Hamburg. Junges Schauspielhaus und Theaterakademie verlassen Altona. Auseinandersetzungen um Scheitern der Mietvertragsverhandlungen.

Die Verhandlungen am Theaterstandort Gaußstraße in Ottensen sind gescheitert. Das Junge Schauspielhaus und die Theaterakademie der Musikhochschule müssen umziehen. Nur das Thalia an der Gaußstraße bleibt Altona erhalten.

Die drei Theater hätten sich gern entwickelt auf ihrem noch gemeinsamen Kulturgrundstück an der Gaußstraße in Altona. „Aber sie konnten es nicht, weil die gerichtlich festgestellten Fehler des Bezirksamtes Altona der Kultur ein Lärmproblem vor die Nase gesetzt haben, das den Theaterbetrieb lahmlegen könnte“, sagt der Anwalt des Grundstückseigentümers, Ulf Hellmann-Sieg von der Kanzlei Klemm & Partner. Jetzt entschwinden Junges Schauspielhaus und Theaterakademie zum Wiesendamm nach Barmbek.

Stadt hält dagegen

Die Stadt hält dagegen. Man habe sich in der Gaußstraße vor allem über die Umsetzung technischer Baumaßnahmen nicht einigen können, erklärte die Kulturbehörde. Altonas Bezirksamtsleiterin Liane Melzer sagt, sie bedaure den Abgang außerordentlich und habe sich „nachdrücklich für den Verbleib der Institutionen“ eingesetzt. Und unisono sagen beide, dass die Aufgabe des Standorts nichts mit dem Lärmproblem zu tun habe. Ein dem Abendblatt vorliegender Briefwechsel zwischen Grundeigentümer und Schauspielhaus-Geschäftsführung besagt etwas anderes.

Demnach hat das Schauspielhaus verlangt, dass der Vermieter und Grundstückseigentümer alle Risiken übernimmt, die sich aus möglichen Lärmbeschwerden oder -klagen der Anwohner ergeben. Der Mietvertrag sollte 30 Jahre laufen. Sollte es zu Klagen wegen des Lärms kommen, könnte das zur Stilllegung des Theaters führen. Trotzdem blieb das Schauspielhaus dabei, dass der Lärmschutz nur am Rande diskutiert wurde. Die wesentlichen Gründe des Scheiterns seien fehlende Stellplätze, Statik und Brandschutz sowie Differenzen über dringend notwendige Baumaßnahmen gewesen.

Unstrittig ist, dass das Bezirksamt 200 Wohnungen neben dem Theatergelände genehmigt hat, ohne die Lärmschutzfragen zu klären. Unstrittig ist auch, dass die Stadt deshalb bislang alle Prozesse im Zusammenhang mit dieser Genehmigung verloren hat und das Hamburger Oberverwaltungsgericht den Bebauungsplan Ottensen 61, Grundlage für die Baugenehmigung, für nichtig erklärt hat. Weil dieser die Interessen der gewerblichen Nachbarn nicht berücksichtigt habe. Die Wohnungen, zum größten Teil Eigentum, sind aber längst bezogen.

Und die mittlerweile vom Bundesverwaltungsgericht höchstinstanzlich festgestellten Rechtsfehler des Amtes fallen jetzt auf die Kultur beziehungsweise den Eigner des Kulturgrundstücks zurück, sagt Hellmann-Sieg. Denn wenn sich die Theater auf der Fläche entwickeln und erweitern wollten, müssten sie die Lärmschutzinteressen der neuen Wohnnachbarn berücksichtigen. Statt Bestandsschutz mit moderaten Lärmgrenzwerten gelten dann verschärfte Lärmwerte, sagt der Anwalt.

Halbe Million Euro für Umbauplanungen

Seit 2007 wurden rund eine halbe Million Euro in Umbauplanungen vor allem für das Junge Schauspielhaus investiert. Nur soll eben jetzt die Kultur die Lärmschutzlasten tragen, die in solchen Fällen die Stadt üblicherweise dem Wohnungsunternehmen im Bebauungsplan aufgibt, indem sie Lärmschutzeinrichtungen zur Vorbedingung des Wohnungsbaus macht.

„Die mit dem Lärmproblem verbundenen finanziellen Risiken können aber weder die Theater noch der Grundeigentümer tragen, und es gibt auch gar keinen Grund dafür, warum sie es tun sollten“, sagt Hellmann-Sieg. Denn nicht die Kultur oder der Grundeigentümer, sondern die Stadt habe die Prozesse verloren. Folglich sei die Stadt auch in der Pflicht, das Lärmproblem zumindest mit zu lösen. Hellmann-Sieg forderte einen runden Tisch aller Nachbarn mit Vertretern der Stadt, um eine Lösung der Lärmfrage zu erarbeiten.

Unterschiedliche Sichtweisen

Tatsächlich hatte die Bezirksverwaltung dem Altonaer Planungsausschuss nach den verlorenen Prozessen eher kleinlaut mitgeteilt, man „schaue, ob ein Vergleich mit den Nachbarn möglich“ sei, und sei dazu „in Gesprächen“. Auch die „Gefahr von Schadenersatzklagen“ räumte sie ein.

Doch auch zu den Vergleichsgesprächen“ gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Laut Bezirksamt wurde „intensiv von Mai bis Mitte Januar“ geredet. Laut Hellmann-Sieg wurde praktisch gar nicht gesprochen. Laut Bezirksamt hat Hellmann-Sieg dann ein „Stillhalteabkommen im Klageverfahren einseitig aufgekündigt“ und beschlossen, „das Verfahren streitig fortzuführen“. Laut Hellmann-Sieg gab es überhaupt kein Stillhalteabkommen.

Welle von Schadenersatzklagen befürchtet

Tatsächlich war ein weiteres Gerichtsverfahren gegen die Baugenehmigung vom Verwaltungsgericht zurückgestellt worden, bis der grundlegendere Rechtsstreit um den Bebauungsplan entschieden war. Das ist 2016 passiert, sodass das Verfahren ohnehin wieder auflebt.

Aus SPD-Kreisen im Planungsausschuss heißt es, das Altonaer Amt suche noch nach einer guten Position. Es gebe „mehrere Optionen“. Man befürchte eine Welle von Schadenersatzklagen auch aus der benachbarten Wohnbebauung, die wegen des nichtigen Bebauungsplans jetzt ohne Rechtsgrundlage dastehe. Es sei derzeit allen noch unklar, welche Auswirkungen das habe.

Noch bis 2040 an Standort gebunden

Der baupolitische Sprecher der Altonaer SPD-Fraktion, Gregor Werner, will sich zu den Rechtsfragen nicht äußern, sagt aber: „Wir wollen den Kulturstandort Gaußstraße erhalten und stärken.“ Er bietet an, im Konflikt zu vermitteln. Das Thalia an der Gaußstraße hat 2010 erst umgebaut. Es ist noch bis 2040 an den Standort gebunden.