Hamburgf. In Ottensen wird das Kolbenhofgelände umgebaut. Das ambitionierte Projekt gilt als beispielhaft für moderne Stadtplanung.

Wo einmal die Motorradwerkstatt, die Tischlerei und die anderen Gewerbebetriebe einziehen sollen, will Holger Gradzielski an einem Lageplan zeigen, der bereits im neuen „Infopoint“ im früheren Pförtnerhaus der Kolbenschmidt-Fabrik in Bahrenfeld eingerichtet ist. Im Mai soll der Pavillon eigentlich erst geöffnet werden, um dann über die „Kolbenhöfe“ zu informieren, die in Hamburg als eine Art Modellprojekt für die behutsame Umwandlung von früheren Gewerbegebieten in der Stadt gelten. Doch kaum hat der Geschäftsführer der Rheinmetall Immobilien GmbH die Tür aufgeschlossen, stehen zwei junge Mütter mit ihren Kinderwagen im Raum. Man wolle sich über die neuen Wohnungen informieren, die hier gebaut werden sollen, sagen sie. Rechtzeitig!

Als hier noch Kolben produziert wurden, gab es noch viele Gewerbebetriebe

Das Interesse ist eben groß in der Stadt, wenn irgendwo neue Wohnungen geplant sind. Zumal in Lagen wie in dem beliebten Stadtteil mitten im Bezirk Altona. „So eine starke Nachfrage wie hier in Hamburg habe ich bisher noch nicht erlebt“, sagt der Immobilienökonom aus Düsseldorf. Doch der hohe Nachfragedruck wie hier im Grenzbereich zwischen den Stadtteilen Ottensen und Bahrenfeld schafft auch Verlierer.

Als bei Kolbenschmidt noch Kolben produziert wurden, waren die Straßenzüge von vielen Gewerbebetrieben geprägt. Man schraubte in Fabriken oder werkelte in Hinterhöfen. Doch immer mehr drängt in der wachsenden Stadt der Wohnungsbau in diese Nischen. Kleinere Handwerksbetriebe können da oft nicht mithalten, Wohnungsmieten sind einfach lukrativer als Gewerbemieten. Als der Rheinmetall-Konzern 2009 sein Tochterunternehmen in Altona schloss, fanden sich schnell viele kleine Handwerker, die dort in den alten Hallen günstig Platz mieten wollten. Ein Ton-Studio gibt es dort, Oldtimer-Werkstätten oder auch eine Möbel-Tischlerei, 26 Betriebe mit gut 100 Mitarbeitern insgesamt. Für sie eine Chance, nahe am Kunden und mitten in der Stadt zu bleiben.

Doch eigentlich bot sich das Kolbenschmidtgelände auch an, alles abzureißen und dort in unmittelbarer Nähe zur S-Bahn neue Wohnungen zu bauen. Dann entwickelte sich aber eine Diskussion in der Altonaer Bezirkspolitik, man wurde sensibler für die Belange der früheren Hinterhofbetriebe, die immer häufiger aus der Stadt gedrängt werden. Herausgekommen ist schließlich eine Lösung, die beispielhaft sein könnte für einen behutsamen Stadtumbau, der ein Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen ermöglicht. Auf eine Kurzformel gebracht: Der Bezirk erstellt einen Bebauungsplan, der das frühere Industrie- in ein Wohngebiet umwandelt.

420 Wohnungen plant die Rheinmetall-Immobilientochter daher jetzt – davon 140 Sozialwohnungen. Im Gegenzug verpflichtete sich das Unternehmen, dafür zu sorgen, dass die 26 Kolbenhof-Betriebe auf dem Gelände bleiben können – zu günstigen Bedingungen. Die alte Halle 7 wird dazu derzeit saniert und umgebaut. Erst danach startet dort der eigentliche Wohnungsbau. Insgesamt 150 Millionen Euro werde in das Gesamtprojekt investiert, sagt Holger Gradzielski.

Doch ganz reibungslos funktioniert so ein ungewöhnliches Projekt nicht, wie sich derzeit zeigt. Altonas Baudezernent Johannes Gerdelmann spricht denn auch von einer „großen, baurechtlichen Herausforderung“. Denn eigentlich haben Stadtplaner in den zurückliegenden Jahrzehnten Gewerbe und Wohnen stets strikt getrennt. Offen ist die Frage, wie es an der Grenze zum Nachbargrundstück aussehen wird. Dort plant ein anderes Unternehmen den Abriss des alten Euler-Hermes-Hochhauses und den Neubau von weiteren etwa 450 Wohnungen.

Derzeit arbeitet das Bezirksamt Altona dazu ebenfalls an einem Bebauungsplan, in dem etwa Bau-Abstände oder Straßen festgelegt werden. Das aber dürfe nicht dazu führen, dass es zu Konflikten mit der geplanten Gewerbehalle kommt, heißt es bei Rheinmetall. Etwa, dass Zuliefer-Lkw eines Tages nicht mehr fahren dürfen. „Man muss langfristig planen, damit ein solches Nebeneinander funktioniert“, sagt Gradzielski.

Auch für die 26 Kolbenschmidt-Betriebe ist die Sache noch nicht ganz gelaufen. Aktuell haben sie sich zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen. Ziel ist der Kauf der Halle zu einem subventionierten Preis. Darüber besteht Einigkeit und sowohl Rheinmetall sowie Genossenschaft sehen darin die beste Lösung. „Wir arbeiten aber noch an der Finanzierung“, sagt Tobias Trapp, der eine Motorradwerkstatt betreibt. Gespräche gab es beispielsweise mit der Hamburger Wirtschaftsförderung, doch noch keine Zusage.

Dennoch ist Rheinmetall-Immobilien-Chef Gradzielski zuversichtlich, dass das Projekt Kolbenhöfe auf gutem Wege ist, wie er sagt. Anfang 2017 könnte der Bezirk mit seinem Bebauungsplanverfahren so weit sein, dass er eine Baugenehmigung erteilen kann. Dann könnten Trapp und seine Kollgen auch in die umgebaute Halle umziehen, damit es mit dem Wohnungsbau vorangehen kann. Ende 2019, so schätzt er, könnten dann alle Bauten stehen. „Unter günstigen Voraussetzungen“.

Genügend Interesse an den Wohnungen dürfte dann vorhanden sein, wie der Besuch der beiden Mütter zeigte. Und genügend Interessenten für die Gewerbehalle in den „Kolbenhöfen“ wird es allemal geben. Bei der Genossenschaft jedenfalls gibt es bereits eine lange Warteliste. „Wir könnten fünf Hallen voll machen“, sagt Genossenschaftsmitglied Trapp.