Hamburg/Neumünster. Mit einer aufwühlenden Botschaft möchte eine junge Hamburgerin Kriminelle auf die Konsequenzen ihres Handelns aufmerksam machen.
Es war ein normaler Einkauf abends im Supermarkt gleich in der Nähe seiner Wohnung. Dieser Einkauf aber hatte für den Rentner Detlef Schmidt dramatische Konsequenzen. In einem sehr aufwühlenden Post auf Instagram verleiht seine Enkelin aus Hamburg ihrer Trauer und ihrer Wut Ausdruck. Denn ihrer Schilderung nach starb ihr Opa an den Folgen eines vermeintlich harmlosen Diebstahls.
Es ist etwas, das viel zu häufig passiert: Ein Taschendieb schlägt zu. Laut der aktuellen Kriminalitätsstatistik der Polizei Hamburg hat die Bekämpfung des Taschendiebstahls hohe Priorität. „Das wieder deutlich intensivere öffentliche Leben, verbunden mit einer hohen Frequenz im öffentlichen Raum führte nach dem noch Pandemie-beeinflussten Vorjahr in 2023 wieder zu mehr Tatgelegenheiten“, heißt es. 13.367 Taschendiebstähle wurden im vergangenen Jahr in Hamburg registriert (plus 22 Prozent).
Taschendiebstahl: Unbekannter klaut Portemonnaie und Haustürschlüssel
Opfer eines Taschendiebstahls wurde am 12. Februar auch Detlef Schmidt in Neumünster, als er zum Supermarkt einkaufen ging. Ein Unbekannter griff nach dem Einkauf unbemerkt an die Gesäßtasche und stahl das Portemonnaie und die Haustürschlüssel des alleinstehenden 78-Jährigen. Am nächsten Abend um 23.50 Uhr ist Detlef Schmidt tot.
Ein Diebstahl ist für jedes Opfer ärgerlich, es macht wütend und bedeutet jede Menge Umstände. Denn gestohlene Bankkarten müssen gesperrt und genau wie Ausweise neu beantragt, womöglich Türschlösser ausgetauscht werden.
Dramatische Folge: Stress löste beim Rentner wohl epileptischen Anfall aus
Für ältere Menschen wie Detlef Schmidt kann ein solcher Diebstahl aber noch so viel mehr bedeuten. Ein Kontrollverlust, verbunden mit großer Unsicherheit. Und extremer Stress. So war es auch bei Detlef Schmidt. „Mein Opa war sehr aufgelöst und aufgeregt an dem Abend“, erzählt seine Enkelin Pia Herforth. Der 78 Jahre alte ehemalige Bauzeichner war jemand, der allein sehr gut im Leben zurechtkam, selbstständig war, alles im Griff hatte.
Pia Herforth hat erst am darauffolgenden Tag von der Lebensgefährtin ihres Großvaters von dem Diebstahl erfahren. Diese hatte Detlef Schmidt in seiner Wohnung auf dem Boden liegend aufgefunden, er lebte noch. Stunden später im Krankenhaus, als die Familie noch einmal zusammenkam, ließen sie die lebenserhaltenden Geräte abschalten, so wie es laut Patientenverfügung sein Wunsch war. Die Schädigungen am Gehirn waren zu stark.
Instagram: Enkelin aus Hamburg postet emotionalen Appell
„Durch die Aufregung und den Stress, den dieser Diebstahl verursacht hat, hat mein Großvater einen epileptischen Anfall erlitten, er stürzte auf den Küchenboden und zog sich Blutungen im Hirn zu“, erzählt Pia Herforth, die in Blankenese ihre Ausbildung zur Justizfachangestellten macht, beim Treffen in der Altstadt in Hamburg.
Dass ein vermeintlich harmloser Taschendiebstahl solch weitreichende Konsequenzen haben kann, darauf möchte die 24-Jährige mit ihrem öffentlichen Post und mit der Geschichte ihres Opas nun aufmerksam machen.
Sicher, beweisen kann man diesen Kausalzusammenhang nicht. Aber es gibt Indizien: „Mein Großvater war medikamentös gut eingestellt, und der epileptische Anfall kam für seinen Hausarzt völlig überraschend“, sagt Pia Herforth. Stress kann jedoch ein Auslöser eines solchen Anfalls sein.
„Der Diebstahl eines Portemonnaies mag oberflächlich betrachtet als etwas Harmloses wirken“, schreibt sie in dem Post. „Für meinen Opa aber war es mehr als nur der Verlust von Besitztümern. Es war der Verlust des sicheren Gefühls.“
Taschendiebstahl: Alles nur, weil ein Krimineller Geld für Tabak brauchte
Der Diebstahl habe ihm emotional sehr schwer zugesetzt. Jetzt versuchen die Hinterbliebenen, mit den Folgen umzugehen. „Der Schmerz für uns ist unermesslich. Wir trauern nicht nur um ein Familienmitglied. Wir sind auch sauer!“, schreibt Pia Herforth in ihrem Post.
Ihr Opa, der immer so stolz auf sie war, ist einfach viel zu früh verstorben. „Nur damit sich ein Idiot für 50 Euro Zigaretten kaufen kann.“
Das ging aus der Verwendung der gestohlenen EC-Karte hervor: Jemand hat das Geld für seine Nikotinsucht gestohlen. Das ist für die Familie besonders bitter. „Da steckt nichts Sinnvolles dahinter, der Dieb hat mir so viel wertvolle Zeit mit meinem Opa genommen.“
Opfer von Kriminalität und Angehörige können sich in Hamburg Hilfe holen
„Solch ein Diebstahl ist für alte Menschen etwas anderes als für junge Menschen, die sich eher darüber ärgern, dass ihr Geld weg ist. Für alte Menschen ist der Schock viel größer“, sagt Kristina Erichsen-Kruse von der Opferorganisation Weißer Ring. „Alte Menschen hadern sehr damit, dass sie persönlich angegriffen worden sind. Es nimmt sie häufig sehr schwer mit.“
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Und auch für die trauernden Angehörigen ist Verlust auf diese Weise hart. Für diese Menschen, so Kristina Erichsen-Kruse, gibt es in Hamburg diverse Anlaufstellen und Hilfsangebote, etwa das Beratungs- und Seelsorgezentrum der Hauptkirche St. Petri oder auch den Verein verwaiste Eltern und Geschwister e.V. an der Bogenstraße in Eimsbüttel, der auch anderen Angehörigen Hilfe anbiete.
Taschendiebstahl: Enkelin möchte, dass Geschichte „um die Welt“ geht
Auch wenn es den Verstorbenen nicht zurückbringt, sei sie es ihrem Opa schuldig, von seinem Schicksal zu erzählen, vielleicht ja den einen oder anderen vermeintlichen Taschendieb zu erreichen, sagt Pia Herforth. „Ich möchte, dass die Geschichte die Welt umreist. Seine Geschichte erinnert uns daran, dass die Konsequenzen unserer Handlungen weitreichend sein können.“
Nun kümmert sich die junge Frau um den ganzen Behörden- und Schriftkram, um den Nachlass, um all die Dinge, die nach einem Todesfall erledigt werden müssen. Zeit zum Trauern, sagt sie, habe sie noch gar nicht gehabt. Mit dem Ganzen abzuschließen, falle ihr schwer. Ihr Wunsch: „Ich möchte diesem Dieb irgendwann gegenüberstehen und fragen, ob es das alles wert war.“