Der bekannte TV-Koch sprach mit dem Hamburger Abendblatt über kulinarische Unterschätzung, sein neues Kochbuch „Heimat“, das seit Montag im Handel ist, und die Lehren aus seinem Burn-out.
Bahrenfeld. Sehen kann man ihn nicht im Halbdunkel des Fabriksouterrains, nur hören. Das Lispeln, das Hamburgische, unverwechselbar. Dann schiebt er sich hindurch zwischen den Fotoleuchten und dem Werkzeugwagen eines Handwerkers: neue Lüster für den Off-Club, sein neues Restaurant in Bahrenfeld. Das Fotoshooting – schwarzes Hemd an roter Pünktchentischdecke – zieht er durch mit einem Lächeln. Ein Vollprofi am Herd und vor der Kamera. Und doch scheiden sich an keinem Gastronomen die Geister so sehr wie an Tim Mälzer.
Was daran liegen dürfte, dass der 43-Jährige nicht nur Kochbücher und Speisekarten, sondern auch Fernsehgeschichte geschrieben hat. Wenige andere Köche sind derart telepräsent wie der gebürtige Pinneberger. Kalt lässt ihn die Kritik an seiner Person nicht. Das wird schnell klar, aber auch: Hier, im Spielzimmer seiner neuen Location, dem zu einem düsteren Esszimmer ausgebauten Weinlager, sitzt ein Getriebener im Auftrag des guten Geschmacks.
Mit dem Ende 2013 eröffneten Experimentierlokal im einstigen Kraftwerk Leverkusenstraße will er es allen Kritikern endgültig zeigen. „Kulinarisch traut mir eh keiner was zu. Deshalb habe ich es einfach.“ Er kokettiert, übertreibt: „Ich bin nicht der Vorzeigekoch, mit dem man gern angibt. Den Off-Club kann ich mir leisten, weil alle denken, dass ich nur etwas von Linsensuppe verstehe. Hier aber zeige ich, dass ich kulinarisches Verständnis habe.“ Die Menschen hätten ein Bild von ihm, das schwarz oder weiß sei. „Die einen lieben, die anderen hassen mich.“ Er kann weder die brutale Ablehnung („Alter, ich bin Koch, kein Gaddafi!“) noch die totale Bewunderung nachvollziehen („Jungs entspannt euch, ich koche nur. Bin nicht der Papst.“)
Seine Karriere startet Mälzer 1992, noch ohne Brüche, aber auch ohne Kanten. Hoteldirektor soll es sein, nach der Berufsberatung. „Die Leidenschaft zum Kochen habe ich erst in der Lehre entdeckt. Ich brauchte ein höheres Karriereziel.“ Dem Hotel Interconti an der Alster, wo die Lehre beginnt, folgt das Ritz in London. 1994 bekommt er den Rudolf-Achenbach-Preis als bester Nachwuchskoch. „Ich hab Karriere gemacht, war Chef de Partie, schneller, als es zu erwarten gewesen wäre.“ Aber die Faszination fehlt. Sie kommt erst mit Gennaro Contaldo, dem Küchenchef im Londoner Neal Street Restaurant, bei dem auch Jamie Oliver arbeitet, der ein enger Freund und Berater werden soll.
Richtete der junge Mälzer bis dahin kunstvolle Türmchen auf Tellern an, soll er bei Contaldo Risotto rausschicken, „das nach nichts aussah“, wie er sich erinnert. „Aber wenn du den Löffel drin hattest, dachtest du: wie geil!“ Vier Monate übt er Gerichte, fragt: „Ist das italienisch?“ Nein. „Dann hab ich irgendwas mit Kaninchen gekocht.“ Kurz angebraten, getrocknete Tomaten, Oliven, ein bisschen Wein, Brühe, Olivenöl, abgelöscht, gehackte Kräuter. „Contaldo sah mich an und sagte: Einer von uns.“ Das sei die größte Auszeichnung seiner bisherigen Laufbahn gewesen.
Den Off-Club, ursprünglich als „Fuck-Off-Club“ im Sinne von „Wir machen, was wir wollen“ konzipiert, würde es ohne New York nicht geben. Tim Mälzer ist dort inzwischen Teilhaber eines Italieners, natürlich in Little Italy. Sein Traum ist ein eigenes amerikanisches Lokal. Seit zwei Jahren pendelt er zwischen Alter und Neuer Welt. Der Big Apple – sein Sabbatical. „Ich will da nicht leben. Ich fühle mich in Hamburg sicher und wohl.“ Aber das andere Denken fasziniert den Macher. „Davor habe ich immer gedacht: Oh, es muss den Erwartungen entsprechen. Ich war im Hamsterrad gefangen. Hatte keinen Blick für die Vielfalt und die Möglichkeiten Hamburgs.“
Hier beginnt 2002 Mälzers Selbstständigkeit – mit dem Restaurant Das Weiße Haus in Övelgönne. 2003 startet die Fernsehkarriere mit „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ bei Vox. Dann folgen bis 2006 drei Kochbücher. Er tanzt auf vielen Hochzeiten, bis nichts mehr geht: Burn-out. Die mit Abstand schlimmste Zeit, aus der er aber lernt. „Ich habe die Herdplatte zu lange angefasst. Jetzt ziehe ich die Hand zurück, bevor ich mich verbrenne.“ Er nimmt sich inzwischen reichlich Urlaub, oft auf Mallorca, wo er mit Ex-Freundin Nina eine Finca hat. Aber es läuft ja. Die Bullerei im Schanzenviertel feierte jüngst fünfjähriges Bestehen, das Hausmanns bewirtet am Frankfurter Flughafen Reisende. Seit Frühjahr ist die „Greenbox“, sein erstes fleischloses Kochbuch, auf dem US-Markt. Und auch den Fernsehkoch Mälzer gibt es noch. Dazu kommt sein jüngstes Projekt, das seit Montag im Handel ist: „Heimat“. Ein Kochbuch, natürlich, auch eine Hommage, wenn auch mit Augenzwinkern: „Wir haben echt gutes Essen, nicht so deftig, wie oft dargestellt. Wir sind weit entfernt davon, nur Würstchen und Sauerkraut zu machen.“
Auch dafür verzichtet er inzwischen darauf, zu den Stoßzeiten noch in der Küche zu stehen. „Das schaffe ich nicht mehr!“ Dass er deshalb kein richtiger Koch mehr sei, lässt er aber nicht gelten: „Das Leben eines Kochs ist ein brutales. Du arbeitest, wenn die anderen frei haben. Mein Ziel war es immer, mit 40 kochen zu dürfen, nicht zu müssen.“ Zwei bis drei Jahre wird und darf es dauern, bis es der Off-Club am Markt geschafft hat. „Der Respekt ist schon da“, freut sich der Chef, der keine Angst vorm Scheitern kennt. „Ich habe Angst, dass ich zu Hause sitze und sage: Ach, hätte ich mal. Ich hab Angst vor der letzten Seite im ‚Stern‘: Was macht eigentlich Tim Mälzer? Denn dann hätte ich die Fresse zu voll genommen.“ Und wenn er doch scheitert? „Dann mach ich zu und was Neues!“
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