Hamburg. Neues Bauheft zeigt, wie sich die einst so lebendige Meile in den 1950er-Jahren veränderte – und wer dafür verantwortlich war.

Einst war die Königstraße in Altona so etwas wie der Jungfernstieg von Hamburg: Eine attraktiv bebaute, lebendige Meile, an deren Rand veritable Wohnungen, Geschäfte und Kultureinrichtungen lagen.

Davon ist nicht viel geblieben. Abrisse und Neubauten in den 1950er- und 60er-Jahren haben die Straße völlig verändert. Den besonderen Status der „Kö“ von Altona belegten erst kürzlich die Ausgrabungen neben der angrenzenden Kirche St. Trinitatis.

Zerstörtes Altona: Wenig erinnert an dichte Bebauung der Königstraße

Ein neues Bauheft (Nummer 32) beschreibt jetzt die Geschichte der einstmals schönen Straße, die längst eine unauffällige Durchgangsachse ist. „Wer sie heute entlanggeht, wird angesichts des zerrissenen Stadtraums kaum auf den Gedanken kommen, dass sie einstmals dicht bebaut war“, schreibt Bauheft-Herausgeber Jörg Schilling.

In der Tat vermittelt die uneinheitliche, durchschnittliche Bebauung so gut wie nichts mehr von der einstigen Bedeutung der Straße und ihrer Gebäude. Das 1876 eröffnete Stadttheater, das einst schräg gegenüber der heutigen S-Bahn-Station Königstraße gestanden hatte, war eines der wichtigsten und beliebtesten Gebäude von ganz Altona.

Es ist genauso verschwunden wie das schon 1799 gegründete sogenannte Unterstützungsinstitut, in dem einst in finanzielle Not geratenen Bedürftige Hilfe fanden. Sozialpolitischen Gedanken der Aufklärung folgend, ging es auf die Initiative Altonaer Bürger zurück. Von 1859 an hatte das Institut seinen Sitz in einem schönen (1912 umgestalteten) Bau an der Ecke zur heute nicht mehr existierenden Catharinenstraße.

Zweite Zerstörung des alten Altona – zwei Männer waren verantwortlich

Viele der klassischen Bauwerke, die über viele Jahrzehnte Altonas Stadtbild geprägt hatten, wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, darunter das alte Rathaus, ein Teil des Museums und das Hotel Kaiserhof. Andere waren erhalten und wurden später rigoros abgerissen, um „neues Bauen“ in Altona durchzusetzen.

Die Vorgänge, die Autor Dirk Hempel – Mitarbeiter im Stadtteilarchiv Ottensen – in diesem Zusammenhang beschreibt, können heute durchaus als die zweite Zerstörung des alten Altona (am Beispiel der Königstraße) bezeichnete werden.

Verantwortlich dafür waren zwei Männer: Hamburgs Oberbaudirektor Werner Hebebrand und Ernst May, einer der bedeutendsten Stadtplaner des 20. Jahrhunderts und ein „radikaler Technokrat“ (so Hempel).

Wie dieses Foto aus dem Bauheft zeigt, war die Bebauung des westlichen Teils der Königstraße 1954 noch völlig erhalten. Dann wurde alles abgerissen.
Wie dieses Foto aus dem Bauheft zeigt, war die Bebauung des westlichen Teils der Königstraße 1954 noch völlig erhalten. Dann wurde alles abgerissen. © Hamburgischer Architekturarchiv /Schaff Verlag | Hamburgischer Architekturarchiv

Wenig bekannt ist, dass 1954 in Altona unter Federführung der beiden Männer das größte Bauvorhaben der jungen Bundesrepublik umgesetzt wurde: der Bau von mehr als 11.000 Wohnungen für rund 36.000 Menschen auf einem 210 Hektar umfassenden Gebiet. Es lag zwischen Nobistor und dem Altonaer Bahnhof, Holsten- und Elbstraße und erhielt den Namen „Neu-Altona“.

Rigorose Zerstörung des alten Altona wäre heute ausgeschlossen

Man muss fairerweise feststellen – und das tut auch Dirk Hempel –, dass nach der massiven Bombenzerstörung Altonas (wie auch ganz Hamburgs) dringend Wohnungen gebraucht wurden und dass eine hell-luftige Bebauung damals überall durchgesetzt wurde.

Das geschah unter anderem auch, um architektonisch neue Akzente zu setzen und Zeitenwende und Neustart auch äußerlich sichtbar werden zu lassen. Doch wie insbesondere May vorging, war schon damals hoch umstritten. Heute wäre die Rigorosität, mit der er seine Stadt(teil)planung durchsetzte, ganz und gar ausgeschlossen.

Es folgte das Ende des alten Altona, das – wäre mehr davon erhalten geblieben – heute vermutlich einen ähnlichen Status wie das Schanzenviertel haben könnte.

„Innerhalb weniger Jahre zerstörten die Planer Altonas Stadtbild endgültig“

„Großzügig rasierte May mit seinem Zeichenstift die Hinterhöfe weg (...)“, schrieb der „Spiegel“ 1955, „ein Drittel der verwinkelten Straße radierte er aus.“ Und weiter: „Den Krieg sah May als ,großzügigen Schöpfer’, der Platz geschaffen hatte für die ideale Stadt der Moderne. Wo noch Gebäude von den Luftangriffen verschont geblieben waren, ließ er sie ,kühlen Herzens’ abreißen – auch die Reste der meisten Kulturdenkmäler.“

Das 1799 gegründete „Unterstützungsinstitut“ war noch 1960 völlig unzerstört erhalten, dann musste es „Neu-Altona“ weichen.
Das 1799 gegründete „Unterstützungsinstitut“ war noch 1960 völlig unzerstört erhalten, dann musste es „Neu-Altona“ weichen. © Aus: Hamburgs Privatbauten, hg. v. Architekten- und Ingenieurverein

Die Rekonstruktion des historisch gewachsenen Zentrums – wie in anderen Städten – hielten Hebebrand und May laut Dirk Hempel für undenkbar. Das barocke Rathaus ließen sie nicht wieder aufbauen, dafür aber etliche bedeutende Gebäude, die kaum oder gar nicht beschädigt waren, rigoros abreißen und die Flächen kreuz und quer überbauen. „Innerhalb weniger Jahre zerstörten die Planer Altonas Stadtbild endgültig“, schreibt Dirk Hempel, „und vollendeten die 20 Jahre zurückliegende Eingemeindung auch städtebaulich.“

Das Bauheft über die Königstraße (mit Beiträgen über den jüdischen Friedhof und die jüngsten Ausgrabungen bei St. Trinitatis) ist im Schaff Verlag erschienen und kostet zwölf Euro.
Das Bauheft über die Königstraße (mit Beiträgen über den jüdischen Friedhof und die jüngsten Ausgrabungen bei St. Trinitatis) ist im Schaff Verlag erschienen und kostet zwölf Euro. © Schaff Verlag | Schaff Verlag