Hamburg. Hälfte der Stellflächen für Carsharing: Ladeninhaber in Flottbek sind entsetzt, in Othmarschen wollen Gewerbetreibende klagen.
„Das ist der blanke Wahnsinn“, sagt Jaqueline Mahnk. Vor vier Jahren erfüllte sie sich mit der Eröffnung ihres Cafés „Kleines“ in den Elbvororten einen Traum, der schnell zum Albtraum wurde. Drei Tage nach der Eröffnung starteten Bauarbeiten vor dem Café in Othmarschen. Sechs Monate später begann Corona. Es folgte ein langwieriger, kostenintensiver Kampf um eine überdachte Terrasse, den Mahnk erst mithilfe von Anwälten gewinnen konnte – „und jetzt das“, sagt sie.
Mahnke zeigt nach draußen. Vor der Ladenzeile in der Liebermannstraße, zu der auch ihr „Kleines“ gehört, gibt es eine Parkbucht. Acht Stellplätze waren es. Bis zu den Herbstferien. Dann kamen Bauarbeiter und anschließend waren die Hälfte umgewandelt. In HVV-Switch-Parkplätze. Jetzt darf hier nur noch parken, wer aus einem Carsharing-Fahrzeug in den HVV aus- oder einsteigen will. Also Autos von Miles, Sixt, Share Now. Für alle anderen, die hier kurz halten, gibt es Straftickets.
HVV-Switch-Parkplätze Hamburg: „In den Elbvororten haben die Leute ihr eigenes Auto“
„Wir haben eine gehbehinderte Kundin, die hat kurz dort gehalten, weil die anderen wenigen Stellplätze voll waren. Sie hat ihren Blumenstrauß schnell herausgeholt und hatte schon ein Ticket über 20 Euro“, berichtet Heike Bröckerhoff Schramm von der BlumenBinderei nebenan. Seit mehr als 20 Jahren betreibt sie den Blumenladen und ist entsetzt über die Parkpolitik im Stadtteil.
In der angrenzenden Bernadottestraße seien durch den Umbau bereits 20 Parkplätze weggefallen und es gebe dort zwei Altenheime, deren Besucher doch auch irgendwo parken müssten. „Hier in den Elbvororten haben die Leute ihr eigenes Auto. Und auch wenn man sie zum Umsteigen animieren will, mit der Holzhammer-Methode wird das nichts“, ist sie sich sicher. „Dann bleiben die Kunden einfach weg.“
HVV-Switch-Stellplätze – „sie rauben uns die Existenzgrundlage“
Das fürchten auch Elsbeth Rath und Kerstin Fehling vom Hofladen. Seit drei Jahren gibt es die Zweigstelle vom Kathendorfer Hof. „Wir haben viel ältere Kundschaft, die sich sehr um die Möglichkeit gefreut hat, hier vor Ort wieder einkaufen zu können“, berichtet Filialleiterin Rath. Ohne Auto könnten sie das nicht transportieren.
„Zwei Stellplätze wären ja noch in Ordnung, aber warum denn die Hälfte aller, die wir hier haben?“, fragt sie. Und ihre Stellvertreterin Kerstin Fehling ergänzt: „Für viele Kunden ist der Einkauf ihr einziger sozialer Kontakt. Wenn das wegfällt, weil sie dann vielleicht auf einen Lieferservice umsteigen, ist das doch auch gesellschaftlich traurig.“
Jaqueline Mahnk wird da noch deutlicher: „Sie rauben uns die Existenzgrundlage. Man will gar nicht, dass so etwas Dörfliches erhalten bleibt.“
Groß Flottbek: Gewerbetreibende berichten von 20 Prozent Umsatzeinbußen
Gleiches Bild, gleicher Ärger, ein Stadtteil weiter: Auch in Groß Flottbek sind während der Ferien neue Switch-Parkplätze eingerichtet worden. Vier der wenigen Stellmöglichkeiten an der Beselerstraße sind nun den Fahrzeugen der Carsharing-Flotten vorbehalten.
In der kleinen Einkaufsstraße mit Restaurant, Supermarkt, Arzt, Juwelier, Apotheke und einer Reinigung schlagen die Wellen hoch. Zudem wird gerade die ehemalige Haspa-Filiale in eine Kita umgebaut. Für diese Bauarbeiten sowie die Arbeiten an der neuen Fernwärmeleitung sind Stellflächen rundherum weggefallen. Von mindestens 20 Prozent Umsatzeinbußen berichten die Gewerbetreibenden durch die nun fehlenden Parkplätze.
HVV-Switch-Parkplätze in Beselerstraße – „gibt hier überhaupt nichts zu switchen“
Frank Herrmann betreibt hier einen Ausstatter für Golfbedarf und wird deutlich. „Es gibt hier keine Bahnstation – und die nächste Bushaltestelle ist 400 Meter entfernt. Es gibt hier überhaupt nichts zu switchen. Das ist so bürgerfern und spaltet die Gesellschaft“, sagt der Chef von Under Par Golfservice.
Niemand habe mit den Gewerbetreibenden vor Ort gesprochen, sie bei einer Lösung eingebunden. Der nun für die Switch-Stellflächen umgesiedelte Behindertenparkplatz wäre nun so angeordnet, dass dort aufgrund des hohen Bürgersteigs gar kein Gehbehinderter aussteigen könne oder nur sehr schwer. „Wer denkt sich so etwas aus?“, fragt Herrmann.
Hochbahn Hamburg verweist auf nachhaltigeren Ressourceneinsatz durch Carsharing
Beim HVV sieht man die Sache deutlich anders. „In den letzten zehn Jahren seit der Einrichtung des ersten HVV-Switch-Punktes in Hamburg hat die Akzeptanz für die Mobilitätspunkte ebenso wie die Nutzung von Carsharing-Angeboten stetig zugenommen“, erklärt Sprecherin Constanze Salgues auf Abendblatt-Anfrage. „Heute ist das Carsharing fester Bestandteil der alternativen Mobilitätsangebote der Stadt.“
Das Carsharing-Angebot der HVV-Partner umfasse derzeit 4500 Fahrzeuge, die sich Nutzer teilen, was im Vergleich zum privaten Auto einen deutlich nachhaltigeren Ressourceneinsatz bedeute.
Aktuell gibt es in Hamburg 144 HVV-Switch-Standorte mit insgesamt 780 Stellplätzen. In den vergangenen Wochen kamen sieben neue hinzu, davon fünf im Bezirk Altona und zwei im Bezirk Harburg. Das Projekt wird vom Bund gefördert, als Teil des Klimaschutzprogramms 2030. Die HVV-Sprecherin verweist auf eine Studie der TUHH aus dem Jahr 2020, nach der HVV-Switch-Punkte in Quartieren den Pkw-Besitz und die Verkehrsmittelwahl der Bevölkerung in ihrem direkten Umfeld positiv beeinflusse.
HVV-Switch-Parkplätze: Ladeninhaber in Groß Flottbek wollen sich juristisch wehren
Zudem betont Salgues: „Der Ausbau der HVV-Switch-Punkte erfolgt grundsätzlich immer in enger Abstimmung und mit Erlaubnis durch die jeweiligen Bezirke. Die Auswahl der Gebiete wird auf Basis einer Potenzialanalyse und unter Rückkopplung mit allen Carsharing-Anbietern in Hamburg getroffen.“
Der genaue Standort werde dann auf Grundlage des ermittelten Bedarfs und der Gegebenheiten vor Ort festgelegt. Kriterien dabei seien die städtebauliche Verträglichkeit, Sicherheit sowie verkehrstechnische Belange. Laut Sprecherin habe es nach Kenntnis der Hochbahn bislang nur einen Widerspruch gegen die Nutzung gegeben, der allerdings abgelehnt wurde.
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In den Elbvororten könnte das anders werden. Die betroffenen Gewerbetreibenden wollen es sich nicht gefallen lassen. Während sie in der Liebermannstraße über Unterschriftensammlungen nachdenken, ist man in der Beselerstraße schon weiter. „Wir nehmen uns einen Anwalt“, kündigt Herrmann an. Der Frust sei groß genug, viele wollten in einen Topf zusammenlegen dafür. Herrmann erklärt: „Wir wollen damit auch ein Zeichen gegen Behördenwillkür setzen.“