Hunderte wurden zum Hausbesetzer-Kongress erwartet. In der Nacht zu Freitag wurde ein leer stehendes Gebäude an der Breiten Straße besetzt. Dabei kam es zu Ausschreitungen. Nun folgten Haftbefehle.
Altona-Altstadt. Zehn Polizisten waren bei der Räumung des Hauses an der Breiten Straße verletzt worden. Die Hausbesetzer hatten sie mit Feuerlöschern, Heizkörpern und einem Waschbecken beworfen. Einen Tag nach den Angriffen auf die Beamten wurde am Freitag gegen zwei der fünf festgenommenen Hausbesetzer Haftbefehl beantragt. Vorwurf: gemeinschaftlicher versuchter Totschlag.
Die Aktionen im Umfeld der sogenannten Squatting Days – einem genehmigten Treffen von Hausbesetzern – gingen unterdessen weiter. In der Nacht zum Freitag räumte die Polizei den ehemaligen Bauwagenplatz an der Schützenstraße. Es kam zu Rangeleien. In Wilhelmsburg kam es zu einer „symbolischen Hausbesetzung“. Die Polizei entdeckte am Freitagmorgen Plakate und Transparente am ehemaligen Zolldurchlass an der Klütjenfelder Straße.
Gegen zwei der fünf festgenommenen Besetzern hat die Staatsanwaltschaft nun einen dringenden Tatverdacht: Marc Oliver R., 29, und Pascal K., 20, wird versuchter Totschlag vorgeworfen. Beide sind den Sicherheitsbehörden schon länger bekannt.
Der 29-Jährige ist ein Krimineller, gegen den bereits wegen Raub, Drogendelikten, Körperverletzung, Schwarzfahrens und Diebstählen ermittelt wurde. Er hat nach Erkenntnissen der Behörden auch Bezüge zur linken Szene, war aber im Zusammenhang mit politisch motivierten Straftaten noch nicht aufgefallen. Der Mann, der keinen festen Wohnsitz hat, kam am Freitagnachmittag vor den Haftrichter.
Haftbefehl wurde gleichzeitig auch gegen Pascal K. beantragt. Der 20-Jährige, der im Raum Mölln gemeldet ist, ist den Sicherheitsbehörden bislang mehrmals im Zusammenhang mit politisch motivierten Straftaten aufgefallen. Gegen ihn wurde bereits in drei Bundesländern – Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein – wegen Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs, Widerstands, Brandstiftung und schweren Landfriedensbruchs ermittelt. Von den Ausschreitungen an der Breiten Straße soll es unter anderem Videoaufnahmen geben, die ihn bei den Straftaten zeigen. Ob die beiden Männer tatsächlich in Untersuchungshaft genommen werden, stand aber noch nicht fest.
Etwa 35 Menschen bekundeten nach Angaben der Polizei am Freitagabend vor dem Strafjustizgebäude am Sievekingplatz ihre Solidarität mit den Festgenommenen. Die Aktion sei zunächst friedlich verlaufen, sagte ein Sprecher am Abend. Den drei übrigen Festgenommenen konnte nicht nachgewiesen werden, dass sie direkt an den Wurfattacken beteiligt waren. Die 17-Jährige und der 19-Jährige waren bislang nicht polizeilich aufgefallen. Lucas T., 18, ist aber bereits einschlägig wegen Sachbeschädigungen und Hausfriedensbruchs bekannt. Alle drei bleiben mit richterlicher Genehmigung solange in Polizeigewahrsam, bis die Squatting Days am Sonntag beendet sind.
Die Hausbesetzer-Szene gibt sich unwissend: Was an der Breiten Straße passiert sei, wisse man „nur aus der Zeitung“. Auf einer Pressekonferenz am Freitag forderte ein Mann, der sich „Florian Müller“ nennt und aus dem Umfeld der Roten Flora stammt, eine „sofortige Freilassung“ der Festgenommen und die „Einstellung aller Ermittlungen“. Er sprach von einer „Kriminalisierungswelle“ und einem „aufgeblasenen Verfahren“, das von den Squatting Days ablenken solle.
Auch „Peter“ aus dem Camp wollte auf die Vorfälle an der Breiten Straße nicht näher eingehen. Generell finde man Hausbesetzungen „gut“. Mehr noch: „Ich kann die Gewalt nachvollziehen. Schließlich greift die Polizei zuerst gewaltvoll die Menschen im Haus an – da ist die Selbstverteidigung ganz normal.“ Die Squatting Days selbst seien ein „bildungspolitisches Camp, das sich kritisch mit der Stadtentwicklung auseinandersetzt“. Deswegen hält „Hanna“ aus dem Camp die 2000 Euro Nutzungsgebühren, die laut Vertrag mit dem Bezirksamt Altona fällig sind, für „eine Sauerei“. „Ich wünsche mir, dass der Bezirk die Gebühr zurücknimmt“, sagt sie. Für die 2500 Euro Kaution, die der Bezirk für die 6800 Quadratmeter große Fläche im August-Lütgens-Park verlangte, hat der Veranstalter nach Informationen des Hamburger Abendblattes einen Bürgerschaftsabgeordneten gefunden: Es soll sich um Norbert Hackbusch von den Linken handeln.
Im Camp stehen etwa 20 Zelte auf dem Rasen. Zwischen ihnen sind alte VW-Busse geparkt. Bemalte Holzschilder weisen den Weg – ins „Lila-Zelt“ oder in den Kinderbereich. In kleinen Gruppen sitzen viele der etwa 200 Aktivisten zusammen. Im Gras, auf Bierbänken im Zelt oder auf mit Decken gepolsterten Europaletten. Manche von ihnen essen Pizza, andere malen neue Spruchbänder. Am Mittag wird es zum ersten Mal lauter in der ruhigen, friedlichen Gemeinschaft: „Das Haus in Bremen ist noch immer besetzt, die Polizei hat es noch nicht räumen können“, tönt eine Männerstimme blechern durch ein Megafon. Die Aktivisten jubeln bei dieser Nachricht.
Die Polizei ist an der Breiten Straße immer noch mit der Spurensicherung beschäftigt. Insbesondere geht es um Brandsätze, die im Gebäude bereit gestellt waren. Sie sollen den fünf Besetzern zugeordnet werden. Die hatten sich beim Eindringen von Beamten, die über das Dach kamen, auf der Rückseite des Gebäudes abgeseilt und waren unmittelbar danach gestellt worden. Möglicherweise gibt es einen sechsten Hausbesetzer, der aber entkommen ist. Die Festgenommenen selbst hatten keine Angaben zu den Vorwürfen gemacht.
Mehrere Tausend Menschen kamen am Freitagabend zur Roten Flora, die vor fast 25 Jahren besetzt worden war. 400 Besucher erlebten im Saal ein Gratiskonzert der Beginner mit Jan Delay, die übrigen hörten den Auftritt vor der Tür. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe wurden keine Zwischenfälle bekannt. Am heutigen Sonnabend wird im Stadtteil St. Pauli demonstriert: „Kraftvoll und bunt“, soll es laut Organisatoren werden. Angemeldet sind 500Teilnehmer. Die Polizei rechnet mit bis zu 1200 Demonstranten, darunter 200 gewaltbereite Linksautonome.