Neustadt. Tierärztin Karen Voelkel hilft mit dem DRK den Tieren, die mit ihren Besitzern auf der Straße leben. So arbeitet sie.

Eben war das Karstadt-Kaufhaus an der Mönckebergstraße noch hell erleuchtet, um 20 Uhr aber gehen die Lichter aus. Im düsteren Kaufhaus-Eingang ist an diesem nasskalten Montagabend Sprechstunde. Eine besondere Sprechstunde für Tiere, meist Hunde, von obdachlosen Menschen. Tierärztin Karen Voelkel und ihr Team kümmern sich mit der Obdachlosenhilfe des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) um die Hunde, deren Halter sich einen Tierarztbesuch in einer Praxis niemals leisten könnten.

Das Vordach des Karstadt-Eingangs schützt Mensch und Tier zumindest vor dem fiesen Nieselregen. Viel schlechter könnten die Wetterbedingungen kaum sein. Unvorstellbar bei dieser Witterung länger als nötig draußen sein zu müssen. Von unten kriecht die Kälte hinauf. Jeden ersten Montag im Monat ist hier tierärztliche Sprechstunde. Die Tierarztpraxis besteht aus einem Tisch, aus einer Kiste mit Medikamenten, und das Wartezimmer ist der nasse Asphalt. Eine Lichtquelle gibt es nicht, etwas Helligkeit kommt immerhin vom Weihnachtsmarkt nebenan auf dem Gerhard-Hauptmann-Platz.

Krallen kürzen, Sechsfachimpfungstehen bei Macho an

Für Tierärztin Karen Voelkel sind diese Bedingungen kein Grund, den Hunden keine Grundversorgung zukommen zu lassen. Das Wetter ist egal. Der erste Patient an diesem Abend ist Mischlingsrüde Macho. Er muss sich die Krallen kürzen lassen und bekommt eine Impfung – gleich eine sechsfache, die gegen Krankheiten schützt wie Staupe, Tollwut oder Hepatitis. Macho ist bekannt und stellt sich seit drei Jahren regelmäßig zur Kontrolle auf dem Bürgersteig vor.

„Macho ist mein Ein und Alles“ erzählt Angela, die ihren Nachnamen wie alle Obdachlosen an diesem Abend nicht nennen möchte. Angela ist bekannt und bevor es daran geht, Macho zu behandeln, fragt Tierärztin Voelkel auch sie kurz, wie es ihr geht. Seit fünf Jahren lebt Angela in einem Wohnwagen, vor zwei Jahren hat sie ihren Mann verloren. „Eine Wohnung kann ich mir in Hamburg nicht leisten, also lebe ich bei Freunden auf dem Grundstück“, erzählt die 67-Jährige. Ohne die Obdachlosen-Hilfe könnte sie sich keinen Hund leisten, sagt sie. Und sie ist froh, dass Macho robust und selten krank ist.

Hier gibt es in Hamburg Hilfe für die Hunde von Obdachlosen

Seit 2010 kümmern sich Karen Voelkel und ihr Team mit der Obdachlosenhilfe des DRK Wandsbek ehrenamtlich um die Gesundheit der Tiere obdachloser Mitmenschen. Das Projekt ging 2008 mit der Hamburger Tierärztekammer und dem Franziskus Tierheim an den Start. Obdachlose, die ihr Tier bei ihr vorstellen, müssen möglichst den Heimtierausweis vorweisen. Um die Identität nachweisen zu können, wird mit dem Chiplesegerät vor jeder Behandlung der Chip unter der Haut des Tieres abgelesen. So soll auch ausgeschlossen werden, dass ein Hund gestohlen wurde.

Peter Giessler, der seit zwölf Jahren für das DRK vor Ort ist, berichtet von den Zeiten, als osteuropäische Obdachlose Hunde gezielt zum Betteln eingesetzt haben. Ein niedlicher Hund kann eben dafür sorgen, dass die Menschen großzügiger sind, den Bettlern mehr Geld geben. Das Problem dabei: Oftmals war nicht bekannt, woher diese Hunde eigentlich kamen. „Das waren auch gestohlene Hunde, die ungechippt waren, ohne EU-Heimtierausweise“, so Giessler. Ein Ausschlusskriterium für die Behandlung durch das Deutsche Rote Kreuz, das nämlich die Kosten übernimmt. „Das Phänomen dieser Hundemafia unter den rumänischen oder slowakischen Obdachlosen hat in den vergangenen Jahren nachgelassen“, hat Giessler beobachtet. Häufig können die Obdachlosen den Heimtierausweis hervorkramen, in einer Plastikhülle vor Wind und Wetter geschützt. Oft werden aber auch diese Papiere in den Unterkünften gestohlen.

Mitleid ist für die Hunde von Obdachlosen nicht angebracht

Mitleid hat Tierärztin Voelkel übrigens mit den Hunden der Obdachlosen nicht unbedingt. Sicher, sie leben draußen, sind viel auf kaltem Asphalt. Aber andererseits sind sie nie allein. „Denen geht es auf der Straße häufiger besser als einem Hund, der zu Hause stundenlang allein ist. Hunde möchten immer bei ihren Haltern sein.“ Für diese Menschen sind die Hunde Beschützer, Familie und bester Freund in einem. Es sind Menschen, die sonst nicht viel haben. Zuneigung und bedingungslose Treue aber schenken Hunde einfach so. Egal, wie reich oder arm jemand ist.

An den Montagabenden können nur Kleinigkeiten behandelt werden. Impfungen und Parasitenbehandlungen etwa. Bei Clarence, dem Schäferhund-Collie-Mischling gibt es eine Spritze gegen seinen starken Juckreiz. Reine Symptombehandlung, aber besser als ihn weiter leiden zu lassen. Zusätzlich gibt Tierärztin Voelkel Clarence’ Halterin noch eine Wurmkur für ihren Hund und Flohschutz mit. Auch eine Allergie könnte die Ursache für den Juckreiz sein.

Wer wirklich krank ist, muss in die Praxis kommen

Mischling Lilly allerdings kann an diesem Abend nicht geholfen werden. Die 12 Jahre alte Hundedame hat wohl etwas Ernsthaftes. „Sie ist in kürzester Zeit erblindet, ihr geht es nicht gut“, berichtet ihre Besitzerin Nicole. „Lilly hustet Blut und hat fünf Kilo abgenommen.“ Für die 34-Jährige, die bei einem Bekannten in Bergedorf untergekommen ist und seit drei Jahren keine Wohnung hat, ist ihre kleine Hündin sehr wichtig. „Sie beschützt mich und gibt mir einfach alles.“

Lilly muss zur weiteren Klärung in die Praxis nach St. Pauli kommen. Die Kosten für die weitere Behandlung wird mit den DRK-Mitarbeitern vor Ort besprochen, die ihre Einwilligung geben müssen. Finanziert wird das Projekt aus Spenden. Die Aktion ist nur für Obdachlose. Aber Peter Giessler sagt auch: „Wer offensichtlich bedürftig ist, den werden wir sicherlich nicht mit seinem Hund wegschicken.“

Zeitgleich versorgt der VereinHundelobby die Tiere mit Futter

Sechs Patienten behandelt Tierärztin Voelkel an diesem Abend. Maddox mit der Kralle, die er sich beim Rolltreppenfahren verletzt hat etwa oder Koda, der Husten hat und eine Spritze mit einem Antibiotikum bekommt. Maik (29) und seine Freundin Cecilia (20), die drei Ratten unter ihrer Kapuze hat, sind froh, dass dem Hund geholfen wird. Zur weiteren Abklärung aber müssen sie in die Praxis kommen, dann können auch die Krallen der Ratten geschnitten werden.

Die Lichtverhältnisse auf dem Bürgersteig sind dafür dann doch zu schlecht. Nebenan stehen Jule Thumser und ihr Helfer vom Verein Hunde-Lobby mit ihrem roten Citroen und verschenken aus dem Kofferraum heraus Futter und Hundezubehör, wie wärmende Mäntel, Leinen, Geschirre. „Auch Katzenfutter haben wir dabei und geben das gern ab“, sagt Jule Thumser.

Für Maik und Cecilia mit ihrem Koda ist das ein bisschen wie Weihnachten. Sie greifen zu, probieren verschiedene Hundemäntel aus und finden schließlich einen, der gut sitzt und dem Hund noch genügend Bewegungsfreiheit lässt. Es sind die Tiere, die an diesem Abend im Mittelpunkt stehen und Mitgefühl erfahren. Gleichzeitig wird auch für die Menschen gesorgt, die sich beim Obdachlosenbus eine warme Mahlzeit abholen können (siehe Text unten), bevor es etwa für Maik und Cecilia zurück in ein leerstehendes Haus nach Bergedorf geht, ihr Zuhause. Cecilia lebt auf der Straße, seitdem sie zwölf Jahre alt ist.

Spendenkonto: DRK KV Hamburg-Nordost e.V., IBAN DE 68 2005 0550 1035 2183 10, BIC HASPDEHHXXX, Stichwort „Tierhilfe"“.

Das Team der Rotkreuz-Obdachlosenhilfe sucht dringend ehrenamtliche Verstärkung. Zweimal wöchentlich fährt der Obdachlosenbus vom DRK-Kreisverband Wandsbek in die Innenstadt, um heiße Getränke, Brötchen und Kleidung an Bedürftige zu verteilen. Besonders im Winter werden auch Spenden wie Schlafsäcke und warme Kleidung ausgegeben. Nach der Essensausgabe sollten die Helfer die Bereitschaft mitbringen, noch eine Weile vor Ort bleiben. Denn die obdachlosen Menschen brauchen oft auch jemanden, der ihnen einmal zuhört. Mithelfen kann jeder ab 18 Jahren. Informationen unter 040 / 657 00 41 oder www.drk-wandsbek.de.