St. Pauli. Der schwache Start nach der Pandemie ist vergessen. Auf dem Volksfest am Hafen geht es mittlerweile rund. Unterhaltung gibt's gratis.
Die beiden Asiatinnen am Stand von Bananen-Fred sind von den weißen Socken. Verblüfft blicken sie sich um: Der wortgewaltige Schnackbär auf der Lkw-Pritsche will ihnen doch tatsächlich eine riesige Jutetasche mit Wassermelone, Bananen, Orangen, Paprika, „deutschen Äpfeln aus Afrika“ und dann noch Erdbeeren für 15 Euro abgeben. Her damit. Und weil die jungen Frauen aus Fernost so herrlich erstaunt sind, gibt’s eine Kiste Mangos mit auf den Arm. „Aufs Haus, Mädels“, brüllt Seli. Sie können es nicht fassen. Er ist in Hochform. Und das Publikum happy.
Ein paar Meter weiter preist Aale-Dieter seinen fangfrischen Räucherfisch an wie Butter: „Zart, weich, geschmackvoll. Hast du in deinem Leben noch nie gekriegt, sowas Gutes.“ Obwohl erst kurz nach sieben Uhr früh, rastet ein Niederländer namens Roberto auf seinem Anhänger komplett aus. „Ich bin verrückt“, schreit er, tanzt wie Rumpelstilzchen. Warum? „Weil meine Preise so irre sind.“
Großer Andrang auf dem Hamburger Fischmarkt
Tatsächlich ist auf dem Fischmarkt der Klabautermann los. Maiwetter vom Allerfeinsten und eine grandiose Stimmung fast wie vor Corona verwandelt das Verkaufsspektakel am Elbufer tatsächlich zum Volksfest. Überwiegend maskenfrei. Muttertag belebt das Geschäft zusätzlich. Im Umkreis der Fischauktionshalle geht’s rund wie lange nicht mehr. Es ist eine Renaissance erster Klasse.
„In der Tat ist die Stimmung grandios“, befindet Klaus Moritz. „Endlich wieder.“ Vis-à-vis seines Fischwagens genießt er ein Pausenkäffchen. Pech-schwarz. Absolut okay, wenn man um 1.30 Uhr früh in Poggensee im Kreis Herzogtum Lauenburg losfuhr, um 2.30 Uhr auf dem Fischmarkt mit dem Aufbau begann und um 4.10 Uhr das erste Matjesbrötchen an die Nachtschwärmerin brachte. Klaus Moritz hökert seit 1894 in vierter Generation mit frischen Fischspezialitäten. Mit Daniela und Jannik ist die Generation fünf auf dem Wagen an Bord. Ehefrau Birgit, Schwester Susanne, Nichte Johanna sowie eine Aushilfe haben an diesem Sonntagmorgen alle Hände voll zu tun. Der Umsatz des Familienbetriebs brummt lustvoll.
Fischmarkt: Nach zwei Jahren zurück in alter Frische
„Dat ward ok Tied“, fügt Klaus Moritz hinzu. Dass es Zeit wurde mit Zustrom und Umsatzzahlen wie früher sagt Herr Moritz als Unternehmer sowie als Vizepräsident des Landesverbandes des Ambulanten Gewerbes und der Schausteller. Zwei Jahre unfreiwillige „Fofftein“ haben die Zahl der Fischmarktaussteller um fast ein Drittel auf 120 verringert. Wird im Sommer wohl besser. Auch die abgespeckte Pandemievariante verlief notgedrungen spaßbefreit. Zum Neustart am 3. April gab es noch Schneeregen, doch gestern ging’s richtig los. Motto: altbewährte Form in neuer Frische.
In der Tat tobt das Fischmarkt-Leben wie in guten, alten Zeiten. Es dürften am zweiten Maisonntag mehr als 40.000 Besucher gewesen sein, die zwischen fünf und 9.30 Uhr an Ständen, Buden, Wagen lustvoll flanierten. Es schien, als hätte mancher Marktschreier seinen Akku neu aufgeladen, um lautstark Gas zu geben.
Aale-Dieter – das Original
„Lange vermisst und nun umso schöner“, sagt Simon Zabanski, bewaffnet mit einem pfundigen Bismarckbrötchen von Fisch-Moritz. Der hat in Höhe U-Boot einen markanten Stammplatz inmitten des Marktes. Um kurz nach acht Uhr ist dort gleichfalls der Düvel los. Käse-Tommy, Schoko-Johnny Co. locken, preisen, ködern höchst professionell. Nicht jedes vermeintliche Schnäppchen ist eins. Mancher schleppt Obstberge oder Mammutpflanzen heimwärts, die er eigentlich gar nicht haben wollte. Andererseits ist die Unterhaltung eine kostenlose, einmalige Show.
Aale-Dieter brüllt mit bestem Beispiel voran. Applaus für eine Koryphäe, die im Alter von 83 Jahren noch so originell Gas geben kann. Zwar ist Räucheraal in den vergangenen fünf Jahren im Einkauf um mehr als 30 Prozent teurer geworden, doch schafft es Aale-Dieter, die Kundschaft vom Geschäft ihres Lebens zu überzeugen. Echt. Ist so. Er hat’s eben drauf, der Bursche. Applaus einem Original.
Fischauktionshalle weiterhin geschlossen
„Die Post auf dem Fischmarkt geht wieder gut ab“, weiß Dieter Bruhn während einer kurzen Verschnaufpause. „Es war ein super Einstand.“ Die Umsätze seien noch nicht wieder ganz so stark wie vor der Pandemie, doch gehe es wirtschaftlich spürbar bergauf. Was die Betreiber der Fischauktionshalle nicht bestätigen können. Dort sind die Türen nach wie vor geschlossen. Früher gab es sonntags Musik, Tanz, Imbiss, Getränke und Remmidemmi. Es mangele an Arbeitskräften, heißt es an den benachbarten Buden.
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Vor der Eckkneipe Eier Karl hat Blumen-Gitte ihren angestammten Platz. Im Team mit Ehemann Jens und ausnahmsweise drei Freundinnen hat Brigitte Blank das turbulente Geschäft im Griff. Muttertag lässt den Umsatz kraftvoll brummen. „Hier tobt der Bär“, sagt die Chefin, die seit einem halben Jahrhundert als Fischmarkt-Institution gilt.
Beim Wortwitz macht Blumen-Gitte keiner etwas vor
Mit 20 Jahren wollte die gelernte Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfin mehr Spannung in ihr Leben bringen. Seitdem ist sie zwischen Fischhökern und Marktschreiern zu Hause – anfangs mit einem kleinen Blumenstand, aktuell mit einem schmucken Verkaufswagen. Dabei lernte Blumen-Gitte fürs Leben. Wenn’s um schlagfertigen Wortwitz und kecke Sprüche geht, packt sie die Männer in den Sack. Locker.
Und da mit Hamburgs Fischmarkt wieder offiziell Staat zu machen ist, folgen demnächst die traditionellen Aus-wärtsauftritte: Ende Mai zehn Tage München, Anfang Juli Stuttgart. Damit die im Süden sehen, was gut ist.