Hamburg. Neue Mitte, Neubebauung des Kolbenschmidt-Geländes – rund um Bahrenfeld plant Hamburg etliche neue Stadtquartiere.
Bisher ist der Stadteil Bahrenfeld ein eher zerrissenes Stadtgebiet, geprägt von vielen Gewerbeflächen. Doch hier im Nordwesten Hamburgs dürfte sich in den nächsten Jahren ein neuer Schwerpunkt des Wohnungsbaus entwickeln. Rund 7000 Wohnungen sind bereits jetzt in verschiedenen Projekten in Planung. Es könnten aber noch weit mehr werden. „Hier entsteht jetzt das moderne Altona“, sagt der Stadtentwicklungsexperte der SPD-Bürgerschaftsfraktion Dirk Kienscherf.
Da ist zum Beispiel die Neue Mitte Altona auf dem ehemaligen Güterbahngelände: Am ersten Abschnitt wird dort bereits gebaut, 3600 Wohnungen werden es am Ende sein. Nebenan zieht bald die Holsten-Brauerei weg an den Südrand der Stadt, Platz für gut 1000 Wohnungen soll dort frei werden. Mit den ehemaligen Firmengrundstücken Kolbenschmidt, Euler-Hermes und Schwarzkopf dürften an der nahen Nahtstelle zwischen Ottensen und Bahrenfeld zudem noch einmal mehr als 1000 Wohnungen hinzukommen. Und auch um den nahen, künftigen A-7-Lärmschutzdeckel könnten nach Schätzungen der Stadtentwicklungsbehörde noch einmal bei der Trabrennbahn Bahrenfeld rund 2500 Wohnungen gebaut werden. Insgesamt also mehr als 7000. Das urbane Altona rückt hier vor an die alten Industrie- und Gewerbeflächen. Hamburg werde die „innere Stadt“ dort nach Nordwesten erweitern, sagt Kienscherf. Ein in dieser Größenordnung einmaliges Projekt in Hamburg, das Altona noch mehr in den Fokus rücken werde, wie der SPD-Politiker sagt.
Und was würde da näher liegen, als diese Entwicklung noch weiterzudenken bis hin zum neuen Fernbahnhof Diebsteich, der von Altona etwa um das Jahr 2023 dorthin verlagert werden soll. Und tatsächlich lässt sich aus dem jüngsten Bürgerschaftsbeschluss, der von der Bahn eine ansprechende Architektur des neuen Bahnhofgebäudes fordert, eben auch herauslesen, dass es um weit mehr als nur um einen neuen Bahnhof geht.
Die Untersuchungen zur Ausweisung einer „städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“ für das bereits begonnene Neubaugebiet Neue Mitte Altona sollen dem neuen Beschluss zufolge „mindestens“ bis zur Kieler Straße im Osten, zum Holstenkamp im Norden sowie zur Stresemannstraße im Süden erweitert werden. Im Kern will die Stadt mit einer solchen Maßnahme nach Paragraf 165 Baugesetzbuch das Heft in der Hand behalten – vor allem was die Entwicklung einer möglichen Bodenwertsteigerung angeht. Der Paragraf gilt als das „schärfste Schwert“ der Planer, um entweder mit Vorkaufsrechten oder Verträgen ein Gebiet so zu bebauen wie man sich das vorstellt.
Ein sensibles Feld: Denn jede Äußerung der Stadt zu möglichen neuen Plänen können Preisspekulationen in Gang setzen. Dabei droht dann die Gefahr, dass nur mit sehr dichter und hoher Bebauung hohe Grundstückkosten aufgefangen werden können. Im ersten Abschnitt der Neuen Mitte ist das bereits teilweise geschehen. Jedenfalls hatte sogar das Bezirksamt Altona eine zu enge Bebauung dort kritisiert. Und noch sind weite Teile dieses planerischen Neulands durch viele Gewerbebetriebe geprägt, die nach erklärtem Ziel der Altonaer Bezirkspolitik auch möglichst erhalten werden sollen. Konkret bedeutet dies: eine lukrativere Bebauung mit Wohngebäuden muss so gesteuert werden in den nächsten Jahren, dass für Gewerbe genügend Luft zum Atem bleibt.
Wie das gehen kann: Daran wird zur Zeit bereits im Technischen Rathaus des Bezirks an der Jessenstraße gearbeitet. Bau-Dezernent Johannes Gerdelmann, seit Anfang des Jahres im Amt, und die für Bebauungspläne zuständige Planerin Ulrike Frauenlob sitzen dort im 5. Stock und haben eine Karte ausgebreitet, die zeigt, wie die Areale von Kolbenschmidt und Euler-Hermes zu einem Stadtquartier zusammenwachsen sollen. 2018 und dann 2019, so schätzt Gerdelmann, könnten dort die ersten Wohnungen gebaut werden. Aber in unmittelbarer Nachbarschaft sollen auch Gewerbebetriebe ihren Platz behalten, Tischlereien, Autowerkstätten zum Beispiel.
Planer wollen wieder alles mixen
Ein dritter kleinerer Bebauungsplan zwischen Stresemannstraße und Bahrenfelder Steindamm ist auch auf der Karte zu sehen – dort ist ebenfalls eine enge Mischung aus Gewerbe und Wohnen geplant, was in der bundesdeutschen Planungsgeschichte erst seit wenigen Jahren so gemacht wird. Denn als eine Art Bibel des deutschen Planrechts galt lange die Charta von Athen, mit der berühmte Architekten ihrer Zeit in den 30er-Jahren eine „strikte Trennung der Funktionen“ gefordert hatten. Damals war das nötig, weil Gewerbe meist viel mehr Lärm und Gestank als heute bedeutete.
Die negativen Folgen dieser Trennung waren in der Folge oft öde, reine Wohnsiedelungen, lange Pendlerwege, viel Autoverkehr und eine Verdrängung der Arbeitsplätze aus der Stadt. Nun schlägt das Pendel wieder herum und die Planer suchen nach Wegen, wie man wieder alles mixen kann – eben auch in Bahrenfeld. Und die Bebauungspläne aus dem Technischen Rathaus könnten so etwas wie Blaupausen dafür sein: Da gibt es beispielsweise sogenannte „Hybrid-Gebäude“, die eine Art Lärm-Riegel zwischen Gewerbe und Wohnungen sein sollen. Etwa Häuser mit Bürolofts, wo Freiberufler wie Architekten wohnen und gleichzeitig auch ihr Büro haben.
„Back-to-Back“ heißt ein anderes Schlagwort, mit dem Planer versuchen, Störungen zu vermeiden: Indem zum Beispiel die Rückwand – ohne Fenster – eines Bürohauses an die Rückwand eines Wohnhauses gebaut wird. Gleichzeitig sehen die Pläne neue Fuß- und Fahrradwege vor. So unterschiedliche Areale wie am heutigen Euler-Hermes-Bürohochhaus (das abgerissen wird) und dem alten Kolbenschmidt-Fabrikgelände sollen so praktisch zu einem neuen urbanen Stadtteil verschmelzen, heißt es bei den Planern.
„Brückenschläge“ zu ehemaligen Industrieflächen wie am Phoenixhof und an der Gasstraße plant man ebenfalls. Eine Idee: Eine alte Eisenbahnbrücke zu reaktivieren und für Fußgänger und Radfahrer zu verlängern. Noch aber sind solche Details für das Gebiet am Diebsteich weit weg. Man sei hier noch ganz am Anfang, sagt Dezernent Gerdelmann. Aber ein Anfang ist gemacht.