Köchinnen gelten als besonders talentiert - doch Karriere machen andere: In Deutschlands Sterneküchen regieren Männer.
Es ist im Zeitalter der Gleichberechtigung eigentlich unfassbar: Gerade mal in fünf von 255 deutschen Sternerestaurants hat eine Frau das Sagen. Sieht man von der katholischen Kirche ab, die wenigstens offen zu ihren Prinzipien steht, haben sogar die Wiener Philharmoniker im Verhältnis zum Gesamtpersonal mehr Frauen an ihren Notenpulten, als Frauen in deutschen Spitzenrestaurants den Ton angeben. Und Hamburg, das einst mit zwei weiblichen Koch-Stars die Nase vorn hatte, reiht sich wieder in den männlichen Mainstream ein, nachdem Cornelia Poletto und Anna Sgroi beschlossen haben, neue und noch unbesternte Wege zu gehen.
Woran liegt es, dass es in deutschen Top-Küchen so wenige Frauen auf den Chefpositionen gibt? "An ihrem Können jedenfalls nicht", sagt Thomas Martin, der gerade die zwei Michelin-Sterne für Jacobs Restaurant im Hotel Louis C. Jacob verteidigt hat, "bei mir sind sieben Frauen unter den 32 Köchen, ich hab viel mit Frauen gearbeitet. Die können ganz schön Gas geben. Und sind nicht weniger kreativ, nicht weniger belastbar." Michael Mittelberger, Fachlehrer an der Gewerbeschule für Gastronomie und Ernährung und Vorsitzender des Fachverbandes im Kochklub Gastronom, sieht das genauso: "Bei unseren Auszubildenden gibt es zwar nur 20 Prozent Mädchen. Aber die sind oft besser qualifiziert, mehr von ihnen haben Abitur. Sie sind den Jungs oft eine Nase voraus, räumen bei Wettbewerben ab und wissen genau: Das ist mein Beruf, und sie geben Vollgas. Die vier letzten Jahrgangsbesten waren weiblich." In den Förderklassen für besonders Begabte stellen die Mädels immerhin ein Drittel der Lernenden.
In deutschen Restaurant-Küchen sieht es allerdings wieder anders aus: Hier liegt das Verhältnis von Männern zu Frauen etwa bei 10:1. Kochen ist immer noch eher ein Männerberuf. Douce Steiner, gerade zu Deutschlands einziger Zwei-Sterne-Köchin ernannt, die den "Hirschen" ihres Vaters in Sulzburg im südlichen Schwarzwald übernommen hat, erinnert sich, dass sie als Auszubildende in einem französischen Sterne-Restaurant die einzige Frau unter 45 Kerlen war. "Da wurde man schon kräftig gepiesackt, manchmal war das richtig unangenehm. Aber man lernt eben auch, sich durchzubeißen."
Doch Durchbeißen ist eher Männersache. Anna Sgroi schließt ihr Restaurant Sgroi in St. Georg zum Jahresende, verliert ihren einen Michelin-Stern dadurch und eröffnet ein neues Restaurant in Pöseldorf. Sie hat über Jahre beobachtet: "Meine Köchinnen arbeiten sehr genau und perfekt, so, wie ich das sage. Sie sind ein bisschen langsamer und zurückhaltender. Männer wollen eher nach vorne. Sie haben andere Prioritäten und tendieren dazu, eigene Ideen reinzubringen. Und unbewusst auch dazu, über die Kolleginnen zu bestimmen." Das kennt auch Douce Steiner: "Männer sind konkurrenzbetonter, Frauen gar nicht, die machen einfach ihr Ding. Ganz konsequent." Und noch immer, sagt Douce Steiner, "müssen Frauen sehr viel mehr leisten als ein Mann, um als gleichwertig betrachtet zu werden".
Dass auch die Arbeitsbedingungen in den Küchen hart sind, ist kein Geheimnis. "Große Küche ist Schwerstarbeit!", heißt es in einem Blog, in dem sich Köche austauschen. "12 bis 16 Stunden auf den Beinen, schwere Töpfe und Lasten bewegen, Hitze, Küchendunst, kaum Freiraum, keine Zeit für die Familie, da liegt der Hase im Pfeffer." Ein anderer sagt: "Man muss grundsätzlich an Feiertagen und am Wochenende arbeiten, aber es macht mir Spaß! Leider kann ich meine Freunde selten sehen, weil die entgegengesetzte Arbeitszeiten haben." Und wie überall gilt: Wer gut ist, hat bald nicht weniger, sondern mehr Arbeit, er wird wichtiger im Team und immer häufiger gefragt, wenn es um große Aufgaben geht. Der Hamburger Sternekoch Christian Rach hat sein Tafelhaus im September 2011 geschlossen. Er wollte sein Arbeitspensum von 80 auf 50 Stunden in der Woche senken.
Wochenend- und Feiertagsarbeit sind, sagen Küchenchefs, kaum durch Schichtpläne auszugleichen. An den ausgedehnten Arbeitszeiten scheitern oft Beziehungen und auch Ehen. Viele Frauen weichen deshalb auf Arbeitsplätze mit kalkulierbareren Arbeitszeiten aus - etwa in Betriebskantinen. Man muss in der Küche ein dickes Fell haben, da häufig ein rauer Umgangston herrscht, was nicht alle vertragen. Thomas Martin sagt: "Wenn das Restaurant voll besetzt ist, der eine Tisch dreimal Hummer ordert und an einem anderen große Menüs mit etlichen Änderungen bestellt sind, kann nicht diskutiert werden. Dann wird wenig geredet, knapp." In einem Berufsbild für angehende Köche heißt es: "Kochen ist Adrenalin pur: Stress, Geschwindigkeit, Genauigkeit, Flexibilität, Zeitdruck, Kreativität - Kochen ist Leidenschaft!"
"Die Jungs benehmen sich besser, wenn Frauen dabei sind", sagt Martin. "Der Ton ist manchmal schwierig", sagt Douce Steiner aus Erfahrung, "bei uns aber nicht. Vielleicht ist das auch ein bisschen der weibliche Führungsstil."
Vor allem sind es wohl die Arbeitszeiten, deretwegen Frauen nicht in die Top-Riegen des Berufs drängen. "Wenn es um Familienplanung und Kinder geht, dann ist das für eine Köchin nur schwer mit diesem Beruf vereinbar", sagt Christoph Rüffer, Zwei-Sterne-Küchenchef des Haerlin im Hotel Vier Jahreszeiten. Noch immer greift eher das alte Rollenmodell, nach dem die Frau sich um die Kinder kümmert und den Beruf aufgibt, während der Mann sich auf die Frau verlässt und weiter Karriere macht. Was allerdings auch keine Garantie für ein heiles Familienleben ist, wie viele Köche leidvoll erfahren. Am besten, sagt Sterne-Köchin Douce Steiner, Mutter einer 13 Jahre alten Tochter, könne man Familie und Sterneküche im eigenen Haus vereinbaren.
Michael Mittelberger, der Lehrer der Jung-Köche, sieht allerdings noch einen anderen, eher überraschenden Grund für den geringen Frauenanteil in den Top-Küchen: "Für viele junge Frauen ist diese Ausbildung von Anfang an ein Sprungbrett. Sie beißen sich durch, wollen da ihren Mann stehen, wechseln dann aber zum Beispiel ins Hotelfach, wollen Direktorin werden, oder sie gehen in die Tourismusbranche. Dort gelten sie, wenn sie die Küche hinter sich haben, als erwiesenermaßen belastbar, als gut organisiert, als präzise. Sie sind eben durchs Feuer gegangen."
Das Können der jungen Köchinnen hat sich in der Sternegastronomie längst herumgesprochen, sodass dort eher mehr als die üblichen zehn Prozent Frauen in der Küche arbeiten. Letztlich braucht es aber offenbar doch eine Küchenchefin, bevor Frauen in dem Maß an Sterne-Herden zu finden sind, das ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Bei Douce Steiner etwa besteht die Crew aus fünf Männern und fünf Frauen, bei Anna Sgroi steht im Fünfer-Team gar nur ein männlicher Kollege.
Dabei haben Frauen schon in den Anfangszeiten des Guide Michelin Maßstäbe gesetzt. Einen, zwei oder drei Sterne lässt der Restaurantführer seit 1926 über herausragenden Küchenleistungen strahlen. 1933 wurden zum ersten Mal Restaurants in Frankreich mit drei Sternen ausgezeichnet. Und gleich zwei Frauen wurde damals bestätigt, dass sie auf dem allerhöchstem, auf Drei-Sterne-Niveau kochen. Das waren Eugenie Brazier, die die Sterne für ihr Restaurant in Lyon 33 Jahre lang verteidigt hat, und Marie Bourgeois vom La Mère Bourgeois in Priay. Eugenie Brazier führte über viele Jahre sogar gleich zwei Top-Restaurants, was weltweit nur drei weiteren - männlichen - Köchen gelungen ist. Bei ihr lernte auch der junge Paul Bocuse die Geheimnisse der Sterneküche.
Was den Gästen entgeht, wenn zu wenige Frauen am Herd stehen? Man ahnt es, wenn Anna Sgroi mit sizilianischer Leidenschaft erzählt, wo die wahren Unterschiede zwischen Mann und Frau liegen: "Frauen kochen mehr aus dem Bauch heraus, und sie haben schon mehr Gefühl, einen Teller geschmackvoll anzurichten." Bei vielen Sterneküchen, sagt sie, sehe man, dass dort ein Mann Küchenchef ist. "Da werden viel mehr Zutaten verwendet, das geht alles mehr vom Kopf aus. Frauen kochen weniger, um etwas zu beweisen, sie sind ja von sich überzeugt und machen die Dinge deshalb bewusst schlichter. Der Körper und die Seele brauchen eine erstklassige, aber einfache Küche. Ich koche nicht für die Sterne, sondern für meine Gäste." Ein kompromissloses Fazit. Typisch Frau.