Altona. Sechs sogenannte Knotenkoordinatoren sind am Bahnhof Altona den Verspätungen der Züge auf der Spur – ein bundesweites Projekt.

Planmäßigkeit bedeutet bei der Deutschen Bahn 59 Sekunden. „Erst wenn ein Zug ab 60 Sekunden nach der veröffentlichten Abfahrtszeit startet, gilt er als verspätet“, sagt Johannes Weimer. Der 40-Jährige arbeitet am Bahnhof Hamburg-Altona als einer der sechs sogenannten Knotenkoordinatoren der Deutschen Bahn und soll dafür sorgen, dass genau das nicht passiert.

Die Bahn hat sich Pünktlichkeit auf die Fahnen geschrieben. 60 Prozent der verspäteten Abfahrten hätten ihren Ursprung an den zehn verkehrsstärksten Bahnhöfen, sagt Hamburgs Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis. Bundesweit 72 Knotenkoordinatoren sollen das ändern. Bis zum Jahr 2018 wolle man erreichen, dass an den betroffenen Bahnhöfen 90 Prozent der Züge im Fernverkehr planmäßig abfahren.

Bis zu 70 Fernzüge starten täglich in Altona

Die Erkenntnis ist nicht neu. Wenn ein Zug bereits am Startpunkt seiner Reise zu spät losfährt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er auf der Strecke die Verspätung nicht wieder aufholen, sondern sich sogar noch weiter verspäten wird. Der Bahnhof Altona gilt als eine der wichtigsten Bahnstationen Deutschlands im Nord-Süd-Verkehr. Täglich starten hier bis zu 70 Fernzüge in Richtung München, Frankfurt am Main, Basel, Berlin und Köln. Hinzu kommt, dass jeder ICE und jeder IC in Eidelstedt gecheckt wird, bevor er sich auf den Weg macht. Das bedeutet, dass es viele Gründe geben kann, warum ein Zug nicht pünktlich abfährt.

Zur Veranschaulichung hat Knotenkoordinator Weimer in seinem Laptop, in dem jeder Zug aufgelistet ist, einen Zug herausgesucht. Unser Beispiel-ICE 575 fährt von Hamburg nach Stuttgart und startet in Altona um 8.46 Uhr. Damit diese Zeit eingehalten werden kann, muss der ICE das Bahnbetriebswerk Eidelstedt um 8.25 Uhr verlassen. „Neben dem ‚normalen‘ Zugfahrplan gibt es noch einen weiteren, internen Plan“, sagt Weimer. Sein Kollege Nico Blath ergänzt: „Kein Zug der Deutschen Bahn, der zwischen zwei Bahnhöfen unterwegs ist, darf ohne Fahrplan fahren.“

Zugchef ist für Platzreservierungen zuständig

An diesem Morgen läuft in Eidelstedt alles glatt. Um 8.25 Uhr verlässt der leere Zug das Bahnbetriebswerk und erreicht zehn Minuten später den Bahnsteig in Altona. Jetzt sind gut zehn Minuten Zeit, damit die Fahrgäste einsteigen können. Derweil gibt der Zugchef die Daten der Platzreservierung ein. „Das erfolgt meist über das Einlesen einer DVD oder einen USB-Stick.“ Drei Minuten vor der planmäßigen Abfahrt signalisiert der Zugchef dem im Stellwerk sitzenden Fahrdienstleiter, dass der ICE 575 bereit ist. Jetzt erst beginnt das eigentliche Abfertigungsverfahren. Per Lautsprecher wird die Abfahrt des Zuges angekündigt, die Türen schließen sich, und der Zugchef teilt dem Lokführer mit, dass es losgehen kann.

Auf einer kleinen Ampel leuchtet ein grüner Kreis auf. Zuvor hat die Zugautomatik der Lokführer die sogenannte technische Freigabe erteilt. Mit anderen Worten: Erst wenn alle Türen geschlossen und verriegelt sind, kann der Zug gestartet werden. Langsam setzt sich der Zug in Bewegung. Es ist 8.46 Uhr – auch in Altona läuft an diesem Morgen alles wie am Schnürchen.

Auch Reparaturen beeinflussen den Zeitplan

„Unsere Aufgabe ist es, innerhalb dieses Ablaufes Probleme zu erkennen und dafür zu sorgen, dass diese Probleme gelöst werden“, sagt Nico Blath. Das heißt: Fährt ein Zug nicht rechtzeitig in Eidelstedt los, weil die Putzkolonne zu lange brauchte, wird man das dem Dienstleister mitteilen. Manchmal dauert eine Reparatur am Bordequipment zu lange. Auch dann gehen die Knotenkoordinatoren dem auf den Grund.

Unbeteiligte Beobachter werden jetzt sagen, das sind doch Probleme, die man einmal löst und gut. Doch der Bahnverkehr ist ein komplexes und zugleich empfindliches Gebilde. So muss bei jedem Zug eine Liste von Arbeiten abgearbeitet werden, je nachdem, ob eine große oder kleine Inspektion ansteht. Und wenn Teile repariert oder ausgetauscht werden müssen, kann das den Zeitplan beeinflussen.

Erst in der Realität zeigen sich die Probleme

„Wir fragen nach, warum sich ein Zug nicht pünktlich gemeldet hat“, sagt Nico Blath. Ihm und seinen Kollegen ist dabei wichtig, dass es nicht um „Kon­trolle“ oder „Aufsicht“ geht. „Wir wollen Gründe für eine Verspätung finden, um zu verstehen und im besten Fall die Gründe möglichst rasch zu beseitigen.“

In einem Fall beispielsweise sei aufgefallen, dass ein Fernzug häufiger als andere verspätet gewesen sei, erzählt Nico Bath. Man habe das überprüft und festgestellt, dass schon die leichte Verspätung eines vorausfahrenden Regionalzugs dafür ausreichte. Der zeitliche Abstand zwischen beiden Zügen wurde etwas vergrößert, und schon trat das Problem nicht mehr auf. „Theoretisch passt alles, und dann zeigen sich in der Realität doch Probleme“, sagt Bath.

Pünktlichkeit in Hamburg verbessert

Die Knotenkoordinatoren verstehen sich als Qualitätsverbesserer. Meist haben sie selbst viele Jahre schon bei der Bahn gearbeitet und kennen den Betrieb sehr gut. Sie setzen sich mit Fahrdienstleitern, Rangierern, Lokführern oder dem Zugpersonal zusammen und tauschen sich über den Arbeitsalltag aus. „Oft reden die Kollegen zwar untereinander und berichten dabei von Pro­blemen“, sagt Johannes Weimer. „Aber die Probleme bleiben im inneren Kreis und erreichen die Stellen, die sie lösen könnten, gar nicht.“

Die Reisenden der Bahn bekommen von der Arbeit der sogenannten Knotenkoordinatoren kaum etwas mit. Allerdings zeigten erste Erfahrungen, dass oft bereits kleine Veränderungen in der Kommunikation oder bei der Bereitstellung der Züge helfen würden, Verspätungen zu minimieren, sagt Meyer-Lovis. Die Entwicklung im ersten Halbjahr 2016 lässt jedenfalls hoffen. „In Hamburg konnte die Bahn ihre durchschnittliche Gesamtpünktlichkeit beim Fernverkehr von 75 auf 79 Prozent verbessern.“