Hamburg. Bezirksamtschefin Stefanie von Berg über die Pläne für das neue Wissenschaftsquartier und Sorgen vor Gentrifizierung.

Die geplante Science City in Bahrenfeld bringt etliche Herausforderungen mit sich – das wurde bei der ersten öffentlichen Informationsveranstaltung zur Beteiligung der Bürger deutlich („Forum Bahrenfeld“, online anzuschauen unter: https://sciencecity.hamburg/). Altonas Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) erklärt im Interview, warum sie das Vorhaben trotz möglicher Gefahren als „riesige Chance“ sieht.

Hamburger Abendblatt: Die Science City soll kein „Wissenschaftskloster“ werden, haben Sie zuletzt betont und von einer „Win-win-Situation“ für Bahrenfeld gesprochen. Was macht Sie so sicher, dass die Integration des geplanten Forschungscampus in das Quartier gelingen wird?

Stefanie von Berg: Mein Optimismus leitet sich ab aus vielen Gesprächen mit beteiligten Behörden, mit Verantwortlichen an der Universität Hamburg und am Desy. Es gibt einen gemeinsamen starken Willen, diesen neuen Stadtteil so zu gestalten, dass Wissenschaft, Wirtschaft und Wohnen wirklich miteinander verzahnt werden. Hinzu kommt eine weitreichende Kooperationsvereinbarung, die am kommenden Freitag unterzeichnet wird, geschlossen zwischen dem Bezirksamt Altona und der Bezirksversammlung einerseits und der Science City Hamburg Bahrenfeld GmbH andererseits, die federführend für den Senat die Planungen durchführt

Was hat der Bezirk davon?

Von Berg: Bei der 125 Hektar großen Fläche für die Science handelt es sich zwar um ein Vorbehaltsgebiet, über das der Senat planerisch allein bestimmen darf. Aber durch die Kooperationsvereinbarung sind wir als Bezirk insofern mit im Boot, dass wir unsere Anliegen einbringen können und gehört werden. So wird etwa festgehalten, dass alle Baugenehmigungen in der Bezirksversammlung vorgestellt werden sollen, dass die Bedürfnisse von Kindern- und Jugendlichen regelhaft einzuplanen sind und wie oft die Science City Hamburg Bahrenfeld GmbH über weitere Themen berichtet. Ich bin mit der Vereinbarung sehr zufrieden, weil sich darin eine große Wertschätzung für die Belange Altonas ausspricht. Davon abgesehen gibt es weitere Formen der Beteiligung.

So könnte das Wohnen in der Science City aussehen.
So könnte das Wohnen in der Science City aussehen. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung | moka-studio

Zum Beispiel?

Von Berg: Wir als Bezirksamt werden regelmäßig Vertreter von Vereinen, Initiativen, von Handels- und Handwerkskammer zu einem sogenannten Multiplikatorentreffen einladen. Vor Kurzem hat die zweite Runde stattgefunden. Dabei geht es nicht nur um neue Gebäude. Wir sollten auch eine zusätzliche soziale Infrastruktur schaffen an den Berührungspunkten zwischen den neu geschaffenen und den bestehenden Teilen des Quartiers. Zudem sprechen wir etwa über die Mobilität in dem gesamten Quartier, die wir möglichst umwelt- und klimaschonend gestalten wollen. Wir können dort nicht in erster Linie auf das Auto setzen.

Das neue Quartier Science City Bahrenfeld:

Das neue Quartier Science City Bahrenfeld

Forschen, studieren, wohnen – so stellen sich die Planer das Leben in der Science City Bahrenfeld vor.
Forschen, studieren, wohnen – so stellen sich die Planer das Leben in der Science City Bahrenfeld vor. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung: Moka-studio
Auch 2500 Wohnungen sollen entstehen.
Auch 2500 Wohnungen sollen entstehen. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung: Moka-studio
Auf einem 125 Hektar großen Areal soll die Science City Bahrenfeld entstehen.
Auf einem 125 Hektar großen Areal soll die Science City Bahrenfeld entstehen. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung: Moka-studio
Blick auf den Desy-Turm.
Blick auf den Desy-Turm. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung: Moka-studio
Der Campus soll autofrei werden.
Der Campus soll autofrei werden. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung: Moka-studio
Rund um das Forschungszentrum Desy und auf der heutigen Trabrennbahn soll ein Areal entstehen, das Wohnen, Wirtschaft und Wissenschaft miteinander verzahnt.
Rund um das Forschungszentrum Desy und auf der heutigen Trabrennbahn soll ein Areal entstehen, das Wohnen, Wirtschaft und Wissenschaft miteinander verzahnt. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH, Visualisierung: Moka-studio, Luftbild: Matthias Friedel
Ein Tagungszentrum ist ebenfalls geplant.
Ein Tagungszentrum ist ebenfalls geplant. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung: Moka-studio
Blick Richtung Luruper Chaussee.
Blick Richtung Luruper Chaussee. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung: Moka-studio
Kraft tanken können Studenten in der Mensa und in dem grünen Außenbereich.
Kraft tanken können Studenten in der Mensa und in dem grünen Außenbereich. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung: Moka-studio
Eine futuristisch anmutende Brücke im neuen Quartier.
Eine futuristisch anmutende Brücke im neuen Quartier. © Spengler Wiescholek Architekten Stadtplaner, WES GmbH Landschaftsarchitekten, Urban Catalyst GmbH/Visualisierung: Moka-studio
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Bürger sorgen sich, dass es durch die geplanten 2500 neuen Wohnungen in der Science City zu einer Gentrifizierung kommt, einer Aufwertung Bahrenfelds mit der Folge, dass Mietpreise steigen und es zu einer Verdrängung kommt. Besteht diese Gefahr?

Von Berg: Ich kann diese Sorgen sehr gut verstehen. Um eine solche Entwicklung auszuschließen, müssen wir rechtzeitig weitere soziale Erhaltungsverordnungen für die angrenzenden Quartiere erlassen. Dieses Instrument setzen wir schon länger in Altona ein, es ist hochwirksam. Bei den geplanten neuen Wohnungen werden wir über den bisher üblichen Drittelmix – gefördert, frei finanziert, Eigentum – hinausgehen und für einen Anteil preisgedämpfter Wohnungen zu etwa zehn bis zwölf Euro sorgen müssen für Menschen, die keinen Anspruch auf geförderten Wohnraum haben.

Das neue Quartier:

  • Forschen, studieren, neue Technologien entwickeln und in einer schönen Umgebung leben – mit dieser Vision soll am Altonaer Volkspark auf einem 125 Hektar großen Areal bis 2040 die Science City entstehen. Erstmals in der Geschichte Hamburgs sollen damit Wissenschaft, Wirtschaft und Wohnen bei der Entwicklung eines neuen Quartiers als Ganzes gedacht werden, hieß es im Januar 2019, als Senat, Bezirk, Uni Hamburg und das in Bahrenfeld ansässige Deutsche Elektronen-Synchrotron (Desy) einen ersten städtebaulichen Plan vorstellten.
  • Das größte Bauprojekt für die Forschung betrifft Petra IV, nach Worten von Desy-Chef Helmut Dosch „ein revolutionär neues Röntgenmikroskop“, das es etwa Materialforschern, Biochemikern und Medizinern erlauben werde, mit extremer Genauigkeit in den „molekularen Maschinenraum“ von Materialien und Substanzen zu sehen. Die Erkenntnisse könnten etwa dabei helfen, bessere Datenspeicher und Batterien und neue Therapien gegen Krankheiten zu entwickeln. Darüber und über Baumaßnahmen informiert das Desy unter: www.desy.de/petra4

Für den Bau der 600 Meter langen unterirdischen Experimentierhalle des geplanten neuen 3-D-Röntgenmikroskops Petra IV soll der Lise-Meitner-Park ab 2025 teilweise für zwei Jahre gesperrt werden. Das bedeute, dass es „etwas rumpeliger“ wird in der Gegend, sagte Desy-Chef Helmut Dosch. Was kommt da auf die Anwohner zu?

Von Berg: Es wird zu Baulärm kommen. Fahrzeuge werden große Mengen Erdaushub abtransportieren und Baumaterial zu Desy transportieren. Zu sagen, das wird eine tolle Zeit, wäre gelogen. Der Park wird größtenteils gesperrt werden. Anders geht es leider nicht.

Wie viel Grünfläche wird verloren gehen, was bedeuten die Maßnahmen für die gesetzlich geschützten Biotope in dem Park?

Von Berg: Wir werden dort Bäume fällen müssen – wie viele, kann ich jetzt noch nicht beziffern. Für die vier identifizierten Biotope werden wir Ausgleichsflächen für neue Biotope schaffen. Anschließend wird der Lise-Meitner-Park qualitativ aufgewertet und wieder eröffnet.

Virtueller Rundgang durch die Science City Bahrenfeld:

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Virtueller Rundgang durch die Science City Bahrenfeld

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    Bäume werden auch für Baumaßnahmen auf dem Gelände der Trabrennbahn weichen müssen ...

    Von Berg: Es wird dort zu mehr Versiegelung kommen, weil auf dem Gelände neue Wohnungen und ein Campus für die Uni entstehen. Aber auch in diesem Fall gilt, dass wir an anderer Stelle grüne Ausgleichsflächen schaffen und neue Bäume pflanzen werden.

    Braucht Hamburg das neue Röntgenmikroskop wirklich, rechtfertigt das Vorhaben die mehrjährigen Belastungen und Einschränkungen für die Anwohner?

    Von Berg: Die Gesellschaft braucht eine solche Anlage. Die aktuell genutzte Technik bietet nicht die nötige Auflösung, um die Forschung voranzubringen und etwa neue Therapien gegen Krankheiten zu entwickeln und neue Werkstoffe. Man kann sich zwar auf den Standpunkt stellen: Das ist eine wichtige Anlage, aber baut sie doch woanders. Ich finde: Wenn man schon ein so renommiertes Forschungszentrum wie das Desy hat, mit einer solchen Zugkraft, Spitzenforscher hierherzubringen, muss man das nutzen und sagen: Jawohl, wir siedeln hier neue Forschungsinfrastruktur an, dass ist es uns wert. Damit übernimmt Hamburg Verantwortung für die Weiterentwicklung der Gesellschaft. Ich erwarte neben wissenschaftlichem Fortschritt aber auch viele weitere Impulse für das Quartier.

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    Welche?

    Von Berg: Wenn hochkarätige Wissenschaftler aus aller Welt mit ihren Familien hier arbeiten und leben, wird Bahrenfeld vielfältiger und internationaler werden. Mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen werden diese Menschen das Quartier intellektuell und kulturell bereichern. Das kann sich zum einen auf die Bildung auswirken, indem Forscher in die Kitas und Schulen gehen, dort mit den Schülern experimentieren, und indem sich die Labore in der Science City so weit wie möglich für die Bürger öffnen und über die jüngsten Erkenntnisse informieren. Zum anderen erwarte ich, dass neue Firmen entstehen, die Forschungsergebnisse zur Entwicklung neuer Produkte nutzen, etwa auf dem neu entstehenden Innovationscampus. Wenn wir den erwähnten Gefahren – Gentrifizierung und Abschottung – vehement entgegentreten, steckt in den Veränderungen und der neuen Durchmischung des Stadtteils eine riesige Chance.