont, dass Schulbau Hamburg der Genossenschaft sogar die Baustellenzufahrt bereitstellt.
Die Behörde bedauert die Verzögerungen
Auch beim Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) bedauert man die Verzögerung und verweist auf „kurzfristig angemeldeter Bedarf“ der Schulbehörde. „Inhalt und Ausmaß dieses Bedarfes mussten zunächst geklärt werden, sodass keine frühere Inanspruchnahme des Baugrundstücks möglich war“, sagt Imme Mäder, Pressesprecherin der Finanzbehörde.
Nachdem sich herausgestellt habe, dass ein schulischer Bedarf an dieser Stelle nicht benötigt wurde, sei das Grundstück am 31. Januar 2023 übergeben worden. Entschädigungsansprüche hat der Bauherr nicht: „Grundsätzlich führen Verzögerungen nur dann zu Entschädigungsansprüchen gegen die Stadt, wenn sie auf Amtspflichtverletzungen beruhen. Das trifft in diesem Fall nicht zu.“
Die teure Verzögerung müssen die Bauherrn tragen. Manche Mitglieder der Baugemeinschaft stürzt das Tauziehen in existenzielle Nöte.
Die Verzögerung trifft Mitglieder einer Kleinstgenossenschaft
Um das Baumhaus-Drama zu verstehen, muss man wissen, wie eine Kleinstgenossenschaft funktioniert. Sie ist Vermieter und Mieter zugleich, sie baut also für sich selbst. Funktionieren kann dies im öffentlichen geförderten Wohnungsbau mit den entsprechenden niedrigen Mieten nur, wenn genügend Eigenkapital eingebracht wird. Die Baumhaus-Mitglieder zahlten 800 Euro pro Quadratmeter als Einlage, also viel mehr als Mitglieder großer Genossenschaften. Dies macht bei der kleinsten Baumhaus-Wohnung (44 Quadratmeter) 35.200 Euro, bei der größten Wohnung (109 Quadratmeter) 87.200 Euro.
Attraktiv wird die Rechnung durch das Gesamtpaket. Baugemeinschaften können ihr Haus nach den Vorstellungen der Mitglieder bauen. Niemand muss fürchten, wegen Eigenbedarfs gekündigt zu werden, die Mieten bleiben stabil, zudem gibt es für den Bau öffentliche Zuschüsse und vergünstigte Darlehen. Wer auszieht, erhält die Einlage zurück. Vor allem wächst hier im Idealfall zusammen, was zusammen gehört.
„Erst hatten wir kein Glück. Und dann kaum auch noch Pech dazu.“
Wer hier wohnt, will nicht anonym leben, sondern in Gemeinschaft. Bei Baumhaus Altona kennen sich manche Mitglieder seit 15 Jahren. Denn mit Baumhaus fusionierten die 2011 gegründeten Baugemeinschaft Eulennest, die sich dreimal vergebens um ein Grundstück bewarb, und Haus Hamburg 2014. Auch dank dieser vielfältigen Erfahrungen hatte man direkt mit der ersten Bewerbung Erfolg. Baumhaus erhielt 2018 von der Agentur für Baugemeinschaften der Stadtentwicklungsbehörde den Zuschlag für die für eine Baugemeinschaft ausgeschriebene Fläche des Grundstücks am Othmarscher Kirchenweg, das Otto Wulff und Altoba erworben hatte.
Was dann passierte, lässt sich am besten mit der Weisheit des Fußballers Jürgen Wegmann illustrieren: „Erst hatten wir kein Glück. Und dann kaum auch noch Pech dazu.“
„Was beim Baumhaus passiert ist, ist schon extrem.“
Für eine Analyse lohnt ein Gespräch mit Stefan Wendt-Reese, Gründer der HHBB Baubetreuung. Er kümmert sich um das „Baumhaus“ seit Projektstart, die Stadt schreibt den Einsatz eines Baubetreuers für Baugemeinschaften vor. Wendt-Reese kennt die Probleme solcher Vorhaben aus seiner fast 20-jährigen Erfahrung mit Immobilienprojekten. Er sagt: „Es ist normal, dass beim Bau manches schiefgehen kann. Aber was beim Baumhaus passiert ist, ist schon extrem.“
Der damals zuständige Staatsrat Matthias Kock erreichte zwar in den Verhandlungen mit der Schulbehörde eine Art „Lex Baumhaus“. Den für das Baumhaus vorgesehenen Anteil des Grundstücks würde die Schule nicht benötigen.
Der Baustrom musste aus 250 Metern Entfernung gelegt werden
Doch diese Entscheidung bedeutete mitnichten, dass die Baugemeinschaft zügig mit dem Bau starten konnte. Denn nun verhandelten Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG), Bezirk Altona, Altoba, Otto Wulff und Baumhaus zwei Jahre über die nun notwendige provisorische Erschließung. Dass die Schulbehörde 2022 erklärte, dass man auf das Grundstück nun doch verzichte, machte die verworrene Lage nicht wirklich besser.
Dies liegt in erster Linie an der von der Baugemeinschaft ungewollten Rolle des Einzelkämpfers auf dem Grundstück. Um die Folgen zu begreifen, muss man kein Bausachverständiger sein. Von der Baustelle schweben Kabel über eigens installierte Stahlbrücken auf Nachbargrundstücke. „Den Baustrom beziehen wir aus einer Entfernung von rund 250 Metern“, sagt Architekt Simon Tubbesing vom Büro Limbrock Tubbesing Architekten.
Die Verzögerungen kosteten die Baugemeinschaft mehr als 300.000 Euro
Allein das kostet Baumhaus 25.000 Euro. Insgesamt schätzt die Baugemeinschaft die organisatorischen Mehrkosten durch die Verzögerung auf mehr als 300.000 Euro – vom Erbbauzins, der auch während der ruhenden Baustelle gezahlt werden musste, über die Planung der provisorischen Erschließung bis zu zusätzlichen Bauzäunen. Stärker ins Kontor schlägt die allgemeine Kostensteigerung. Statt 8,1 Millionen Euro wird das Baumhaus nun wohl 11 Millionen Euro kosten.
„Wenn einmal Sand im Getriebe ist, kriegt man ihn nur selten ganz wieder raus“, sagt Wendt-Reese. Denn als im September 2023 nach erteilter Baugenehmigung endlich die Bagger wieder rollten, war die Krone eines Baums auf dem Grundstück von Otto-Wulff über das Baumhaus-Gelände gewachsen. Ein Baum stoppt das Baumhaus – jeder TV-Produzent hätte diese Volte aus einem Drehbuch gestrichen.
Schließlich verzögerte ein Baum das „Baumhaus“
Doch in der Realität stoppte der Kampf um die Fällgenehmigung das Vorhaben über mehrere Monate. Das Einzige, was auf der Baustelle noch lief, war das Regenwasser, das mühsam abgepumpt werden musste. „Die Firma, die wir damit beauftragt haben, hat um 14:30 Uhr Feierabend gemacht. Damit das Wasser bis 20 Uhr weiter abgepumpt werden konnte, ist jeden Abend ein Mitglied zur Baustelle gefahren, um die Pumpen abzustellen“, sagt Rosa Thoneick.
Dass die Mitglieder 800 Euro pro Quadratmeter als Eigenkapital einbrachten – üblich bei Kleinstgenossenschaften sind eher 500 bis 600 Euro –, ist nun Segen und Fluch zugleich. Auf der einen Seite hat Baumhaus mehr Puffer, um Mehrkosten abzufangen. Auf der anderen Seite haben manche Mitglieder, die einen Kredit aufgenommen haben, um die Einlage zu finanzieren, nun wirtschaftliche Sorgen. „Betroffen ist zum Beispiel eine alleinerziehende Kinderkrankenschwester, die neben ihrer hohen Miete auch noch den Kredit stemmen muss“, sagt Karin Determann, zuständig für die AG Finanzen beim Baumhaus.
Rund die Hälfte der Genossen hat inzwischen aufgegeben
Etwa die Hälfte der Mitglieder hat inzwischen aufgegeben, auch weil sich Lebensumstände geändert haben. Interessenten gab es stets genug, die bereit waren, das ausscheidende Mitglied auszuzahlen. Doch auch dieser Prozess ist kompliziert. Zum einen müssen Kandidaten vom Einkommen genau in das Verdienst-Raster des ausscheidenden Mitglieds passen, die Förderung schreibt entsprechende Fallgruppen vor. Und zum anderen geht es ja um ein gemeinsames Projekt. „Eine Bewerberin oder ein Bewerber sollte sich idealerweise in die Gemeinschaft einbringen wollen“, sagt Rosa Thoneick.
Dass das „Baumhaus“ trotz aller Rückschläge noch gebaut wird, ist auch Baubetreuer Wendt-Reese zu verdanken. Der ausgebildete Psychologe musste Zuversicht vermitteln, ohne die zuweilen bittere Wahrheit auszublenden. Etwa als Wirtschaftsminister Robert Habeck Anfang 2022 in einem Hauruckverfahren die KfW-Förderung für energiesparendes Bauen stoppte. „Zum Glück sprang die IFB-Hamburg mit einer Förderung ein“, sagt Wendt-Reese.
Der Dachgarten schrumpft, für Holzbalkone fehlt nun das Geld
Architekt Tubbesing investierte viel Zeit beim Sondieren der Angebote der Gewerke, um die Kostensteigerungen in Grenzen zu halten. Nach wie vor schätzt er das Baumhaus ungemein: „Es macht Spaß für einen Bauherren zu arbeiten, der in dem Gebäude selbst wohnen möchte.“
Dennoch mussten die Mitglieder über schmerzhafte Einschnitte debattieren – vom nun viel kleineren Dachgarten über Gummi- statt Holzbelag auf den Balkonen bis zum Aus für den hauseigenen Internet-Server. „Das war nicht einfach, da die Interessen sehr unterschiedlich sind“, sagt Karin Determann.
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Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), beeindruckt das Durchhaltevermögen: „Die Baugemeinschaft ist im besten Sinne eine Antwort auf die weitverbreitete Mentalität ‚der Staat wird’s schon richten‘. Sie steht für die ursprüngliche Idee der Genossenschaften von der ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘: Menschen nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und warten nicht darauf, dass ihnen jemand die Probleme aus dem Weg räumt.“ Baumhaus stehe für „bürgerschaftliches Engagement, für Tun und nicht für Reden. Es geht ja nicht nur um bezahlbares Wohnen für sich selbst, sondern auch darum, geflüchtete Menschen in ihrer Mitte aufzunehmen.“ Sein Appell: „Es wäre gut, wenn die Stadt sie mehr als bisher finanziell unterstützen würde.“
Nach den Plänen soll im Mai 2025 Leben ins Baumhaus einkehren. Dann werden die Mitglieder aus nächster Nähe verfolgen können, wie die Bauarbeiten von Otto Wulff und Altoba vorangehen. Immer vorausgesetzt, es gibt nicht wieder Pannen.