Altona. Asklepios lässt Personal mit neuem Programm den Ernstfall proben. Auch eine 100.000 Euro teure Puppe kommt zum Einsatz.

Die junge Frau auf dem Bett leidet fürchterlich, windet sich und schreit. „Oh Gott, die nächste Wehe, oh Gott.“ Dann ein lautes Stöhnen. „Bleib ganz ruhig, dein Kind kommt jetzt“, sagt Hebamme Christina.

„Kann ich bitte eine zweite Hebamme zur Geburt dazubekommen“, ruft sie nur wenige Sekunden später in den Flur, und sofort eilt Verstärkung heran. „Du musst schieben, feste schieben bei der nächsten Wehe“, ermuntern die beiden dann die Frau. „Ich kann das nicht, das tut so weh“, schreit diese wieder. Gemeinsam legen die Hebammen sie auf die Seite. „Bei der nächsten Wehe holst du tief Luft und schiebst mit aller Kraft, in Ordnung?“ Nur wenige Schreie später schauen sich die beiden an, trotz der gemeinsamen Anstrengungen hat sich nichts bewegt, das Baby steckt fest. „Können wir einen Arzt dazu haben“, rufen die Hebammen in den Flur. Herein kommt Frau Dr. Maren Halbe. „Wie ist das CTG“, fragt sie sofort und schaut sich die Situation erst einmal an. „Wir versuchen es jetzt noch einmal gemeinsam bei der nächsten Wehe, ok? Du holst tief Luft, und gemeinsam schaffen wir das, gleich ist das Köpfchen da“, sagt sie. Wieder nichts.

Baby wird auf den Bauch der Mutter gelegt

„Dann turnen wir jetzt einmal gemeinsam“, sagt Hebamme Christina. Und beginnt, mit ihrer Kollegin die Beine der werdenden Mutter zu bewegen. Wieder nichts. Langsam steigt die Anspannung in dem kleinen Raum. Die Schreie werden lauter, die Frauen wissen, ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit. „Wir brauchen einen Oberarzt zur Unterstützung“, rufen sie. Herein kommt Professor Volker Ragosch, der Chef persönlich. „Guten Tag, mein Name ist Ragosch, wir werden das jetzt alle noch einmal gemeinsam versuchen“, sagt er ruhig und gelassen. „Hören Sie jetzt genau auf die Kommandos, die kommen, dann schaffen wir das.“ Wieder werden die Beine angewinkelt und in einem gewissen Winkel und Rhythmus gestreckt, alle vier Geburtshelfer haben ihre feste Aufgabe am Bett der jungen Mutter. Und dann ist es da, das Baby.“ Nur wenige Sekunden wird es der Mutter auf den Bauch gelegt. „Haben Sie keine Angst, wir nabeln den Kleinen jetzt einmal schnell ab und brauchen nur einen Augenblick, um zu schauen, ob mit dem Kleinen alles in Ordnung ist “, sagt Ragosch und beugt sich zu der besorgten Mutter herunter.

Die Simulationspuppe ist 100.000 Euro wert

„So, das reicht. Danke, das habt ihr wunderbar gemacht“, sagt in diesem Moment Antje Düvel, die den gesamten Vorgang genau beobachtet hat. „Wir treffen uns jetzt im Nebenraum zur Besprechung.“ Lachend verlassen alle den Raum, und die junge Frau, die eben noch geschrien hat, schnallt sich entspannt ihren Stoffbauch ab. Denn die Szene, die sich im Asklepios Klinikum Altona abgespielt hat, war nur eine Simulation. Sie ist Bestandteil einer großen Sicherheitsübung mit dem Namen S.A.V.E., die das Unternehmen an all seinen Geburtskliniken durchführt. Und Antje Düvel ist die S.A.V.E.-Trainerin und Hebamme hier im Raum. Die Abkürzung steht für „Sicheres Arbeiten, Vertrauen erhalten.“ „Dieses Trainingskonzept haben wir gemeinsam mit unserem Institut für Notfallmedizin selbst entwickelt“, sagt Cornelia Süfke, Rechtsanwältin und Leiterin Konzernbereich Medizinrecht, Versicherungen & Compliance. Dabei gebe es in einem ersten Schritt einen theoretischen Teil, dazu einen juristischen Workshop. Danach werde in den Kliniken selbst der Notfall geprobt. Wie hier in Altona.

Unterschiedliche Szenarien werden den ganzen Tag in verschiedenen Räumen durchgespielt. Nebenan liegt dafür eine besondere Puppe, an der mit einem anderen Team geprobt wird. Mithilfe dieser Frau aus Plastik, täuschend echt sogar mit Wollsocken versehen, können verschiedene Szenarien durchgespielt werden. Gesteuert wird sie aus einem Nebenraum. Hier können Puls, Herztöne, Stimmen und sogar eine lebensbedrohliche Blutung oder ein Krampfanfall bei einer dramatischen Schwangerschaftsvergiftung simuliert werden. Das Team in diesem Raum steht deutlich mehr unter Stress, hier ist nämlich jetzt ein Notkaiserschnitt nötig. Die Simulationspuppe allein ist 100.000 Euro wert. Auch ein passendes Baby mit Atmung gibt es.

Übung wird mit Kameras aufgezeichnet

Die Übung an der Puppe wird von verschiedenen Kameras aufgezeichnet. Einen Raum weiter können auf einer Leinwand Kollegen die Schulung verfolgen. Nach dem Ende des simulierten Notfalls kommen dort noch einmal alle zusammen und schauen gemeinsam die Bilder an. Besprechen, was richtig und falsch gelaufen ist. So auch jetzt nach der Geburt mit der Schauspielerin als werdender Mutter. „Ihr habt als Team toll funktioniert“, sagt Antje Düvel, die die Übung geleitet hat. „Ihr seid alle ruhig geblieben, habt überlegt gehandelt, euch gut abgesprochen und euch ganz unaufgeregt um die ängstliche Mutter gekümmert.“ Dazu habe jeder medizinische Handgriff gesessen. Und Ragosch ergänzt: „Toll gemacht. Ich bin ja fast ins Schwitzen gekommen, so realistisch war das alles.“

Auch ihn hat das einwandfreie Zusammenspiel aller Kollegen beeindruckt. Als er in den Raum gekommen sei, habe er sofort gesehen, „die tun alles, was nötig ist“. Am Ende meldet sich auch noch einmal die ehemalige werdende Mutter zu Wort. „Ich habe mich die ganze Zeit sicher in euren Händen gefühlt.“ Die Kolleginnen hätten ihr das Gefühl vermittelt, dass sie genau wissen, was sie tun. Schließlich werden noch ein paar kleine Ungereimtheiten besprochen, welche Abläufe und Absprachen noch verbessert werden können. Dann geht es in den nächsten Raum, zum nächsten Fall. „Wir wollen den Alltag so realistisch abbilden wie möglich“, sagt Nicola Scharf, Fachanwältin für Medizinrecht und Projektleiterin für S.A.V.E. bei As­klepios, wenig später im Besprechungsraum.

Bis Ende des Jahres sollen alle Kliniken geschult werden

Denn gerade in der Geburtshilfe gebe es immer wieder unvorhersehbare Zwischenfälle. Hier beginne das Leben, und wenn ein Zwischenfall diesen Start ins Leben erschwere oder sogar verhindere, sei das besonders tragisch. Bis Ende 2019 sollen alle Kliniken deutschlandweit geschult sein. Danach wird jeder Mitarbeiter einmal im Jahr an einem Training teilnehmen. „Die Ansprüche an die Kollegen sind deutlich gestiegen“, so Scharf. Rund 750.000 Krankenhausgeburten gebe es jedes Jahr in Deutschland. Jede 150. verlaufe kritisch. „Dann wird aus einer eigentlich entspannten Geburt ganz schnell ein richtiger Notfall für Mutter und Kind.“ Und die passenden Abläufe in einer solchen Situation könne man gar nicht oft genug üben.

Einen nennenswerten sechsstelligen Eurobetrag jährlich kosten die Schulungen der Mitarbeiter. Dabei inbegriffen sind weder Material noch die Kosten durch die Ausfälle der Mitarbeiter während der Trainings. Das Konzept wurde von den Kollegen rund um Cornelia Süfke entwickelt. „Die Sicherheit unserer Patienten steht für uns an erster Stelle, und das lassen wir uns auch was kosten. Wir haben vor zwei Jahren mit dem Projekt angefangen, die Akten der sogenannten kritischen Verläufe gesichtet und daraus Stück für Stück erschlossen, was wir alles bedenken müssen“, sagt die Juristin. Das Ziel sei es, die bundesweit bisher umfangreichste Notfallschulung zu konzipieren.

Alle Abteilungen sollen so realistisch wie möglich geschult werden

„Wir wollten uns von all den Angeboten unterscheiden, die es bisher gab. Uns geht es darum, den Ernstfall so realistisch wie es nur geht zu üben und jeden Mitarbeiter zu trainieren und nicht nur im Rahmen eines Monitorings zu überprüfen, ob technisch gesehen alle notwendigen Geräte für diese Situation vorhanden sind.“ Asklepios will jetzt in einem nächsten Schritt Stück für Stück auch andere Abteilungen in den Kliniken möglichst realitätsnah ausbilden. Der Konzern plant, dieses Konzept auch bei anderen Kliniken und Klinikbetreibern anzubieten. „S.A.V.E. ist als Marke angemeldet. Wir werden demnächst beginnen, externe Schulungen zu planen. Anfragen haben wir schon.“

Nach einer kurzen Mittagspause geht es für Schwestern, Hebammen und Ärzte dann weiter mit dem Programm. Schließlich sollen alle Teilnehmer insgesamt sechs mögliche Szenarien durchlaufen (postpartale Blutung, Anaphylaxie, eklamptischer Krampfanfall, Schulterdystokie, Neo-Erstversorgung und kardiopulmonale Reanimation des Ehemanns). Das Fazit am Ende des Tages: „Zufriedene, aber auch erschöpfte Kollegen, die diesen Tag als sehr wertvoll empfunden haben und diesen Weg weitergehen wollen“, so Cornelia Süfke. Und genau das sei es, was sie mit der Idee erreichen wollte.