Hamburg. Sie sind radikale Umweltschützer, ihr Deutschlandchef ist Norddeutscher. Erstmals ist ein Schiff der Sea Shepherd-Flotte beim Hafengeburtstag.

Sven Matthießen ist nicht der Mann, für den man ihn halten möchte. Mit den tätowierten Unterarmen, die von seiner Liebe zum FC St. Pauli künden, entspricht er äußerlich nur unter sehr konservativen Gesichtspunkten dem Bild des Radikalinskis. Inhaltlich ist er aber die Umgänglichkeit in Person. Wenn er redet und seine Sätze mit einem Lächeln garniert, mutiert der Mann, den alle nur „Maddy“ nennen, vom aggressiven Tierschützer zum zuvorkommenden Geschäftsführer. Das Boot hinter ihm ist da schon mehr Kampfansage.

Früher war Sven Matthießen Anlagenelektroniker und Tätowierer. Heute, mit 46, ist er Geschäftsführer von Sea Shepherd Deutschland, den vielleicht aggressivsten Naturschützern des Planeten. Mit spektakulären Aktionen haben es die weltweit operierenden „Hirten der Ozeane“ seit ihrer Gründung im Jahr 1977 zu einiger Berühmtheit gebracht. Erstmals hat die Organisation nun ein Boot aus ihrer Flotte zum Hafengeburtstag entsandt. Der 35 Meter lange Trimaran Brigitte Bardot und seine internationale Ćrew sind in friedlicher Mission in Hamburg, Ein- und Auslaufparade sind gebucht. „Das wird lustig“, sagt Matthießen.

Die „Whale Wars“-Videos von Sea Shepherd, in denen sie mit riskanten Manövern Walfangflotten bedrängen, sind Internethits, der oscarprämierte Dokumentarfilm „Die Bucht“, in dem das massenhafte Töten von Delfinenen in einer japanischen Bucht gezeigt wird, gehe auf Sea Shepherd-Recherchen zurück. Rammen wollen die Aktivisten im Hamburger Hafen aber niemanden, sie sind für Werbezwecke da.

Sea Shepherd hat deutschlandweit 170 Freiwillige

Dabei waren es die Kompromisslosigkeit und der Aktionismus von Sea Shepherd, die Matthießen überzeugt haben, der Organisation beizutreten und den deutschen Verein aufzubauen. Der Itzehoer ist verheiratet, hat drei Katzen, „ich bin ein Typ von der Küste“. Der Schritt zum Ozeanschützer sei da nicht weit gewesen. „Und ich war schon immer Aktivist“, sagt er. 2008 ist er eingestiegen,weil Sea Shepherd anders als Greenpeace vorgeht. „Wir sind keine Protestorganisation mit Schildchen, die ganz viele Themenfelder beackert. Wir kümmern uns ausschließlich um den aktiven Meeresschutz. Und das durchaus radikal.“ Inzwischen hat Sea Shepherd deutschlandweit 170 Freiwillige und zehn Ortsgruppen. Die Organisation finanziert sich über Spenden, eine halbe Million Euro sei 2014 in Deutschland eingeworben werden.

Bei Kampagnen, so werden die konzertierten Aktionen genannt, attackieren die Naturschützer beharrlich Walfangschiffe, kreuzen gefährlich nahe vor deren Bug, werfen Rauch- oder Buttersäurebomben und blockieren mit Leinen die Schiffsschrauben. Immer am Rand zur Illegalität, erklärtes Ziel: Die Tötung der Wale zu verhindern. 2012 war Sven Matthießen acht Wochen lang dabei. Als Quartermaster kümmerte er sich auf der Brücke der „Steve Irwin“ um Kommunikation und Navigation. Vier Stunden Wache, acht Stunden frei, das war der Rhythmus. Drei vegane Mahlzeit gehörten dazu. Heute konzentriert sich der deutsche Geschäftsführer auf administrative Aufgaben: organisieren, Spenden einwerben, Öffentlichkeitsarbeit.

Sea Shepherd beim Hafengeburtstag

Die Naturschützer von Sea Shepherd sind mit ihrem Schiff Brigitte Bardot beim 826. Hafengeburtstag dabei. Der Hamburger Sven Matthießen ist der Deutschlandchef der Aktivisten
Die Naturschützer von Sea Shepherd sind mit ihrem Schiff Brigitte Bardot beim 826. Hafengeburtstag dabei. Der Hamburger Sven Matthießen ist der Deutschlandchef der Aktivisten © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Die Brigitte Bardot ist das schnellste Boot der Naturschützer
Die Brigitte Bardot ist das schnellste Boot der Naturschützer © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
1977 gründeten sich die wohl radikalsten Naturschützer der Welt
1977 gründeten sich die wohl radikalsten Naturschützer der Welt © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Sea Shepherd legt sich immer wieder mit Walfangflotten an
Sea Shepherd legt sich immer wieder mit Walfangflotten an © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Der Trimaran der Aktivisten ist 35 Meter lang
Der Trimaran der Aktivisten ist 35 Meter lang © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Die Brigitte Bardot wird ...
Die Brigitte Bardot wird ... © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
... bei der Ein- und Auslaufparade dabei sein
... bei der Ein- und Auslaufparade dabei sein © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
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„Bei Kampagnen gehen wir hart rein, aber nur gegen das Material. Nie gegen Personen“, sagt Matthießen. Sea Shepherd beruft sich auf die UN-Charta, nach der jeder das Recht habe, Verbrechen gegen die Umwelt zu verhindern. Üblicherweise geht es in die entlegensten Gewässer der Welt, immer den Flotten der Walfangnationen hinterher. Im Visier vor allem Walfänger aus Japan, Island, Norwegen oder von den Färöer Inseln. „Alle, die das Walfangmoratorium von 1986 unter dem Deckmantel der Wissenschaft oder der Brauchtumspflege missachten“.

Sieben Schiffe gehören zur Flotte von Sea Shepherd. Die Brigitte Bardot war bereits in der Antarktis, noch unter dem alten Namen Gojira, im Einsatz, um den Stolz der japansichen Walfangflotte zu ärgern. Mit Erfolg: Sea Shephard nimmt für sich in Anspruch, schon mehr als 5000 Walen das Leben gerettet zu haben Nach dem Hafengeburtstag wird das Schiff in Bremen für die nächste Kampagne präpariert. Dann soll es in den Nordatlantik gehen. Maximal elf Mann Besatzung haben Platz, zwei Plätze sind fest für ein Kamerateam reserviert.

„Die Kamera ist unsere stärkste Waffe“, sagt Matthießen. Sie schafft Öffentlichkeit, wo keine ist. Wo kein Kläger, da kein Richter. „Wir filmen die Vergehen an der Tierwelt, übergeben die Beweise den Behörden.“ Die Zusammenarbeit sei trotz der fragwürdigen Methoden gut. Denn man könne sich nicht vorstellen, was in der Antarktis passiert, wenn man nicht selöbst dagewesen sei. Diese Schönheit. Diese Ruhe. Diese Tierwelt. Und auf der anderen Seite: Diese Brutalität. Dieses Blutvergießen. Die Sprengköpfe an den Harpunen. Wale und Walfänger, Leben und Tod, Krieg und Frieden. „Die vielleicht letzte Wildnis, die wir haben, wird zerstört“, sagt Sven Matthießen. „Sie ist es wert, dass wir sie schützen.“

Open Ship: Besichtigungen des Sea Shepherd Schiffs Brigitte Bardot am Sportboothafen (Vorsetzen) sind Freitag von 13 bis 15.30 Uhr, Sonnabend von 13 bis 17.30 Uhr und am Sonntag von 10 bis 13 Uhr möglich