Sozialsenator Detlef Scheele wollte sich bei seinem Besuch der Sülldorfer Flüchtlingsunterkunft Sieversstücken selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen.

Hamburg. Nach der Begrüßung im Gruppenraum der Flüchtlingsunterkunft Sieversstücken geht Helga Rodenbeck gleich richtig in die Vollen. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) ist zu Besuch und will sich in der Sülldorfer Einrichtung bei Wurst- und Käsebrötchen mal ein Bild von der Lage vor Ort machen. Die ehrenamtliche Helferin aber will über die sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge sprechen, die seit Monaten in Hamburg für ein dauerhaftes Bleiberecht kämpfen.

„Die Stadt hat einen Spielraum“, sagt Helga Rodenbeck, die fordert, dass die Stadt sich bei der Frage nach dem Aufenthalt großzügiger zeigen sollte. Scheele, der dafür ist, dass alle Flüchtlinge gleich behandelt werden sollten, entgegnet: „Man kann die europäische Flüchtlingspolitik doof finden, aber man kann nicht verlangen, dass der Senat gegen Gesetze verstößt.“

Da prallen Welten aufeinander. Bei aller Kritik im Zusammenhang mit dem Lampedusa-Konflikt wurde am Rande des Scheele-Besuchs in Sülldorf auch deutlich, dass die Zahl der Unterbringungsplätze gestiegen ist. Die Stadt hat im Zeitraum von November 2012 bis Ende Oktober dieses Jahres 2651 neue Plätze für Asylbewerber und Wohnungslose in der öffentlichen Unterbringung geschaffen, 800 davon in der Zentralen Erstaufnahme. Bis zum Jahresende sollen weitere 450 Plätze eingerichtet werden. Damit stehen Flüchtlingen und Obdachlosen in Hamburg dann 10.851 Plätze zur Verfügung.

Dafür wurden rund 200 Flächen und Gebäude geprüft. Nicht immer mit Erfolg, weil Anwohner sich im Vorfeld wehrten. So war eine Anliegerin gegen eine Unterbringung am Offakamp (Lokstedt) gerichtlich vorgegangen.

Immerhin sind auf 17 Flächen neue Plätze eingerichtet werden. Bei weiteren 15 Flächen wird die Umsetzung vorbereitet. Alle anderen Grundstücke oder Gebäude waren für andere Zwecke vorgesehen, etwa für Wohnungsbau, oder sie stellten sich als ungeeignet heraus.

Der Bedarf an weiteren Flächen ist wegen der steigenden Flüchtlingszahlen nach wie vor groß. Wie berichtet ist die Zahl der Asylbewerber bis Dezember bundesweit auf 100.000 angestiegen. Das sind gut 68 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl ist unter anderem wegen der vielen weltweiten Krisenherde wie etwa Syrien so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. Entsprechend der aktuellen Prognosen müssen im kommenden Jahr 3700 zusätzliche Plätze für die öffentliche Unterbringung geschaffen werden. Für rund 2500 Plätze sind bereits geeignete Standorte gefunden worden. Für 1200 Plätze steht das aber noch aus.

„Der Ausbau der Plätze für die öffentlich rechtliche Unterbringung stellt eine Herausforderung für einen Stadtstaat wie Hamburg dar, weil freie Flächen rar gesät sind“, sagt Sozialsenator Scheele. Die bisherige Entwicklung stimme ihn jedoch zuversichtlich. „Daran trägt auch das beeindruckende Engagement vieler Hamburger einen Anteil, die sich ehrenamtlich um die Zugewanderten kümmern und ihnen helfen, in Hamburg Fuß zu fassen.“

Eine von ihnen ist Helga Rodenbeck, die vor mehr als 20 Jahren schon den „Runden Tisch Blankenese – Hilfe für Flüchtlinge“ mitgegründet hat. Weil es damals in Blankenese Proteste gegen eine mittlerweile geschlossene Einrichtung für Flüchtlinge gegeben habe. Die 36 ehrenamtlichen Helfer des runden Tisches besuchen regelmäßig die Unterkunft an der Straße Sieversstücken. Zweimal in der Woche komme sie selbst nach Sülldorf, sagt die ehemalige Sozialarbeiterin. „Nein, eigentlich ist sie fast jeden Tag da“, sagt der Nigerianer Ali Musa, der seit fünf Jahren in der Einrichtung lebt.

Er spricht von Frustration, weil er als Asylsuchender abhängig sei und nicht frei entscheiden könne. Er empfinde Hochachtung vor den Helfern und sei ihnen dankbar. „Ihnen ist es völlig gleich, woher wir kommen. Sie geben, und wir können nur nehmen.“ Sein Wunsch sei es, bleiben zu können und eine Arbeit zu finden.

Bleiben will auch Hamid Naderzda. Er erzählt, dass er vor vier Jahren als 15-Jähriger aus Afghanistan geflüchtet ist. Warum, das mag er nicht berichten, deutet nur an, dass Schlimmes passiert sei. Er habe eine jahrelange Odyssee hinter sich. Immer wieder hätten verschiedene europäische Länder versucht, ihn abzuschieben. Er berichtet davon, dass er auf der Flucht auf der Straße geschlafen habe. Vor neun Monaten ist er in Sülldorf untergekommen. Er lernt die deutsche Sprache und spricht sie mittlerweile recht gut. Er will studieren. Was genau, das weiß Naderzda noch nicht.

Derzeit leben in der Sülldorfer Siedlung 300 Menschen, 260 Flüchtlinge und 40 Wohnungslose. Kommendes Jahr wird sie ausgebaut. Dann sollen dort 260 zusätzliche Plätze geschaffen werden. Und erstmals auch Wohnungen, in denen Familien mit ihren Kindern leben können, damit sie sich die Unterkünfte nicht mit anderen teilen müssen. Helga Rodenbeck erwartet keine Proteste: „Weil wir viel für die Akzeptanz erreicht haben.“