Hamburg. Jan Eggers wartet stundenlang auf den Eingriff. Doch der Termin fällt wegen nicht sterilen OP-Bestecks aus. Kein Einzelfall.

Manchmal schreckt Jan Eggers in der Nacht auf. Dann kreisen die Sorgen in seinem Kopf. Er malt sich die schlimmsten Szenarien aus. „Man plant seine Beerdigung“, sagt der 78-Jährige aus Hamburg-Volksdorf knapp. Bei einem Routinecheck entdeckte sein Arzt vor einigen Wochen die Anomalie in der Niere. Einige Untersuchungen später war klar: Es handelt sich um einen Tumor, er hat nicht gestreut, muss aber schnellstmöglich entfernt werden. Desto höher ist die Chance, dass ein Teil der Niere erhalten werden kann. Jan Eggers hat nur noch diese Niere.

Ursprünglich hatte der Hamburger am 31. August einen Operationstermin in der Asklepios Klinik Altona. Das wäre sechs Wochen nach der Diagnose gewesen. Sechs Wochen, in denen das Ehepaar Eggers bewusst zurückgezogen lebte, damit sich der 78-Jährige nicht noch eine Viruserkrankung wie Corona einfängt und der Termin am Ende verschoben werden muss. Mittlerweile ist es fast Ende September und Jan Eggers hat weiterhin einen Tumor in seiner einzigen vorhandenen Niere.

Krankenhaus Hamburg: Tumor-OP abgesagt, weil sauberes OP-Besteck fehlt

„Dieser Missstand ist doch nicht hinnehmbar“, sagt Annegret Eggers. Sie hat sich beim Abendblatt gemeldet, nachdem das Personal und Ärzte im Krankenhaus sie angefleht hätten, sich zu wehren, wie sie berichtet. „Für die Ärzte und die Mitarbeiter ist es auch eine Katastrophe“, sagt die 74-Jährige. Was sie schildert, erstaunt: Zu wenig sauberes OP-Besteck führe dazu, dass Operationstermine reihenweise abgesagt und verschoben werden müssten. Das hat das Ehepaar Eggers selbst erlebt.

Am 12. September hatte Jan Eggers seinen bereits einmal verschobenen Termin für den Eingriff in der Asklepios Klinik Altona. Seine ursprünglich für den 31. August angesetzte Operation war eine Woche zuvor abgesetzt worden. Der Grund damals: Nachdem sich die Ärzte die Bilder noch einmal angesehen hätten, seien sie zu dem Ergebnis gekommen, dass der Eingriff mit einem Roboter Risiken berge.

Wie das Paar weiter berichtet, wäre deshalb ein neuer Termin für einen Eingriff mit herkömmlichen Instrumenten für den besagten Dienstag vereinbart worden. Woran es dann wieder scheitert? Ausgerechnet an den herkömmlichen Instrumenten.

Asklepios-Sprecher bestätigt Materialengpässe – kein Einzelfall in Hamburg

Denn nach fünf Stunden Warten und zig Nachfragen teilte ihnen eine Ärztin mit, dass die Operation ausfallen müsse. Es gebe kein steriles Besteck, und das, obwohl Jan Eggers der zweite OP-Termin an diesem Tag sein sollte. Familie Eggers ist kein Einzelfall. Das bestätigt Mathias Eberenz als Sprecher der Asklepios Kliniken GmbH auf Abendblatt-Anfrage.

Am besagten 12. September hätten vier Eingriffe nicht wie geplant durchgeführt werden können. „Grund der Verschiebungen waren in der Tat Materialengpässe. OP-Säle und medizinisches Fachpersonal standen ausreichend zur Verfügung“, sagt Eberenz. Vier Eingriffe – das sind rund zehn Prozent der durchschnittlichen Operationen an einem Tag in der Asklepios Klinik Altona.

Eberenz betont: „Die Asklepios Klinik Altona betreibt ein Dutzend OP-Säle, und im Schnitt werden täglich mehr als 50 Operationen durchgeführt – von planbaren Operationen bis hin zu akuten Notfällen.“ Er verweist darauf, dass der Betrieb von Operationssälen hochkomplex und daher für Störungen leider anfällig sei. Aber es gibt derzeit noch ganz andere Probleme.

Lieferengpass – defekte Instrumente können in Kliniken nicht ersetzt werden

„Verschärfend hinzugekommen sind aber insbesondere seit der Corona-Pandemie die weltweit existierenden Rohstoff- und Lieferengpässe, die sich in der OP-Versorgung dramatisch bemerkbar machen“, erklärt der Sprecher der Asklepios Kliniken. Lieferengpässe oder Lieferabrisse bei Verpackungsmaterialien und OP-Instrumenten existierten seit vielen Monaten – und Besserung sei nicht in Sicht. Zudem habe eine neue Medizinproduktverordnung die Situation verschärft.

Die Einführung und die Umsetzung auf der Industrieseite habe zu enormen Lieferengpässen bei Operationsinstrumenten und anderen Medizinprodukten geführt, so Eberenz. Dadurch hätten sich nicht nur bei komplexen, sondern auch bei einfachen Instrumenten die Lieferzeiten enorm verlängert.

„Was früher einige Tage gedauert hat, kann im Moment einige Monate dauern“, berichtet der Sprecher. Defekte oder fehlende Instrumente könnten nicht sofort ersetzt werden. Wenn dann im ungünstigsten Fall aufgrund des Fachkräftemangels und gehäufter Krankheitsfälle Fachpersonal in der Sterilgutaufbereitung fehle, dann könne es kurzfristig zu nicht vorhersehbaren Materialengpässen kommen – und das wiederum führe zu einer kurzfristig abgesagten Operation.

Ärzte sagen Tumor-OP ab, weil Instrumente fehlen – „unmenschlich“

„Eine Klinik ist doch verpflichtet, wenn sie Operationstermine annimmt, nötiges OP-Besteck zur Verfügung zu stellen“, hält Annegret Eggers dagegen. Man stelle sich doch auf solch einen Eingriff ein, stehe Ängste aus, warte stundenlang ohne Nachrichten, um dann mit solch einem Grund nach Hause geschickt zu werden. „Das ist unmenschlich“, sagt die 74-Jährige.

Und die meisten der kranken Patienten hätten doch gar nicht die Kraft, sich zu wehren. Doch Annegret Eggers ist da anders. Sie und ihr Mann sind seit 52 Jahren verheiratet, haben sich ein paar Hundert Meter von ihrem heutigen Wohnhaus auf einer Party in Volksdorf kennen- und lieben gelernt. Sie kann es nicht ertragen, ihren Mann leiden zu sehen – und sie hat in ihrem Leben gelernt zu kämpfen.

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„Wir wissen, dass der Umstand, sich mental und emotional auf eine größere OP eingestellt zu haben, die dann verschoben wird, sehr schwierig ist. Und das tut uns sehr leid“, sagt der Sprecher der Asklepios Kliniken. Er verspricht: „Wir arbeiten hart dafür, die angespannte Situation im Personalbereich – Fachkräftemangel – und beim OP-Besteck – Lieferengpässe – zu verbessern. Wir sind aktuell mit unserem Maßnahmenpaket so weit fortgeschritten, dass wir eine deutliche Stabilisierung für das Restjahr erwarten.“

Das Maßnahmenpaket umfasse unter anderem die verstärkte Fachkräfteakquise in allen Bereichen, das Entwickeln von Ausfallkonzepten und die Einrichtung von Springerpools sowie erhebliche Investitionen in zusätzliches Material, das aber insbesondere bei raren OP-Sets am Weltmarkt nur mit sehr viel Vorlauf zu erhalten sei.

Familie Eggers hofft nun darauf, dass an ihrem nächsten Termin am 25. September genug sauberes OP-Besteck da ist. Doch wie sagte ihr Arzt, der versprach, er wolle sich dafür starkmachen, dass es diesmal klappt? Hauptsache, es wütet keine Viruserkrankung unter dem Fachpersonal in der Sterilgutaufbereitung. Dann würde es wohl wieder nichts werden.