Hamburg. Das Problem betrifft Häuser für die Inklusion. Frau konnte Wohnung zwei Jahre nicht verlassen. Das sagen Politik und Vermieter.
Es ist ein selbst gedrehter kleiner Film, der betroffen macht: Eine junge Frau namens Britta fährt mit ihrem Rollstuhl auf einen Hauseingang in der Neuen Mitte Altona zu. Mühsam fingert sie den Schlüssel aus ihrer Jackentasche, steckt ihn ins Schloss und drückt dann mit aller Kraft gegen die schwere Haustür. Doch die Tür drückt auch gegen Britta. Es folgt ein demütigender Kampf mit der Technik.
Mehrmals schafft es die Frau, den Rollstuhl knapp über die sperrige Schwelle zu manövrieren, mehrmals wird er wieder zurückgeschoben. Irgendwann gelingt es Britta, einen Teil des Gefährts zwischen Tür und Rahmen zu klemmen und sich zentimeterweise vorzuarbeiten. „Diesmal hab ich Glück“, sagt sie, „oft schnappt mir die Tür vor der Nase zu und alles fängt wieder von vorne an.“
Neue Mitte Altona: Panne – sperrige Haustüren trotz barrierefreier Wohnungen
Die Szene spielt sich nicht an einem betagten, unpraktischen Altbau ab, der den technischen Erfordernissen der Zeit nicht mehr gewachsen ist. Ganz im Gegenteil. Britta versucht, in einen Neubau im Herzen des modernen Stadtteils zu gelangen, der erst vor Kurzem fertiggestellt wurde. Und nicht nur das.
Das Haus und mehrere Nachbarhäuser gehören zu einem viel beachteten Inklusionsprojekt, bei dem es gezielt darum geht, Menschen mit Behinderungen den beschwerlichen Alltag zu erleichtern. Die einzelnen Wohnungen in diesen Häusern sind barrierefrei und zu Recht hochgelobt. Das eigentliche Problem bilden die schweren Haustüren der Mehrfamilienhäuser, wie sich beim Besuch des Abendblatts vor Ort deutlich zeigt.
Neue Mitte Altona: Nachbarschaftsforum kämpft für Menschen mit Behinderungen
Aufgedeckt wurde die Misere von Karla Neuhaus, die sich seit Jahren im Nachbarschaftsforum „Eine Mitte für alle“ engagiert. Dort setzen sich Menschen für ihre Nachbarinnen und Nachbarn ein – schnelle und unbürokratische Hilfe. Am Forum nehmen Bürgerinnen und Bürger sowie Institutionen aus vielen Bereichen teil, unter anderem aus Politik, Verwaltung, Kreativwirtschaft, Stiftungen, Kirche und Stadtplanung.
Beteiligt sind Menschen mit und ohne Behinderung und der verschiedensten Herkunfts- und Altersgruppen. Einen Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit bildet das Bestreben, den neuen Stadtteil Mitte Altona möglichst inklusiv zu gestalten – und genau daran hapert es hier.
Panne bei Vorzeige-Neubau: Immer muss jemand helfen, die Haustür zu öffnen
Wir treffen Karla Neuhaus vor einem modernen Mehrfamilienhaus an der Felicitas-Kukuck-Straße. Mehrere Betroffene kommen hinzu. In dem Wohnblock diverser Baugemeinschaften leben viele – wie es offiziell heißt – türkische Seniorinnen und Senioren der ersten Einwanderungsgeneration. Die meisten sind auf Rollatoren und sonstige Gehhilfen angewiesen, einige auch auf den Rollstuhl.
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Nafisce Günjar schiebt ihren Rollator gegen die Schwelle der Haustür, die nun wie ein kaum überwindbares Hindernis wirkt. Zum Öffnen der Tür reichen ihre Kräfte kaum aus, eine Nachbarin hilft. Ähnlich ergeht es der betagten Sadife Tosbatt.
Erschütternd ist der tägliche Kampf, den Gülcüm Meti und ihr schwer behinderter Bruder Atalay ausfechten. Er wird morgens von einer Tagespflegeeinrichtung abgeholt und nachmittags zurückgebracht. „Nie kann ich meinen Bruder alleine aus dem Haus bringen oder vom Bus abholen“ berichtet Gülcüm Meti, „immer muss jemand mitkommen und die Tür aufhalten.“
Neue Mitte Altona: Frau konnte Wohnung seit zwei Jahren nicht verlassen
Nach Schätzung von Karla Neuhaus sind rund sieben Häuser im Stadtteil von dem Problem betroffen. Wie viele Menschen dadurch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, ist unklar – „aber jeder Einzelne ist einer zu viel“. Karla Neuhaus hat sich schon mehrfach über diese Situation beschwert, geschehen sei bislang aber gar nichts.
„Es ist nicht hinnehmbar, dass die Bewohnerinnen und Bewohner in neu gebauten, barrierefreien Wohnungen leben, aber die Haustüren nicht alleine öffnen können“, sagt Neuhaus. Erschütternd: Aus eben diesem Grund hat eine Frau ihre Wohnung seit geschlagenen zwei Jahren nicht mehr verlassen.
Neuhaus langte es schließlich, und sie schaltete den bezirklichen Sozialausschuss ein. Dessen Vorsitzende, die FDP-Politikerin Katarina Blume, reagierte prompt. „Die Begegnung mit der Dame, die seit Jahren an die Wohnung gefesselt ist, hat mich tief bewegt“, sagt Blume. „Die Stadt schmückt sich mit einem Vorzeigequartier, das der näheren Betrachtung nicht standhält.“
Sperrige Türen: Behörde und Vermieter versprechen Abhilfe
Nun gibt es doch Hoffnung. „Der Sachverhalt ist der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen bekannt und befindet sich in Bearbeitung“, sagt deren Sprecher André Stark. „Gemäß Hamburger Bauordnung müssen die betreffenden Gebäude für Menschen mit Behinderung ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sein“, stellt Stark klar. „Das ist hier nicht gegeben, sodass die Eigentümer aufgefordert werden, zeitnah ordnungsgemäße Zustände herzustellen.“
Dietmar Baaß, vom Vorstand der Kaifu Nordland Genossenschaft für mehrere der betroffenen Häuser zuständig, lenkt ein. „Wir prüfen und klären das sehr wohlwollend“, so Baaß zum Abendblatt, „wir werden diesen Menschen helfen.“