Hamburg. Torsten Ewald, der bei Blohm + Voss kocht, trifft Sternekoch Heinz Wehmann aus dem Landhaus Scherrer.

Beide kochen aus Leidenschaft. Beide haben ihren Beruf an der Basis erlernt. Beide sind Profis – in der Küche kampferprobt. Dennoch können die Aufgaben der „Zwei vom Herd“ unterschiedlicher kaum sein: Torsten Ewald ist auf der Werft Blohm + Voss in Steinwerder für die Betriebsverpflegung verantwortlich. Werktags gibt er in der Firmenkantine rund 450 Essen aus. Heinz Wehmann wirkt als Chef im Landhaus Scherrer an der Elbchaussee vis-à-vis auf der anderen Seite des Flusses. Von Montag bis Sonnabend kommen in dem renommierten Sterne-Restaurant jeweils zwischen 30 und 60 Gäste auf ihre Kosten.

Hier wie dort ist es eine Kunst, die Kundschaft zufriedenzustellen. Beides hat seinen Preis, mal mehr, mal weniger. Der eine kocht ab 4,10 Euro je Gericht, der andere für ein Vielfaches. Hauptspeisen kosten zwischen 28 und 40 Euro. Der eine kauft tonnenweise ein, der andere handverlesen. Beim einen essen die Gäste meist im Blaumann, beim anderen in der Regel mit Jackett und oft auch Krawatte. Der eine unterhält vier Kühlhäuser in Seecontainern, der andere zwei zehn Quadratmeter große Kühlräume. Grundsätzlich ist Frische Trumpf.

Der Holsteiner Ewald und der Westfale Wehmann: Jeder der beiden Chefköche ist ein Meister in seinem Metier. Jeder hat seine ureigene Art, seine individuelle Persönlichkeit, seine Würde und seinen Stolz. Der eine hat noch nie in einem Hamburger Sterne-Restaurant gegessen, der andere noch nie in einer Betriebskantine. Trotz unterschiedlicher Vorzeichen gibt es Gemeinsamkeiten. Interesse und Verständnis überwiegen. Berührungsängste? Fehlanzeige.

Kommunikation gehört zum Geschäft. Hüben wie drüben. Auf Initiative des Abendblatts haben sich beide an einen Tisch gesetzt. Es ist eine Premiere. In der Scherrer-Vinothek, bei Kaffee, Kuchen des Hauses und selbst gemachten Pralinees, kommen sich beide Seiten näher. Die Hand auszustrecken, im wahrsten Sinn des Wortes, den Blick über den Tellerrand zu richten, frei von Scheuklappen Neues zu erfahren: Typisch hamburgisch ist das.

„Der Respekt vor dem Produkt ist ein hohes Gut“, bringt Kantinenchef Torsten Ewald seine Berufsphilosophie auf den Punkt. Auch in den Arbeitspausen könne Essen ein Genuss sein. Sein Ziel sei es, die Kollegen Stammgäste Tag für Tag neu zu begeistern – mit pfiffigen Gerichten passend zur Saison, trotz begrenzten Etats. „Wir setzen auf die norddeutsche Hochküche“, sagt Sternekoch Wehmann. „Die Kunst ist es, aus einfachen Produkten interessante Gerichte zu kreieren.“ Schlüsselwort: nachhaltiger Genuss.

Unter welchen Vorzeichen auch immer: Speisen ist Labsal für die Seele. Diese Sprache verstehen beide Seiten. Es geht keinesfalls um Kollegen erster oder zweiter Klasse, nicht um besser oder schlechter, da herrscht Einigkeit, sondern um anderes. Einheitlicher Tenor: Jeder hat seine Aufgabe, ein jeder weiß um seinen Wert. Und einer wie der andere muss marktwirtschaftlich operieren. Zuschussgeschäfte gibt’s nicht.

In Stichworten skizziert Ewald seine Aufgaben. Die Kantine bei Blohm + Voss ist von 6.15 Uhr bis 13 Uhr geöffnet. Ihr Name ist Programm: „Food & Emotion“. Hinzu kommen drei Kioske auf dem Werksgelände, 18 Verpflegungsautomaten, Konferenz- und Veranstaltungsservice sowie das Casino Lotsenhöft für den Vorstand und internationale Gäste. 20 Mitarbeiter sind beschäftigt, davon vier Köche. Für die Zubereitung stehen sechs variable Herdplatten („Elefantenfüße“), 30-Liter-Töpfe, zwei Kipp-Bratpfannen à 100 Liter Fassungsvermögen und zwei große Kombidämpfer zur Verfügung.

Im Landhaus ist alles eine Nummer kleiner. „Bitte schön“, sagt Wehmann und weist seinem Kollegen den Weg in die Küche nebenan. Gekocht wird auf Induktionsherden und in einer 65 Liter fassenden Kippbratpfanne. In den Regalen stehen gut und gerne 80 kleine Kochtöpfe. Mittags und abends sind im Wechsel 30 Mitarbeiter im Einsatz, davon 15 Köche. Die Kochquote in etwa: 1:110 in der Betriebskantine, 1:3 im Landhaus. Bei Blohm + Voss haben die Gäste in ihrer Pause maximal 30 Minuten Zeit zum Essen, bei Scherrer kann sich ein Abendmenü schon mal über zwei, drei Stunden hinziehen. Erstaunlicherweise sind beide Küchen fast gleich groß: 140 Quadratmeter auf der Werft in Steinwerder, 150 an der Grenze zwischen Othmarschen und Ottensen.

Sonst sind Voraussetzungen und Ansprüche verschieden. Die beiden Chefköche erreichen Betriebstemperatur. Wehmann sinniert über den „Gaumengenuss als emotionalen Moment“. Sein persönliches Leibgericht: Hamburger Plockfinken, verschiedene Bohnensorten und Gemüse, mit Zanderfilet. „Im Arbeitsalltag spielt Geld eine große Rolle“, weiß Ewald. Während die Leute in einem Alstercafé klaglos um 3,50 Euro für einen Cappuccino zahlen, sind 80 Cent für einen Kantinenkaffee manchmal schon zu viel. Weiterer wesentlicher Unterschied: In der Firma nehme der Gast Stress und Emotionen an den Essenstisch mit, im Restaurant schalte er auf Freizeitmodus und sei entspannter.

„Was kaufen Sie so ein?“, will Wehmann von seinem Gegenüber wissen. „Wir kochen täglich frisch“, schickt Ewald voraus. Pro Monat werden rund 3000 Kilo Kartoffeln, Reis oder Nudeln eingekauft, 1000 Kilo Gemüse, 600 Kilo Salat, 800 Kilo Fleisch und 200 Kilo Fisch. Lieferanten sind zum Beispiel Rewe, norddeutsche Großhändler, die Deutsche See und das Backhus. Auf der wöchentlich wechselnden Karte stehen feste Gerichte zwischen 4,10 und 5,90 Euro sowie ein Tipp des Tages um 4,50 Euro. Auch eine Salatbar ist im Angebot.

Im Scherrer summiert sich die Ware ebenfalls beträchtlich. Jetzt im April stehen unter anderem 150 Enten vom Bio-Bauernhof, 60 Kohlrabi, 125 Kilo Fisch vom Feinsten, 50 Kilo Kalbsfilet und 50 Stubenküken auf dem Zettel. Die Produkte stammen überwiegend von kleinen Landwirten in der Region. Man kennt sich seit Jahren. Hauptspeisen im Restaurant kosten im Schnitt 28 bis 40 Euro; das Klassiker-Menü mit vier oder fünf Gängen wird für 86 beziehungsweise 109 Euro angeboten.

Das Tête-à-Tête in der Küche mit nahrhaftem Gedankenaustausch ist beendet: In der Vinothek locken feine Pralinen. Torsten Ewald hält sich zurück, gilt es doch, eine Privatwette zu gewinnen. Geht er oft ins Restaurant? Maximal dreimal im Monat. Zu Hause in Winterhude kocht er selten, wenn, „etwas Schnelles“. Notfalls reicht ein Leberwurst- oder Nutellabrot. Leibgericht sind Senfeier mit Kartoffelpüree.

Heinz Wehmann profitiert von der direkten Nähe zwischen Geschäft und Privatwohnung: Gemeinsame Mahlzeiten mit der Familie und Mitarbeitern in der Galerie im ersten Stock sind feste Rituale. Unterm Strich dominiert Harmonie. „Wir kochen alle nur mit Wasser“, bilanziert Torsten Ewald.