Ottensen. Bezirksversammlung will Luxussanierungen verhindern, um Bewohner vor Verdrängung zu schützen. Erste Pläne liegen Jahre zurück.
Immobilienanzeigen mit Angeboten aus dem Stadtteil lesen sich, als könne man dort in einem besonders lebenswerten Mix aus Studentenviertel und Kreativenquartier wohnen: „inspiriert vom freigeistigen Klima“, heißt es beispielsweise bei einem Angebot für die Arnoldstraße. „Am Puls der Szene“, wirbt an anderer Stelle eine Anzeige für eine Eigentumswohnung. Doch wer hier in der freigeistigen Szene wirklich wohnen möchte, muss kräftig zahlen: Eine Zweizimmerwohnung, 40 Quadratmeter groß, soll schon mal 640 Euro Kaltmiete kosten. Und wer Eigentum erwerben möchte, ist bei mehr als 100 Quadratmetern oft mit einer Million Euro erst dabei. Nun will der zuständige Bezirk Altona für Ottensen eine sogenannte soziale Erhaltungsverordnung erlassen. Die Zustimmung der Bezirksversammlung am kommenden Donnerstag gilt als sicher. Ziel einer solchen Verordnung ist die Verhinderung von Luxussanierungen und die Umwandlung von Miet- in teure Eigentumswohnungen. Alles, um die Einwohner vor Verdrängung durch finanzkräftigere Neubürger zu schützen. Nur, kommt die Verordnung für Ottensen nicht viel zu spät?
Seit 2009 sollen sich die sprunghaften Preisanstiege abgezeichnet haben
Davon geht zumindest der Mieterverein zu Hamburg aus. Soziale Erhaltungsverordnungen seien zwar ein gutes Instrument, um Missstände zu beheben, sagt sein Vorsitzender Siegmund Chychla: „Doch oft ist der Patient schon tot, wenn der Arzt erst kommt.“ Die Zeit vom Erkennen einer bedrohlichen Entwicklung innerhalb eines Stadtteils bis zur echten Reaktion sei in Hamburg einfach viel zu lang, sagt Chychla.
Tatsächlich dauerte es auch in Ottensen lange, bis die Erhaltungsverordnung fertig war. Vom Gesetzgeber ist dazu eine umfangreiche Prüfung von Daten zu Mieten, Einkommen und Bevölkerungsstruktur vorgeschrieben, weil eine solche Verordnung eben auch einen erheblichen Eingriff ins Eigentumsrecht darstellt. „So etwas muss gerichtsfest sein“, sagt der Altonaer Grünen-Politiker und Stadtentwicklungsexperte Christian Trede, der die Verordnung selbst mit auf den Weg gebracht hat. Tatsächlich zeichnete sich wohl schon um 2009 ab, dass Ottensen vom Zuzug nach Hamburg besonders profitierte und sich dort wegen der starken Nachfrage die Preise zum Mieten oder Kaufen besonders sprunghaft nach oben bewegten.
Unter dem Sichtwort City-West soll ein radikaler Kahlschlag geplant sein
Ottensen, einst ein eher armer Arbeiterstadtteil, hatte im Krieg kaum Bombenschäden erlitten, fast die Hälfte aller Gebäude (47 Prozent) stammen aus der Gründerzeit. Nachdem in den 60er-Jahren viele Fabriken dort stillgelegt wurden, drohte diesen heute so begehrten Altbauten in den 70er-Jahren der Abriss, weil Stadtplaner unter dem Stichwort City-West hier einen radikalen Kahlschlag planten. Doch eine Szene von Studenten, Kreativen und anderen, die dort günstige Wohnungen hatten, verhinderten solche Vorhaben mit heftigen Protesten.
Aus dieser Zeit rührt noch heute zum Großteil das Image eines sehr selbstbewussten, kleinteiligen, bunten Stadtteils. Hinzu kam ein umfangreiches städtisches Sanierungsprogramm von 1978 bis 1999, wodurch viele Häuser mit öffentlichem Fördergeld saniert wurden. Die Folge war aber eben auch, dass Ottensen zu einem der begehrtesten Stadtteile Hamburgs wurde. Mit entsprechenden Folgen für Mieten und Kaufpreise.
Was nicht mehr in Ottensen rein passt, schwappt nach Bahrenfeld
2011 schon beschloss daher der Bezirk, mit einer sozialen Erhaltungsverordnung die Folgen abzufedern. Es folgten Studien und Befragungen, die die Vermutung untermauerten, dass sich in Ottensen die Preisspirale besonders rasch dreht: Wer seit zwei Jahren oder kürzer hier wohnt, zahlt Spitzenmieten bis zu 17 Euro pro Quadratmeter, im Durchschnitt 11,22 Euro. Wer einen älteren Mietvertrag hat, kommt hingegen auf einen durchschnittlichen Mietpreis von 8,51 Euro. Dennoch dauerte es fünf Jahre, bis die Stadt jetzt gegensteuert. „Man müsste diese Zeit auf zwei Jahre begrenzen“, fordert daher Mietervereinschef Chychla. Und auch der Grünen-Politiker Trede wünscht sich eine schnellere Umsetzung. Allerdings, so sagt er, müssten dazu die Ämter auch mit entsprechendem Personal ausgestattet sein.
Immerhin: Eine Lehre aus dem Ottenser Beispiel hat man in Altona gezogen. Längst ist dort die Karawane der Investoren und Anleger weitergezogen, weil es kaum noch Angebote in Ottensen gibt. Viele Umbrüche und Neubaupläne stehen daher im angrenzenden südlichen Bahrenfeld an. „Dorthin schwappt jetzt das, was in Ottensen überläuft“, sagt der CDU-Bauexperte Sven Hielscher, der die soziale Erhaltungsverordnung ebenfalls unterstützt. So lange warten wie in Ottensen wollte man in der Bezirksversammlung Altona daher diesmal nicht. Wenn am Donnerstag die soziale Erhaltungsverordnung für Ottensen verabschiedet wird, soll für Bahrenfeld-Süd eine solche gleich mit beschlossen werden.