Hamburg. Bilanz nach einem Jahr: Viele umliegende Händler profitieren, und im Restaurant trifft sich das ganze Quartier.

Ein Zweijähriger matscht in seinem Müsli, sein Vater schaut ihm versonnen dabei zu und nippt an einem Kaffeebecher. Frauen mit Kopftüchern reden und kichern am Nebentisch, daneben sitzen in Clubsesseln einzelne grauhaarige Restaurantbesucher und lesen Zeitungen. Das Klappern von Tabletts, das Klirren von Gläsern, dazu Stimmen – ein vielschichtiger, alle Einzeltöne schluckender Geräuschteppich liegt über dem großen Raum. Wenn man es nicht wüsste, man könnte meinen, hier betreibt jemand ein gut besuchtes, multikulturelles Stadtteilzentrum.

Dabei handelt es sich um das Ikea-Restaurant an der Großen Bergstraße. Das Angebot ist bis in die Details der „vegetarischen Pasta-Bar“ auf die Kunden zugeschnitten. „Unser Hauptanlaufpunkt und eines der bestbesuchten Ikea-Restaurants des Landes“, wie Christian Mollerus, der Chef dieses Ikea-Citystores, es nennt. Vor rund einem Jahr hatte der schwedische Möbelkonzern hier sein weltweit erstes Ikea-Haus mitten in einer Fußgängerzone im Frühsommer 2014 eröffnet. Begleitet von vielen Diskussionen und auch Protest. Befürworter wollten die Große Bergstraße damit als zentrale Einkaufsstraße wiederbeleben, Gegner warnten vor der großen Verdrängung und steigenden Mieten.

Es sollte ein Test für weitere Häuser dieser Art werden, hieß es seinerzeit bei Ikea. Kritiker fanden, dass Ikea diesen Test auf Kosten des Stadtteils betreibe. Zwar gab es bei zwei Bürgerentscheiden und in der Altonaer Kommunalpolitik eine breite Mehrheit für die Ikea-Ansiedelung. Doch die Gegner beschworen Schlimmes: Das Möbelhaus werde einen Autobahnzubringer nach Altona holen, Mieten würden in der Großen Bergstraße teurer, und kein türkischer Gemüsehändler könne sich den Standort bald mehr leisten. Der „Ikea-Klotz wird neben einem Verkehrschaos nur die nächste Spekulationswelle bringen“, hieß es.

Zumindest das Verkehrschaos ist offensichtlich nicht eingetreten. „80 bis 90 Prozent unserer Kunden kommen ohne Auto“, sagt Hauschef Mollerus. Meist sind zwei der drei Parkdecks in den oberen Geschossen des Neubaus geschlossen. „Das Chaos ist ausgeblieben, das müssen wir selbstkritisch feststellen“, gibt selbst Robert Jarowoy von den Altonaer Linken zu, die die Ansiedelung abgelehnt hatten.

Und die Verdrängung der kleinen Läden? Der Zusammenschluss der Einzelhändler in der Straße hatte die Ansiedlung immer unterstützt. Heute ist Ikea dort Mitglied. Genau gegenüber von Ikea hat beispielsweise Bünyamin Öztürk seinen Gemüse- und Obstladen. Seit 25 Jahren verkauft er hier schon, sagt Öztürk. Es seien gute Zeiten gewesen, dann nach dem Auszug von Karstadt aber auch schreckliche. „Ikea ist gut für uns“, sagt er heute. Klar, könnten Mieten etwas steigen. „Aber was nützen mir kleine Mieten, wenn ich keinen Umsatz mache, weil keine Kunden kommen?“

Bleibt noch die befürchtete „Spekulationswelle“: Tatsächlich wird viel gebaut in der Straße, neue Läden machten auf, andere mussten wohl auch wegziehen. Der langjährige CDU-Fraktionschef in der Bezirksversammlung, Uwe Szczesny, fühlt sich daher betätigt. Ikea sei ein Erfolg für Altona, sagt er. Dass hier im eigentlichen Zentrum des Bezirks wieder investiert wird, genau das habe man bewirken wollen.

Der CDU-Politiker war es auch, der den Möbelriesen erst auf diesen Standort aufmerksam gemacht hatte. Ursprünglich plante Ikea sein drittes Hamburger Möbelhaus in einem Gewerbegebiet in Othmarschen auf einer Fläche, die vom Senat aber für Produktionsbetriebe vorgesehen war. Dann wollten die Möbelleute an die Harkortstraße auf ein freies Areal der Holsten-Brauerei – hier wird heute die Neue Mitte Altona gebaut. Im Mai 2007 spazierten dann der Politiker und die Manager von Ikea-Deutschland zum Frappant, einem Waschbetonbau aus den 70er-Jahren, in dem einst Karstadt beheimatet war. Mit dem Wegzug des Kaufhauses begann ein Niedergang der Straße. Seit 2003 hatten insgesamt vier Investoren versucht, das Frappant abzureißen. Doch eine Finanzierung für den scheinbar wenig attraktiven Standort bekam niemand hin.

Zuletzt hatte eine Gruppe von Künstlern im Frappant Quartier bezogen. Stadteilaktivisten wollten das am liebsten so belassen. Doch dann kamen die Bürgerentscheide und schließlich die endgültige Finanzzusage durch die Konzernzentrale.

Für Altona überwiegen die Vorteile durch die Neuansiedlung, lässt sich ein Jahr nach dem Start fast einhellig feststellen. Ob sich die Erprobung eines Ikea-Marktes in einer Fußgängerzone aber auch für den Möbelriesen gelohnt hat, steht dahin. Ikea-Altona sei in Deutschland eines der fünf bestbesuchten Häuser, wie Mollerus sagt. Bis zu 20.000 Kunden kommen an Sonnabenden. Der Umsatz pro Kunde könnte allerdings höher sein. Rund 82 Euro lässt jeder Besucher im Durchschnitt bei einem Ikea-Besuch. In Altona sei es weniger, heißt es vom Konzern, allerdings mit steigender Tendenz. Genaue Zahlen werden nicht veröffentlicht.

Diese geringeren Umsätzen liegen vielleicht auch daran, weil es viele Kunden so machen wie Familie Schwertner aus Bahrenfeld: Oft kommt sie mit den drei kleinen Kindern in den Ikea-Markt. Zuerst geht es dann ins Restaurant, wo die Kleinen gern sind – auch weil es unkompliziert zugeht. Anschließend ist für die Eltern noch ein Bummel durch den Stadtteil drin, während die Kinder im „Småland“ spielen. „Wir kaufen hier eher kleine Dinge“, sagt das Ehepaar.

Ikea versucht indessen gegenzusteuern, stellt mehr Möbel aus und bietet in Altona mittlerweile das gleiche Sortiment wie in der Filiale Schnelsen. Und auch das Lieferkonzept mit Lasten-Leihfahrrädern und „Sofa-Taxi“ scheint zu laufen, wie ein Blick in die Auslieferung zeigt. Kunden bringen die Räder zurück, andere lassen sich einweisen. Dennoch: Einen weiteren Citystore plant Ikea derzeit nicht. Noch ist vor allem das Restaurant ein Überraschungserfolg – für Ikea und den Stadtteil. Manchmal, so sagt Mollerus, glaubt er dort auch einige von denjenigen zu erkennen, die früher gegen die Ansiedlung demonstriert hatten.