Altona . Wie Politik und Bürger mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge umgehen und wo die sieben Bezirke Unterkünfte planen. Heute: Altona.

Ein kleines Zahlenbeispiel sagt viel aus über den Bezirk Altona, wenn es darum geht, wie die Menschen dort auf neue Flüchtlingsunterkünfte reagieren. So lässt die Sozialbehörde auf der früheren Zirkusfläche am Holmbrook in Othmarschen ganz in der Nähe der Autobahn gerade ein Areal für Wohncontainer herrichten. Noch bevor die ersten Arbeiten begannen, hatte sich aus der örtlichen Kirchengemeinde heraus bereits eine Hilfsinitiative gebildet, die ihre künftigen Nachbarn unterstützen möchte. 209 Flüchtlinge will man dort unterbringen – mehr als 200 Bürger beteiligen sich an der Initiative „die Holmbrooker“.

Groß ist die Unterstützung auch im nahen Bahrenfeld, wo es ebenfalls die Kirchengemeinde ist, die sich um Unterkünfte wie etwa am Holstenkamp kümmert. Doch wie lange hält dieser Wille zum Helfen an, wann könnte die Stimmung kippen? Wann wird es den Bürgern vielleicht zu viel? Zumal Altona und seine rund 255.000 Bewohner bereits Unterbringungsplätze für gut 3000 Menschen bietet und damit pro Einwohner deutlich mehr als beispielsweise Eimsbüttel, Wandsbek oder der Bezirk Nord.

An den Schnackenburgsallee leben die Flüchtlinge in Zelten
An den Schnackenburgsallee leben die Flüchtlinge in Zelten © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Mit einiger Spannung gingen daher kürzlich Bezirksamtsleiterin Liane Melzer (SPD) und Vertreter der Innenbehörde in eine öffentliche Infoveranstaltung, als sie die Pläne für eine neue Erstaufname an der Paul-Ehrlich-Straße öffentlich vorstellen wollten. Immerhin handelt es sich um eine Unterkunft für etwa 600 Flüchtlinge, die nur einen Steinwurf vom Holmbrook entfernt geplant wird. Die Stimmung kristallisierte sich nach wenigen Minuten schon heraus. Anders als bei vergleichbaren Veranstaltungen in der Stadt blieben pöbelhafte Zwischenrufe völlig aus, stattdessen gab es braven Applaus für die Referenten.

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Und viele Bürger fragten – sehr zur Überraschung der Behördenvertreter –, warum man auf dem Gelände nicht gleich für mehr Flüchtlinge bauen könne. Erleichtert registrierte Verwaltungschefin Melzer, dass sich dort die Hilfsbereitschaft fortzusetzen scheint. Zumindest blieben kritische Stimmen leise. Und als ein Familienvater besorgt nach der Sicherheit fragte, gab es sogar Buhrufe.

In Othmarschen will niemand klagen – anders als in Harvestehude

Gern betont die Sozialdemokratin Melzer im Gespräch mit Journalisten, dass der Standort der neuen Erstaufnahme in Othmarschen liegt. Einem eher feinen Stadtteil, was schnell den Vergleich mit Harvestehude nahelegt, wo Anwohner gegen eine Unterkunft mit Erfolg geklagt haben. So etwas birgt natürlich sozialen Sprengstoff, sollte sich der Eindruck verfestigen, dass sich eher „reiche Stadtteile“ mithilfe von gut bezahlten Anwälten dabei helfen lassen, möglichst keine Flüchtlinge in der Nachbarschaft zu haben. Othmarschen lieferte nun das völlige Gegenbeispiel.

Aber es gibt durchaus auch Protest im Bezirk Altona – und der äußert sich ausgerechnet in einem anderen eher feinen Stadtteil: am Björnsonweg in Blankenese. Was dann tatsächlich schnell zu Schlagzeilen und einem Vergleich mit Harvestehude führte. Zumal als ein Anwohner ebenfalls einen Anwalt einschaltete, um mit einer Klage zu drohen.

Am Holmbrook wird Platz für rund 200 Flüchtlinge geschaffen
Am Holmbrook wird Platz für rund 200 Flüchtlinge geschaffen © Roland Magunia | Roland Magunia

Doch so einfach ist dieser Fall nicht. „Gut Betuchte wollen Flücht­linge in der Nachbarschaft verhindern“ – dieser Vorwurf funktioniert hier bei näherer Betrachtung nicht. Denn die Anwohner der kleinen Sackgasse hatten zuvor dem Bezirk ein detailliertes Hilfsangebot gemacht, auch sie wollten Flüchtlinge unterstützen. Etwa 100 Haushalte gibt es an der Straße, 192 Flüchtlinge sollen dort bald hinzu­kommen. „Zu viel für die kleine Straße“, hieß es von der Anwohnerinitiative. So könne Integration nicht funktionieren.

Doch auf einen Kompromiss mit weniger Plätzen wollte sich der Bezirk nicht einlassen. Wohl aus Furcht, dass dann auch aus anderen Ecken Altonas vergleichbare Forderungen kommen könnten.

Allerdings zeigt das Beispiel auch, wie eine ungeschickte Informationspolitik viel Vertrauen bei den Bürgern kaputtmachen kann und solche Proteste geradezu provoziert. Anfangs nannte der Bezirk die Zahl von „etwa 80“ und nicht 192 Flüchtlingen, die am Björnsonweg untergebracht werden sollen. Als die aktuelle Zahl bekannt wurde, hieß es, man habe nie eine andere genannt. Dumm nur, dass auf der Internetseite des SPD-Bezirkspolitikers Andreas Riedel noch die alte Behördeninformation mit etwa 80 Plätzen angegeben war. Ein klassisches Eigentor der Behörde.

In Bahrenfeld wird aufs Tempo gedrückt, woanders lässt man sich Zeit

Und auch an anderer Stelle in Altona gefährden die Behörden aus Sicht der Altonaer CDU die große Hilfs­bereitschaft im Bezirk mit einer mitunter ungeschickten Vorgehensweise: So soll in Bahrenfeld, wo bereits etliche Flüchtlinge leben, auf einem alten THW-Parkplatz an der Notkestraße noch einmal eine Unterkunft für immerhin 660 Menschen gebaut werden. Eigentlich wollten die Bezirkspolitiker die Anwohner erst informieren und dann ihre Stellungnahme dazu abgeben. Weil aber nun die Sommerferien begannen, baten Bezirkspolitiker um eine Verschiebung, um Zeit für eine Bürgerinformation nach den Ferien zu bekommen – was die Sozialbehörde angesichts der angeblichen Dringlichkeit ablehnte.

Die Argumentation der Sozialbehörde ist nicht frei von Widersprüchen

„In Bahrenfeld klappt das ehrenamtliche Engagement der Bürger bisher vorbildlich. Wie leichtsinnig ist es nur, diese gute Stimmung für sechs Wochen Zeitgewinn aufs Spiel zu setzen“, zürnt daher CDU-Sozialpolitiker An­dreas Grutzeck. Tatsächlich agiert die Sozialbehörde in Altona mitunter merkwürdig. Dort ist plötzlich Eile angesagt, woanders lässt sie sich Zeit: Die Erweiterung des Pavillondorfs Sieverstücken in Sülldorf soll beispielsweise erst in diesem Jahr abgeschlossen sein – obwohl sie schon seit Jahren geplant wird. Und in Osdorf auf dem Areal der Graf-Baudissin-Kaserne plant die Behörde aktuell nur mit 130 Plätzen – „obwohl seit 2012 bekannt ist, dass man dort 450 mehr Flüchtlinge unterbringen kann“, wie CDU-Politiker Grutzeck sagt.

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