Hamburg. Ein Deckel für die Autobahn, ein neuer Fernbahnhof und das Holstenquartier – Stefanie von Berg über einen Stadtteil im Wandel.

Altona ist eine der größten Baustellen der Stadt und wandelt sein Antlitz: Die Neue Mitte ist erst der Anfang dieser Neugestaltung. Die A7, die den Bezirk brachial durchschneidet, verschwindet unter dem Deckel. In Bahrenfeld entsteht mit der Science City eine moderne Stadt des Wissens, der Fernbahnhof Altona zieht nach Diebsteich und verändert gleich zwei Stadtteile von Grund auf. Die grüne Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg wacht nicht nur über diesen Wandel, sie treibt ihn voran. Und mitunter streitet sie auch, wenn sie ihren Bezirk übervorteilt sieht.

Denn der Bezirk im Westen zählt mit rund 78 km² Fläche zu den kleineren der Stadt, liegt aber mit der politischen Zielmarke von 1500 zu bauenden Wohnungen auf Platz 2. Erschwerend kommt hinzu, dass Großprojekte wie eben der Deckel, die Science City oder die Neue Mitte mit insgesamt bis zu 8000 Wohnungen als Vorbehaltsgebiete des Senats auf die ambitionierten Zielzahlen nicht einzahlen, sondern von der Stadtentwicklungsbehörde entwickelt werden.

Stadtentwicklung Hamburg: Das sind die Pläne für Altona

Stefanie von Berg hat sich angesichts der Ausgangslage auch mit dem eigenen rot-grünen Senat angelegt: Die kolportierte Auseinandersetzung mit Bürgermeister Peter Tschentscher nennt sie zwar einen „Fachdiskurs“ und dementiert, dass es lauter wurde. „Letztes Jahr haben wir die Ziele nicht erreicht, jetzt aber einen guten Kompromiss gefunden“, sagt die Bezirksamtschefin im Abendblatt-Podcast „Was wird aus Hamburg?“

Im neuen Vertrag für Hamburg ist eine Solidaritätsklausel enthalten: Andere Bezirke sollen einspringen, wenn ein Bezirk die Vorgaben in einem Jahr verfehlt. 2021, so vermutet von Berg, werde Altona die Zielmarke erreichen. „Wie es im nächsten Jahr aussieht, weiß ich nicht. Wir können nur die Bauanträge genehmigen, die vorliegen.“

Als Bezirksamtsleiterin hat sie mit einem Problem zu kämpfen, das von Jahr zu Jahr komplexer wird. „Die niedrig hängenden Früchte sind geerntet. Alle wissen, dass es nicht leichter wird, jedes Jahr weitere 1500 Wohnungen zu bauen.“ Angesichts des begrenzten Platzes und des Zuzugs müsste sich die Stadt „unbequemen Fragen“ stellen: „Wie halten wir es in Zukunft mit der Höhe, und auf welchen Flächen wollen wir bauen?“

Stehen bald Wolkenkratzer in Altona?

Konkreter wird sie aber nicht, wenn es um neue Höhen geht. „Das muss sich städtebaulich einfügen.“ An der einen Stelle könne ein 20-stöckiges Gebäude passen, an einer anderen seien schon vier Stockwerke zu viel. „Wir wollen keinen Wolkenkratzer in Altona, aber wir sollten uns keine Denkverbote auferlegen“, sagt von Berg.

Deshalb teilt sie den Vorstoß ihres Parteifreundes Michael Werner-­Boelz, der in Nord keine neuen Eigenheime mehr will, für Altona nicht. „Einfamilienhäuser passen durchaus nach Altona. Wir werden nicht wie in Nord in neuen Bebauungs-Plänen Einfamilienhäuser verbieten. Das ist auch nicht absehbar.“ Der Bezirk hat eine andere Historie: Die Elbvororte gelten als größtes zusammenhängendes Villengebiet Deutschlands, wenn nicht gar Europas.

„Wir versuchen, so viele Wohnungen zu bauen wie möglich“

Zugleich stellt die langjährige Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen klar: Grünflächen bleiben tabu. „Wir müssen uns versiegelte Flächen anschauen und etwa an den Magistralen die Flächen besser nutzen“, betont sie. Die großen Ein- und Ausfallstraßen rücken verstärkt in den Fokus. In Altona betrifft es die sogenannte Strebalu, die Magistrale, die als Stresemannstraße in Altona beginnt, als Bahrenfelder Chaussee stadtauswärts verläuft und schließlich als Luruper Chaussee bis zur Landesgrenze führt. Auch die Osdorfer Landstraße und die Sülldorfer Landstraße sind Teil des Magistralenprogramms.

„Hier liegen die größten Wohnungsbaupotenziale, denn die Konversionsflächen sind aufgebraucht“, so von Berg. 9000 Wohneinheiten könnten dort Schätzungen zufolge entstehen – sechs Jahre könnte Altona damit seine Ziele erfüllen. „Wir versuchen, so viele Wohnungen zu bauen wie möglich.“ Ihr gehe es aber um mehr - um die Entwicklung der Magistralen, um Verkehr, Freiräume, Lärmschutz. „Die Autos müssen Platz abgeben – etwa für Busse und Radler“, betont die 57-Jährige. „Und wir brauchen dringend Platz für Grün – als Lärmschutz und gegen Feinstaub sowie Teil der Klimaanpassung.“

Nach vielen Besitzerwechseln: Fertigstellung erst 2026

Stefanie von Berg will die Strebalu mittelfristig besser an den öffentlichen Nahverkehr anbinden. „Sie benötigt eine Busspur, weil eine Schienenanbindung fehlt. Perspektivisch, wenn die Science City kommt, müssen Busse staufrei durchfahren können.“

podcast-image

Ein 86.500-Quadratmeter großes Problem liegt gleich neben der Neuen Mitte Altona an der Harkortstraße im Bezirk. 2016 verkaufte die Brauerei Carlsberg das Holsten-Areal an die erst kurz zuvor gegründete Gerch Group. Seitdem wechselte das Grundstück mehrfach den Besitzer, seitdem stieg der Preis – und rückte damit das Ziel von bezahlbarem Wohnraum in weitere Ferne. Ursprünglich sollten die Arbeiten schon 2018 beginnen und 2020 die ersten Bewohner einziehen. Der derzeitige Eigner Adler spricht vom Baubeginn 2022 und der Fertigstellung 2026.

Wie steht es um die Mieten im neuen Quartier?

„Der Senat hätte damals unbedingt das Vorkaufsrecht ziehen müssen“, ärgert sich die Bezirksamtsleiterin, die seit zwei Jahren im Amt ist. „Das ist der Stadt eine große Lehre. Bei einem so großen tollen Grundstück muss die Stadt steuern.“ Von Berg spricht von schwierigen Verhandlungen mit immer neuen Eignern, die nun erfolgreich abgeschlossen seien. „Mit dem jetzt vorliegenden städtebaulichen Vertrag haben wir das Maximum für die Stadt der Zukunft herausverhandelt.“

Aber wie sieht dieses Maximum aus? Sind die Wohnungen bezahlbar? Von Berg schränkt angesichts derzeit aufgerufener Mieten von rund 18 Euro bis 20 Euro pro Quadratmeter oder bei Kaufpreisen von 10.000 Euro pro Quadratmeter ehrlich ein: „Das liegt außerhalb von bezahlbar für die Mittelschicht. Wir haben aber noch 100 preisgedämpfte Wohnungen hineinverhandelt, die bei 12,90 Euro Miete anfangen.“

Das neue Holsten-Areal: urban, grün und autoarm

Auch sonst kann sie dem Vertrag für das Holsten-Areal viel Positives abgewinnen. „Das Quartier wird sehr grün, weil wir den Park aus der Neuen Mitte fortführen. Und wir werden so viel Fassadenbegrünung und Dachgärten wie möglich verwirklichen.“ Damit lässt sich das Mikroklima verbessern. „Bislang sind unsere Dächer völlig untergenutzt. Das wollen wir im Holsten-Quartier besser machen. Wir wollen das ökologische Vorzeigequartier werden.“

Autoarm wird das Viertel ohnehin. Und für das Quartierszentrum gibt es eine Kostenbeteiligung des Investors. „Wir planen belebte Erdgeschosszonen – das wollen wir besser machen als in der Neuen Mitte, wo man an Garageneinfahrten vorbeiläuft.“ Auch Gewerbe soll sich dort ansiedeln. „Wir schaffen ein urbanes Zentrum mit einem maximalen Mix. Das wird ein gutes Quartier“, sagt Stefanie von Berg. Heute sei sie optimistischer als noch vor einem Jahr und hofft darauf, dass es nun schnell losgeht. „Wir haben alle Eventualitäten abgesichert – auch juristisch.“

Erhaltungsverordnung deckelt Mietpreise

Hinter dem Umzug des Fernbahnhofs nach Diebsteich steht die grüne Politikerin „hundertprozentig“, wie schon zuvor als Bürgerschaftsabgeordnete. „Für den Bahnverkehr wird das ein deutliches Plus und für das Quartier Diebsteich ohnehin.“ Mit der geplanten Musikhalle, dem neuen Stadion von Altona 93, einem möglichen Filmstudio in der ehemaligen Paketpost und einem Hotel werde diese bislang vernachlässigte Ecke der Stadt lebendig. „Dann wird das Sport- und Kulturleben dort pulsieren“, sagt von Berg. Die soziale Erhaltungsverordnung verhindere zugleich, „dass die Mietpreise durch die Decke gehen.“

Schwierig hingegen schätzt von Berg die Lage am bestehenden Bahnhof Altona ein. „Wir müssen die jetzige Situation verbessern“, sagt sie mit Blick auf die Verdreckung und Vernachlässigung vor Ort. Der Senat müsse nach der Verlagerung des Fernbahnhofs 2027 entscheiden, was dort passieren soll, nachdem die Stadt das Vorverkaufsrecht genutzt hat. „Da muss sich einiges verändern, von der Verkehrsführung bis zu dem Gebäude. Ich nehme an, dass es abgerissen wird.“

Altona wird sich nicht zur Unkenntlichkeit verändern

Sorgen, wonach Altona sein Gesicht verliert, tritt sie entgegen: „Wir werden Altona auch in 20 Jahren noch wiedererkennen“, verspricht die promovierte Philosophin. „Der rote Faden, ein gewisser Spirit, wird sich auch in den neuen Quartieren wiederfinden.“ Und weite Teile des Bezirks würden von dem Umbau kaum betroffen. „Die großen Linien Altonas bleiben erhalten.“

Die Mobilitätswende des Senats unterstützt sie uneingeschränkt: „Wir erleben den Umbau von der autogerechten zur menschengerechten Stadt.“ Sie habe nichts gegen Autos, sie besitze selbst eins, aber sehe die Beeinträchtigungen: Die Aufenthaltsqualität leidet, die Luft verschmutzt, das Leben gefährlich. „Die Max-Brauer-Allee und die Ecke an der Sternbrücke finde ich grauenvoll, auch manche Bereiche der Kieler Straße sind schlimm.“ Selbst Ottensen empfindet die passionierte Radlerin als stressig, „viel zu eng, viel zu viele Autos und Radler, die kreuz und quer fahren.“

Von Berg: „Ich bin ein großer Fan der Stadtbahn“

Perspektivisch muss das Auto Platz abgeben: „Es kann und darf nicht mehr sein, dass wir jeden Tag in dieser Stadt 37 Millionen Pkw-Kilometer zurücklegen. Ich halte eine Halbierung für angemessen und realistisch.“ Der Umstieg aufs Rad werde sich verstetigen, viele Menschen in Zukunft von zu Hause arbeiten, zudem kämen neue Mobilitätsangebote hinzu.

Auch eine Straßenbahn hält die grüne Bezirksamtsleiterin weiterhin für eine Lösung. „Ich bin ein großer Fan der Stadtbahn“, sagt von Berg. „Es ist wahnsinnig schade, dass es ein Diskussionsverbot gibt.“ Sie würde sich freuen, wenn statt Bussen eines Tages eine Stadtbahn über die Strebalu fahre. Für 2030 taxiert sie die Wahrscheinlichkeit dafür auf 0 Prozent. „Aber 2040 ist es sehr viel realistischer.“