Hamburg. Nach neun Generationen fehlt Nachfolge. Obwohl Tochter Landwirtschaft gelernt hat, will sie Betrieb nicht übernehmen – mit Folgen.
„Das ist die letzte Saison“, sagt Heinz Wilhelm Timmermann, während er die Biokürbisse wäscht, sortiert und verpackt. Damit meint er nicht, dass der Traditionshof in Hamburg-Sülldorf komplett stillgelegt wird, es geht um die unrentable Kürbisernte. Doch der gesamte Bauernhof, den die Timmermanns in bereits neunter Generation betreiben, steht vor einer ungewissen Zukunft. Denn es fehlt ein Nachfolger beziehungsweise eine Nachfolgerin.
Heinz Wilhelm und Agnes Timmermann haben zwei Töchter. Die eine studiert Psychomotorik, die andere hat sogar Landwirtschaft gelernt. Den Betrieb ihrer Eltern will sie trotzdem nicht übernehmen. Ihre Beweggründe sind vielschichtig, haben aber auch mit dem zu tun, was viele Landwirte bei den aktuellen Bauernprotesten auf die Straßen treibt.
Hamburg-Sülldorf: Der Hof der Timmermanns ist der kleinste in der Feldmark
Denn wer Agnes Timmermann so zuhört, versteht ein kleines bisschen mehr, warum der Frust der Landwirte tief sitzt. Es gibt viele Beschränkungen und Vorschriften, und ständig müssen sich die beiden etwas Neues einfallen lassen, um für den kleinsten Hof in der Feldmark ein Auskommen zu sichern.
Der Hof Timmermann am Stadtrand von Hamburg verfügt nicht über große Anbauflächen (50 Hektar). Kurz hinter der Schranke nahe dem Sülldorfer S-Bahnhof liegt ihr Betrieb. Wer die Straße weiter hinunterfährt, landet in der Feldmark, mit weiteren zahlreichen Bauernhöfen.
Auf dem Hof Timmermann gab es einst einen Biohofladen, wo auch eigene angebaute Produkte vertrieben wurden. Doch vor vier Jahren kam das Aus. Zu groß war der Wettbewerb geworden. Nun betreibt hier ein Tierarzt seine Praxis. Im hinteren Teil des Hofes gibt es einen kleinen Pensionsstall für Pferde. Ein weiteres Standbein bildete der Anbau der Kürbisse auf dem Bioland-zertifizierten Hof. Doch in diesem Jahr ist, wie Heinz Wilhelm Timmermann es nannte, dafür „die letzte Saison“.
Landwirtin aus Sülldorf: „Es rechnet sich einfach nicht mehr“
„Es rechnet sich einfach nicht mehr“, erklärt Agnes Timmermann. Es gehe ihnen da wie den Milchbauern. Die Preise bestimme der Handel, und der lasse beispielsweise nicht zu, dass man die gestiegenen Energiekosten draufschlage. Gleichzeitig ist die Ware verderblich und müsse verkauft werden. Als wäre der Preiskampf nicht schon schwierig genug, kämpfen die Landwirte nun auch noch mit einem pilzlichen Erreger im Boden, der ihre Ernte schädigt.
Da der Erreger auch Frost überstehe, gebe es laut Timmermann nur die Möglichkeit, auf den Anbau mindestens fünf Jahre zu verzichten oder bei größeren Betriebsflächen auf ein anderes Feld auszuweichen. Letzteres ginge aufgrund der Betriebsgröße nicht, wie die Landwirte berichten. Es braucht also eine neue Idee, die sie aber auch schon haben. Denn eins können Timmermanns nicht: einfach aufhören.
Rente bei Bauern ohne Nachfolge ist ein Problem – es fehlt das Altenteil
Denn die Landwirte aus Sülldorf sind ohne Nachfolgelösung „dazu verdammt, weiterzuarbeiten“, wie die 58-Jährige sagt. Die Rente eines Bauern speist sich aus zwei Quellen. Die eine stammt von einer Sozialversicherung für Landwirte (SVLFG) ähnlich der Künstlersozialkasse und ist wie eine Art Grundrente, über die Timmermann sagt, sie liege unter Bürgergeldniveau.
Tatsächlich gibt die SVLFG selbst an, dass ein Landwirt nach 30 Beitragsjahren in den alten Bundesländern eine Bruttorente in Höhe von monatlich 520,59 Euro erhält (Stand Juli 2023), mitarbeitende Familienangehörige eine Bruttorente von 260,61 Euro.
Die zweite Quelle ist daher für Bauern das wichtige Altenteil, das der Nachfolger dem Vorgänger eines Hofes zahlt – meist in Form eines eigenen mietfreien Hausanteils oder einer Art Pacht. Letzteres fehlt den Timmermanns nun. „Das Rentensystem ist veraltet und richtet sich noch nach Zeiten, als man von der Landwirtschaft allein leben konnte“, erklärt die 58-Jährige.
Bauern in Sülldorf: Von Landwirtschaft allein lässt es sich nicht leben
Die gelernte Krankenschwester arbeitet auf dem Hof, hilft bei der Kürbisernte, sie macht die komplette Buchhaltung. Aber von Landwirtschaft allein kann sie nicht leben, deshalb arbeitet sie noch in Teilzeit in der Behindertenhilfe. Ihr Mann ist 62 Jahre alt.
Aufgrund der Tiere und der Arbeit auf dem Hof machen sie, wie Agnes Timmermann erzählt, selten Urlaub und nie über eine lange Zeit, denn es braucht eine Vertretung. Als das Dach des denkmalgeschützten Wohnhauses am Sülldorfer Kirchenweg so kaputt war, dass es durchregnete, nahmen sie einen Kredit auf. Den zahlen sie ab, indem sie im Dachgeschoss weitere Wohnungen vermieten.
Feldmark Sülldorf und Rissen: Hier spielt sich ein weiterer Kampf ab
Von zahlreichen Auflagen wie der richtigen Knickpflege oder dem Bewirtschaften des Bodens in einem Hamburger Landschaftsschutzgebiet kann Agnes Timmermann abendfüllend erzählen. In der weitläufigen Feldmark zwischen Sülldorf und Rissen spielt sich aber noch ein weiterer Kampf ab. Das Gebiet ist beliebt zur Naherholung; und die Stadt nutzt Teile als Ausgleichsflächen. Auch Vertreter von Umweltschutzverbänden haben ein Auge auf das Gebiet und ihre Vorstellung von einer Nutzung. Das passt nicht immer zu den Interessen der Landwirte.
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Landwirtschaft, Naherholung und Umweltschutz: Wie hoch der Druck der unterschiedlichen Ansprüche auf der Feldmark lastet, zeigt der seit Jahren geführte juristische Streit um einen Bebauungsplan, den der Bezirk Altona für das Gebiet aufgestellt hat, um genau diese Interessen zu regeln. Ziel war es laut Verwaltung, auch eine Zukunftsperspektive für die bauliche Entwicklung der Höfe aufzuzeigen. Das sehen die betroffenen Landwirte ganz anders.
Fall für Bundesverwaltungsgericht: Streit um Bebauungsplan zieht sich über Jahre
„Wir wurden damals gebeten, der Verwaltung zu sagen, welche zukünftige Nutzung wir für unseren Hof für perspektivisch möglich halten. Genau das wurde dann ausgeschlossen“, berichtet Agnes Timmermann. So hatten die beiden Landwirte für ihren kleinen Hof die Idee, einen Teil so umzunutzen, dass man beispielsweise mit therapeutischen Werkstätten hätte zusammenarbeiten können. Stichwort: therapeutisches Reiten nach dem Vorbild Schäferhof in Appen.
Dafür hätte es Sozialräume und Toiletten benötigt. Das wollten sie im Bereich einer Scheune realisieren. Es hätte auch gut zu den Wünschen ihrer Tochter gepasst, die Landwirtschaft im Sinne von Green Care betreiben wollte.
Der Streit um den Bebauungsplan zieht sich über Jahre und beschäftigte schon das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Jetzt versucht man einen Kompromiss herbeizuführen. Ausgang ungewiss.
Bauernproteste: Landwirte aus Sülldorf sind bei Protestaktionen dabei
„Unsere Töchter haben den Wahnsinn der vergangenen Jahre mitbekommen. Sie sind nicht bereit, etwas zu versuchen, was nicht gewollt und nicht verstanden wird“, sagt die 58-Jährige und meint damit die Landwirtschaft an sich. Deshalb haben sie sich anders entschieden, auch wenn damit eine Familientradition endet.
„Die Entscheidung ist ihr schwergefallen“, sagt Agnes Timmermann über ihre Tochter Hannah, die zumindest eine Zeit lang noch als Anwärterin galt. Beide Töchter unterstützen die Eltern weiterhin, auch bei dem neuesten Projekt, bei dem die Landwirte in Youtube-Videos den Anbau von Obst und Gemüse erklären. Hannah und die Eltern beteiligen sich auch an den Bauernprotesten. Warum es ihnen dabei geht? „Um Aufklärung.“