Hamburg. Auf Hamburgs Fußballplätzen üben junge Spieler Fairplay ohne Eingriff von außen – mit Erfolg. Ein Besuch bei der F-Jugend.

Mittags auf dem Jahnplatz 2, ein staubiger Grand, bestes Fußballwetter. Es treten zum Fußballspiel gegeneinander an: die 3. F-Jugend von Teutonia 05 und die des Hamburg-Eimsbütteler Ballspiel Clubs (HEBC) e.V. Lauter Sechs- und Siebenjährige. „Hast du super gemacht!“, ruft eine Mutter zu Beginn des Spiels, nach dem ersten gelungenen Zweikampf ihres Sohnes. Doch dann hält sie sich beide Hände vor den Mund und murmelt: „Ach ja, ich soll ja nichts mehr sagen.“ Es folgt eine kurze hitzige Debatte unter den Eltern, sie einigen sich: Ein bisschen Anfeuern muss auch hier weiterhin erlaubt sein.

Für manche Eltern im Hamburger Jugendfußball war es in den vergangenen Jahren egal, wie alt ihr Kind war oder bei welchem Verein es spielte. Es galt nur eins: Es musste am Wochenende gewinnen. Und ein Foul gegen den eigenen Liebling hatte der Schiedsrichter gefälligst hart zu bestrafen. Das führte zu Druck und Pöbeleien, manchmal gar zu Spielabbrüchen. Natürlich war das nicht die Regel, aber eine unschön wachsende Ausnahme. Ist man ehrlich, hat die zuletzt zunehmende Gewalt auf den Plätzen im Hamburger Amateurfußball (wir berichteten) ihre Ursache auch dort. Wer als Kind schon lernt, dass es beim Fußball nur ums Gewinnen geht, ist später leichter geneigt, sich danebenzubenehmen.

Also hat der Hamburger Fußball-Verband (HFV) mit Beginn dieser Saison reagiert und ein Pilotprojekt aus Aachen übernommen. Seit Ligastart im September wird von der jungen G-Jugend (2010 geborene Kinder) bis zur jungen F-Jugend (Jahrgang 2008) in der sogenannten Fairplay-Liga gespielt. „Die Regeln sind ganz einfach“, erläutert Lutz Krohn, Sachbearbeiter im Juniorenbereich des HFV. „Die Eltern müssen sich mindestens 15 Meter vom Spielfeld entfernt halten, sie sollen aufs Spiel keinen Einfluss nehmen. Nur ein Trainer und ein Betreuer dürfen am Rand stehen. Und gespielt wird ohne Schiedsrichter, die Jungs und Mädchen können das selbst organisieren.“ Tabellen gibt es auch keine, der Spaß am Spiel soll im Vordergrund stehen.

Für die Eltern bei der Partie Teutonia 05 gegen HEBC scheint die Maßnahme nicht nötig zu sein. Locker und sehr sympathisch wirkt die elterliche Fanschar der beiden Teams – und steht brav in die Fanzone hinter einem der beiden Tore.

Auf dem Platz klappt die Fairplay-Idee ebenfalls gut. An- und Abpfiff erfolgen durch einen Trainer von der Seitenlinie. Sonst halten sich die Trainer Sven Mandel von Teutonia und Wolf Stange vom HEBC aus den Entscheidungen raus. Sie geben nur Anweisungen, die das Spiel betreffen. Ab und zu diskutieren die Jungs kurz – und einigen sich dann. Zur Szene des Tages kommt es in der ersten Halbzeit. Ein HEBC-Spieler strebt im Alleingang auf das Tor der Teutonen zu. Es ist die Riesenchance zum 2:0. 20 Meter entfernt liegt ein Spieler der Teutonen am Boden. Ein Auswechselspieler sieht es und fasst sich ein Herz. „Spielstopp“, ruft er. Einige andere Spieler werden auf die Lage aufmerksam und rufen ebenfalls „Spielstopp“. Nun helfen alle dem Jungen, der sich zum Glück nichts Schlimmes getan hat. Das Spiel wird mit Freistoß für Teutonia fortgesetzt.

Ab und zu treffen die Spieler aber auch falsche Entscheidungen. Wie bei einem Angriff der Teutonen, bei dem der Spieler im Seitenaus in seinem Eifer einfach weiterspielt. In besagter Szene starren alle HEBC-Spieler zu ihrem Trainer Stange. „Spielt weiter, spielt weiter“, ruft der. Er soll und will nicht eingreifen. Schon ist der Fehler abgehakt und die HEBC-Jungs wieder bei der Sache. Am Ende siegt Teutonia 2:1, und alle Spieler klatschen sich ab.

„Ich bin nach wie vor begeistert von der Fairplay-Liga, obwohl ich anfangs so skeptisch war. Das Spiel wird fairer und viel schneller. Mit den paar Fehlentscheidungen muss man halt leben“, sagt Teutonias Trainer Mandel nach der Begegnung. Seine Spieler stimmen ihm zu. „Guuuuut“, rufen die Jungs spontan im Chor bei der Frage, wie sie es finden, ohne Schiedsrichter zu spielen. „Es wird weniger gefoult“, sagt Teutonias Torwart Niko Peters. „Man muss nicht ständig gucken, wie der Schiedsrichter alles findet. Es gibt mehr Diskussionen unter uns. Das gefällt mir“, erklärt sein Mitspieler Henri Meinusch.

Die Eltern müssen bei der Partie mindestens 15 Meter Abstand vom Spielfeld halten
und dürfen auf das Spiel keinen Einfluss nehmen
Die Eltern müssen bei der Partie mindestens 15 Meter Abstand vom Spielfeld halten und dürfen auf das Spiel keinen Einfluss nehmen © HA | Roland Magunia

Verbesserungspotenzial hat die Fairplay-Liga dennoch. Denn natürlich ist die Kinder-Fußballwelt nicht die beste aller moralischen Welten. „Neulich hat ein Team gegen uns klar gefoult, einfach weitergespielt und ein Tor gemacht. Das ist dann natürlich nicht so schön“, sagt HEBC-Trainer Stange. „Ich stehe der Idee weiter sehr aufgeschlossen gegenüber, aber bei ein paar Mannschaften läuft das mit dem Fairplay noch nicht wie erhofft.“ Eine begleitende Person, die in kniffligen Fällen wie diesem oder bei offensichtlich schweren Verletzungen der jungen Spieler auf jeden Fall eingreift, wünschen sich viele Eltern. „Manchmal verlieren die Jungs in schwierigen Situationen etwas die Orientierung“, so Teutonias Spielervater Jürgen Walter. „Dann wäre es gut, wenn jemand da wäre, der sofort etwas sagt.“

Lutz Krohn vom Hamburger Fußball-Verband erhält jedenfalls viele Rückmeldungen seit Einführung der Fairplay-Liga. „Bisher sind sie sehr positiv“, sagt Krohn. So positiv, dass der Verband die Fairplay-Liga ab der nächsten Saison auf den Jahrgang 2007 (alte F-Jugend) ausweiten will. Teutonias Trainer Mandel freut sich schon: „Ich glaube, noch ein Jahre Fairplay-Liga wird den Jungs in ihrer Entwicklung guttun. Ich sage ihnen immer, wenn sie gar nicht mehr weiterwissen, sollen sie um die Entscheidung Schnick-Schnack-Schnuck spielen. Bisher haben sie das aber nie gebraucht.“