Hamburg. Uni-Chef Dieter Lenzen erläutert im Interview mit dem Abendblatt, was die Science-City-Pläne Hamburg bringen sollen.
Dass Bahrenfeld als Wissenschaftsstandort viel Potenzial hat, zeichnete sich schon länger ab: Bereits 2016 bescheinigte etwa der Wissenschaftsrat der naturwissenschaftlichen Forschung im Hamburger Westen „internationale Strahlkraft“. Eine maßgebliche Rolle spielt das Deutsche Elektronen-Synchrotron (Desy), aber auch die Universität Hamburg engagiert sich in etlichen Bahrenfelder Einrichtungen. Nun soll das Areal zur „Science City“ ausgebaut werden. Was Hamburg und seine größte Hochschule davon haben, erläutert Uni-Präsident Dieter Lenzen im Interview.
Die Science City Bahrenfeld könnte ein „neues deutsches Oxford“ werden, haben Sie bei der Präsentation gesagt. Wie ist das genau gemeint?
Dieter Lenzen: Wer die großen Köpfe anziehen will, sollte für Wissenschaftler ein attraktives Ambiente schaffen, einen Campus, auf dem sich Wohnen und Arbeiten, das Angenehme und das Nützliche, verbinden lassen. Auf dieses Prinzip setzte schon Kaiser Wilhelm, der für die Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft – der späteren Max-Planck-Gesellschaft – ab 1910 freie Flächen in Berlin-Dahlem reservierte. Dort entstanden dann Institute und Häuser nebeneinander. „Das ist unser deutsches Oxford“, sagte Wilhelm damals. Der dort entstandene Campus hat allerdings nur eine geringe Ausdehnung erfahren. In Bahrenfeld könnten wir nun ein neues deutsches Oxford errichten.
Berlin hat inzwischen mit Adlershof einen erfolgreichen Wissenschafts- und Technologiepark, in dem zuletzt auch viele Wohnungen entstanden sind. Auch der Forschungscampus Garching bei München boomt. Was will Hamburg besser machen?
Lenzen: In Bahrenfeld wird zum Beispiel die Verdichtung höher sein. Wir wollen die Wege zwischen Uni-Instituten, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Gästehäusern, Start-ups und Wohnungen sehr kurz machen. Der Campus soll zu einer autofreien Zone werden – auch das gehört zu einem angenehmen Ambiente. Zumindest in Berlin-Adlershof ist man durch längere Wege eher auf Autos angewiesen. Was Garching betrifft: Der Campus dort ist an Wissenschaft und Wirtschaft orientiert, das Wohnen spielt keine echte Rolle. Bahrenfeld hat neben der gemischten Nutzung im Übrigen auch in puncto Forschung einen großen Vorzug.
Nämlich?
Lenzen: Wir verfügen über ein sensationelles Ensemble aus Hightech-Instrumenten. Der Super-Röntgenlaser European XFEL, Petra III und bald das 3-D-Röntgenmikroskop Petra IV, die neuen Elektronenmikroskope am Infektionsforschungszentrum CSSB und vieles mehr – damit liegen wir auf höchstem technologischen Niveau. Natürlich gibt es auch anderswo Spitzenforschung, trotzdem hat Hamburg nun eine besondere Chance, sich international zu profilieren.
Profitieren davon nur die Forscher?
Lenzen: Auch für die Studierenden ist die Nähe zu den genannten Geräten ein Gewinn, auch wenn der Zugang und eine mögliche Nutzung nicht vergleichbar sind mit den Möglichkeiten für ausgewählte Hochschullehrer und Spitzenforscher. Allerdings haben wir im Rahmen unserer Bewerbung um eine Förderung als Exzellenz-Universität auch Geld für Geräteplattformen beantragt, zu denen auch forschende Studierende Zugang haben. Darüber hinaus profitieren Studierende von nagelneuen Hörsälen und Laboren sowie der räumlichen Nähe zu kooperierenden Fächern.
Wie schnell muss es mit der Entwicklung der Science City Bahrenfeld vorangehen?
Lenzen: Für uns ist es wichtig, dass die Voraussetzungen für den Ausbau unserer Forschung und für eine mögliche höhere Förderung durch Bund und Länder geschaffen werden. In sieben Jahren werden wir unsere vier Exzellenzcluster zu neuen Einblicken in die Materie, zu Klimawandel und Gesellschaft sowie zur Physik des Urknalls und zur Erforschung von alten Manuskripten verlängern wollen. Hinzu kommen könnte ein Antrag für einen Exzellenzcluster in der Infektionsforschung. Dafür werden wir dann zeigen müssen, dass Infektionsforschung in Bahrenfeld auf höchstem Niveau möglich ist.
Das neue Quartier Science City Bahrenfeld
Wie wird die Universität mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen in der Science City zusammenarbeiten?
Lenzen: Wir haben schon um die 20 Professuren in der Physik mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron eingerichtet. Knapp weitere 20 gemeinsame Professuren unterhalten wir mit anderen Forschungseinrichtungen. Nun ist geplant, die schon bestehenden Kooperationen etwa mit Max-Planck-Instituten, mit der Fraunhofer-Gesellschaft, dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, der Leibniz-Gemeinschaft und mit der Technischen Universität Hamburg auszubauen. Dass künftig die komplette Physik der Universität in Bahrenfeld untergebracht sein wird, ebenso wie die Chemiker und ein Großteil der Biologen, dürfte dazu beitragen, dass wir uns in der Science City besser vernetzen können.
Eine bessere Vernetzung soll es auch mit der Wirtschaft geben. Die Universität beteiligt sich etwa an dem Innovationszentrum Bahrenfeld, in dem Existenzgründer, Start-ups und etablierte Firmen unterkommen sollen. Gefährdet diese Nähe nicht die Unabhängigkeit der Forschung?
Lenzen: Man kann bei uns nichts bestellen. Wir haben nicht die Absicht, unsere Forschung darauf umzustellen, was Dritte wollen. Für die Entwicklung neuer Produkte ist die Industrie selber zuständig. Notwendig ist allerdings, dass beide Seiten besser voneinander wissen, was sie in der Forschung machen. Nehmen wir an, ein Uni-Forscher entdeckt oder entwickelt Stoffe, die ein Flugzeug leichter machen könnten, erfährt aber nichts von einer solchen möglichen Anwendung. Es geht darum, dass man den Zufall der Kommunikation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft organisiert. Wir dürfen die Freiheit nicht verlieren, ohne Wenn und Aber zu entscheiden, worüber wir forschen. Das muss aber nicht ausschließen, mit potenziellen Produzenten darüber zu reden, ob man aus einer Entdeckung etwas machen kann.