Hamburg. Christina Bertram und ihre Kollegen kümmern sich nachts und am Wochenende oft um Probleme, die keine sind. Was sie Haltern rät.
Viele Notfälle, mit denen Tierhalter den tierärztlichen Notdienst abends, nachts und am Wochenende aufsuchen, sind keine echten Notfälle. Wie in der Humanmedizin auch, fehlt vielen Menschen ein Stück Gelassenheit, die Sorgen um ihr Tier sind häufig ohne Grund groß, andere finden es einfach bequemer, außerhalb der Sprechzeiten in den Notdienst zu fahren.
„Viele Tierbesitzer sind sehr verunsichert und haben kein Gefühl mehr für echte Notlagen“, sagt Christina Bertram, Vizepräsidentin der Tierärztekammer Hamburg. Aus ihrem Kollegenkreis hat sie skurrile und typische Notfälle zusammengetragen, die gar keine sind.
Tierärztlicher Notdienst: Klassiker in vielen Sprechstunden sind Parasiten
„Die Leute sitzen abends auf dem Sofa und sehen, wie ein Floh übers Sofa hüpft“, erzählt Christina Bertram. Das sei vielleicht eklig, sagt die Tierärztin aus Hamburg-Altona, „aber ein Grund, dafür nachts die Kollegen aus dem Bett zu klingeln, ist das nicht.“ Vielen Tierhaltern sei womöglich gar nicht bewusst, dass die Tierarztpraxen den Notdienst zusätzlich zu ihren regulären Sprechzeiten bestreiten und genau wie die meisten anderen Menschen auch nachts schlafen und nicht in der Praxis parat stehen.
„Tierhalter sollten sich Gedanken über eine Flohprophylaxe machen statt deswegen den Notdienst aufzusuchen“, sagt Bertram. Ihr Tipp für den Akutfall außerhalb der Sprechzeiten: „Betten abziehen und alles heiß waschen.“
Das Gleiche gilt für Würmer im Kot. „Auch das mag eklig sein, ist aber kein Notfall für den Hund.“ Auch eine Zecke ist keine lebensbedrohliche Lage. „Eine Zecke, die bereits gesaugt hat, saugt nicht mehr. Auch nicht am Menschen“, so Christina Bertram.
„Hilfe, mein Hamster hat dicke Backen“: Wenn Menschen ihr eigenes Tier nicht richtig kennen
Eine Tierärztin berichtet von einer Familie, die mit ihrem Hamster in die Notfallsprechstunde kam, mit folgender Sorge: „Der hat einen dicken Tumor im Gesicht!“ Dass diese Hamsterbacken typisch sind für die Nagetiere, war dieser Familie völlig neu: In ihren Backen transportieren die Nager Futter und Nistmaterial – weiß man als Halter eines Hamsters eigentlich.
„Andere befürchteten, dass ihr Hamster zwei Tumore am Po hat und sahen auch das als Notfall“, berichtet die Tierärztin. Nun ist es aber so, dass die Hoden bei Hamstern tatsächlich sehr ausgeprägt sein können.
Ob ein angeblicher Tumor im Gesicht oder am Po: Beides sind keine Notfälle, die Aufklärung hätte Zeit bis zur nächsten Sprechstunde gehabt. Besser noch: Man informiert sich vor der Anschaffung eines Tieres über dessen Charakteristika.
Tierärzte berichten über einen Katzenhalter, der eine Brustwarze für einen Tumor hält
Auch ein Beispiel für fehlendes Wissen über das eigene Tier: „Ein Tierhalter hatte Sorge, dass sein Kater einen Tumor hat, dabei waren es lediglich seine Brustwarzen, denn auch Kater haben welche“, so Bertram. Das Problem heutzutage: „Die Menschen wollen die Dinge immer sofort geklärt haben, auch abends und in der Nacht, anstatt sich einen Termin in der Sprechstunde zu holen“, haben Bertram und ihre Kollegen beobachtet.
Und auch das gibt es tatsächlich: „Menschen, die abends in netter Runde sitzen und gewettet haben, ob ein Pferd auch Nieren hat und die deshalb in der Notfallsprechstunde anrufen“, berichtet Christina Bertram und macht darauf aufmerksam, dass jeder Anruf in der Nacht den Kollegen aus dem Schlaf reißt.
Tierarzt in Hamburg: Wenn der Hund seit drei Wochen Durchfall hat und plötzlich ein Notfall ist
„Der Hund hat schon lange Durchfall, tendenziell stört es manche Halter aber erst dann, wenn der Hund auf den Teppich macht. Dann wird sofort der Tierarzt angerufen, egal wann“, so Christina Bertram. „Wenn ein Hund drei Wochen Durchfall hat, hätte dieser Tierhalter längst zum Arzt gehen müssen.“
Generell gelte: „Hat ein Hund mal zwei oder drei Tage weichen Kot, dann gibt sich das meistens wieder von selbst. Mit Hausmitteln wie Hühnchen mit Reis kann man sein Tier unterstützen.“
Ein Notfall ist Durchfall dann, wenn der Allgemeinzustand des Tieres auffällig ist, wenn es schlapp ist, wenn es erbricht. Zwar ist Tierärztin Christina Bertram kein Freund von Google im Allgemeinen, aber viele ihrer Kollegen haben inzwischen so gute Homepages mit vielen relevanten Informationen. „Oder man schaut einmal auf anderen Fachseiten nach, aber nicht in Tierhalter-Foren.“ Das sorge meist nur für noch mehr Verunsicherung.
Mit kaputter Kralle nachts zum tierärztlichen Notdienst? Tierärztin rät ab
Auch ein entzündetes Auge, eine Bindehautentzündung, so Christina Bertram, sei kein Fall für den Notdienst. „Da genügt es, sich einen Termin bei seinem Tierarzt geben zu lassen.“
Ja, abgerissene Krallen bei Meerschweinchen oder Kaninchen können stark bluten, sind aber harmlos. Christina Bertram empfiehlt in diesem Fall einen Druckverband. „Blut sorgt immer schnell für Unsicherheit.“
Es ist zwar teurer, außerhalb der Sprechzeiten in die tierärztliche Notfallpraxis zu fahren, aber für manche wohl auch bequemer. Das habe durchaus zugenommen, so die Beobachtung von Hamburger Tierärzten. „Die sagen, dass sie dann nicht so lange warten müssen.“
Hamburg: Statt Katze regelmäßig zu pflegen, fahren manche mit dem Tier in die Notfallpraxis
Auch das haben Bertrams Kollegen schon erlebt: Katzenhalter, die mit ihrem völlig verfilzten Tier in die Notfallsprechstunde kommen. „Die sind dann manchmal so doll verfilzt, dass sie nur in Narkose frei geschnitten werden können.“ In dem Fall hat der Tierhalter es schon vorher versäumt, das Fell seiner Katze regelmäßig zu bürsten.
Meistens hat der Hund einfach nur Husten, aber manche Halter malen sich gleich das Schlimmste aus und denken an einen Fremdkörper im Rachen. Das ist aber selten der Fall. Meistens ist es beim Hund Zwingerhusten.
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Der Unterschied: „Husten kommt und geht, beim Fremdkörper hustet und würgt der Hund ohne Unterlass“, so Bertram. Bei der Mandelentzündung hustet der Hund auch und spuckt vielleicht auch mal. Husten und Mandelentzündung gehören nicht in die tierärztliche Notfallsprechstunde.
Tierärzte empfehlen, das Haustier regelmäßig zu beobachten – nicht nur am Wochenende
Vor allem an den Wochenenden haben Tierhalter Zeit, sich ihr Tier einmal genauer anzuschauen, und dann fallen ihnen Sachen auf, die sie sofort geklärt haben wollen: Wenn der Hund lahmt oder humpelt zum Beispiel. „Wenn ein Hund schon über längere Zeit immer mal wieder humpelt, dann gehört das nicht in den Notdienst“, so Christina Bertram.
Anders sieht es aus, wenn der Hund plötzlich massiv lahmt, von jetzt auf gleich. „Dann hat er starke Schmerzen.“ Generell gilt: „Halter sollten ihre Tiere immer gut beobachten, nicht nur am Wochenende, und nicht immer gleich in Panik verfallen.“