Cornelia Poletto, Anna Sgroi und Christian Rach gaben die Jagd auf Gastro-Auszeichnungen auf. Wie Sterne prominente Köche spalten.

Hamburg. Christoph Rüffer kann sich keinen anderen Beruf vorstellen. Karlheinz Hauser fühlt sich bestätigt, und Anna Sgroi ist tiefenentspannt – am Herd. Die Dame und die beiden Herren sind Sterneköche in Hamburg, sie beherrschen ihr Handwerk perfekt. Wie viele Kollegen in der Hansestadt auch empfinden sie die Auszeichnung des französischen Reiseführers "Guide Michelin" als Lob und Motivation.

Aber es gibt auch eine andere Sichtweise. Die Zahl der Köche steigt, die ihr Restaurant bewusst schließen und sich dem Sterne-, Hauben- oder Kochlöffel-Regime nicht mehr unterwerfen möchten. Für sie ist die Prämierung eher Fluch denn Segen.

Seit einem Jahr betreibt Anna Sgroi ihr gleichnamiges Restaurant in Pöseldorf, nachdem sie zehn Jahre lang an der Langen Reihe ansässig war. "Aber die Lage dort war nicht gut, und der Mietvertrag lief aus."

Als sie im November für ihren jetzigen Betrieb wieder einen Michelin-Stern bekam, hatte Sgroi den Beweis, dass "ich einfach weiterkochen muss". In einem Restaurant, das sie mit 45 Plätzen klein, persönlich und individuell führt. "Natürlich sorgt der Stern für entsprechendes Publikum", sagt die 55-Jährige. "Aber ich mache mir keinen Kopf."

Da geht es manchen Kolleginnen und Kollegen ganz anders. Über den Druck, das Niveau zu halten und die hohen Kosten für Produkte, Tischwäsche, Geschirr, Blumenschmuck oder Personal spricht niemand in der Branche gern, schon gar nicht mit Nennung seines Namens oder des Restaurants.

Und erst recht nicht über die Angst, ob der Laden auch morgen ausgebucht ist oder die teuren Zutaten weggeworfen werden müssen. Und so ist dann mancher Küchenkünstler froh, wenn der Mietvertrag für das Lokal ausläuft und die Chance auf einen Neuanfang ohne Stern besteht.

Gerade erst entschlossen sich Gerald Zogbaum und Angela Gnade, ihr besterntes Restaurant "Küchenwerkstatt" auf der Uhlenhorst aufzugeben. Sie könnten sich dort nicht mehr entwickeln, argumentieren die Gastronomen und wollen mit verändertem Konzept an anderer Adresse neu beginnen.

Den Stern aufgeben

Die Michelin-Auszeichnung aufzugeben macht auch frei. Christian Rach etwa schloss im September 2011 das "Tafelhaus" am Hafen, weil er nicht mehr 80 Stunden in der Woche arbeiten wollte. Derzeit ist er das Gesicht bei "Rach tischt auf" im ZDF.

Cornelia Poletto machte Ende 2010 in ihrem Restaurant "Poletto" Schluss. Ein halbes Jahr später eröffnete sie unter ihrem Namen einen Feinkostladen mit angeschlossenem Restaurant. Außerdem kocht die 42-Jährige auch im Fernsehen.

"Ich wollte es einfach lockerer und entspannter", sagt die Köchin. "Auch wenn ich jetzt mehr Arbeit habe als vorher und das nicht so geplant hatte. Aber nun kann ich machen, was ich will. An einem Tag halbe Hähnchen zubereiten und am nächsten Tag ein Sieben-Gänge-Menü kochen."

Sie sei immer noch ein Fan der gehobenen Küche und der guten Produkte, aber mit ihrem jetzigen Betrieb wolle sie nicht die Idee eines Sterne-Restaurants erfüllen, sagt Poletto. "Ich möchte einfach schön kochen und glückliche Gäste haben."

Anna Sgroi verspürt keinen Druck

Anna Sgroi hält seit 1991 die Michelin-Auszeichnung in ihren verschiedenen Restaurants. "Ich verspüre keinen Druck", sagt die Grand Dame unter den Hamburger Sterneköchen. Sie koche mit Leidenschaft und unterwerfe sich nicht mehr schnelllebigen Trends. "Ich bin glücklich und dankbar für meinen einen Stern. Es geht um Zufriedenheit bei meinen Gästen und mir."

Exzellente Produkte, schlicht bearbeitet sind seit jeher ihr Credo. Und die Gäste wissen, dass sie bei Anna Sgroi Spaghetti Bolognese vergeblich auf der Karte suchen. Dafür ist immer mal wieder gedünsteter Loup de Mer mit Spinatblättern und Artischocken-Farce im Angebot. "Das Gericht koche ich seit 18 Jahren", sagt die Chefin. Privat isst sie gern asiatisch.

Unbestritten ist in der Branche, dass es kleine Einzelrestaurants schwerer haben, kontinuierlich die zahlungskräftige Kundschaft an den Tisch zu bitten, als ausgezeichnete Speisestätten, die zu großen und renommierten Hotels gehören.

Kevin Fehling hat sich drei Sterne erkocht

Kevin Fehling etwa gibt seit neun Jahren den Geschmack im Restaurant "La Belle Epoque" im "Columbia Hotel Casino" in Travemünde vor. Zwischen 2008 und 2013 hat sich der heute 36-Jährige drei Michelin-Sterne erkocht und ist damit der einzige norddeutsche Küchenkünstler mit so vielen Auszeichnungen. "Das ist sehr sportlich", sagt Fehling.

Mittlerweile sind seine kulinarischen Kreationen wie zum Beispiel Kassler und Auster mit gefrorenem Senf international so bekannt, dass viele Gäste von außerhalb explizit zum Essen in das Travemünder Restaurant kommen und dann natürlich im Hotel übernachten. "Es ist schon beruhigend, wenn ein Hotel im Hintergrund existiert."

Sterneköche arbeiten oft mit Hotels zusammen

Auch die drei Köche, die in Hamburg mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet sind, arbeiten mit Hotels zusammen: Thomas Martin ist Küchenchef in "Jacobs Restaurant" im Hotel "Louis C. Jacob", Karlheinz Hauser wirkt im "Seven Seas" auf dem Süllberg, und Christoph Rüffer ist Chef der Küchenbrigade im "Haerlin" im Hotel "Vier Jahreszeiten".

Dank Rüffers Kochkunst wurde das "Haerlin" vom "Feinschmecker" zum "Restaurant des Jahres" ausgezeichnet. "Qualität braucht immer vollen Einsatz und Engagement, egal ob das Restaurant in einem Hotel liegt oder nicht", sagt er.

Der 41-Jährige bemängelt, dass sich etwas zu gönnen und Essen mit Genuss zu verbinden, in Deutschland immer noch zu wenig verbreitet ist. "Viele gehen drei- oder viermal zu einem mittelmäßigen Italiener oder Griechen und geben genauso viel Geld aus, als wenn sie sich einmal einen Besuch in einem Sternerestaurant leisten würden. Essen hat mit Freude an Geschmack und einem nicht alltäglichen Rahmen zu tun."

Klassische Sterne-Gastronomie ist zu aufwendig

Karlheinz Hauser hält den Effekt der elf Zimmer und Suiten auf dem Süllberg sogar für vernachlässigenswert. "Wir haben auch noch einen Biergarten, die Almhütte, den Ballsaal für große Veranstaltungen, das Restaurant ,Deck 7'." Außerdem kocht der 47-Jährige regelmäßig beim "ARD-Buffet" und bietet Catering an.

"Betriebswirtschaftlich sind mehrere gastronomische Bausteine für verschiedene Anlässe und Geschmäcker sehr wichtig. Ich möchte nicht jeden Tag Sterne-Küche essen, sondern ab und an auch mal ein Grillhähnchen."

Auch Horst Rahe favorisiert jetzt einen Betrieb ohne Sterneküche. Der Gründer und Geschäftsführer der Hotelkette A-Rosa setzt in seinem Ferienresort auf Sylt seit Kurzem nicht mehr auf die Michelin-prämierte Kochkunst in den Restaurants. "Wir wollen auch diese Restaurants für ein breiteres Publikum öffnen und die Schwellenangst nehmen", sagt der Hamburger Hotelier.

Es sei nicht mehr zeitgemäß, wenn immer drei Kellner um den Gast herum stünden und "irgendwelche aufgestellten Möhren unter Hauben servieren", sagt Rahe. Und der 74-Jährige hat festgestellt: "Die klassische Sterne-Gastronomie ist viel zu aufwendig von den Kosten her."

Ronny Siewert sieht das nicht so. "Die Tischkultur und Steifheit in der Sterne-Gastronomie haben sich verändert", sagt der 35-Jährige, der mit einem Stern im Restaurant "Friedrich Franz" im Grandhotel "Heiligendamm" an der mecklenburgischen Ostseeküste kocht. "Der Gast wird nicht mehr überfordert, er kann sich entspannen und eine Karte aufschlagen, ohne dass gleich zehn Gläser umfallen. Man möchte einen schönen Abend verbringen und nicht gucken, ob die Krawatte richtig sitzt."

Sterneküche ist eine Art Werkstatt

Christoph Rüffer aus dem "Haerlin" kann sich nicht vorstellen, ein besterntes Restaurant zu schließen. "Es wird doch nicht mehr Druck. Natürlich darf man sich nicht ausruhen, sondern muss das Niveau halten. Aber ich muss den Laden ja nicht wahnsinnig aufrüsten, denn es wird doch das Bestehende bewertet und prämiert."

Auch Karlheinz Hauser hält seine zwei Sterne für einen Segen, der natürlich Geschäft und Umsatz bringe. "Die Leute kommen extra zu uns raus, um unsere Kreationen zu genießen und ungewöhnliche Dinge auf dem Teller zu haben." Schließlich sei Sterneküche so etwas wie ein Labor oder eine Werkstatt.

Bleibt die Frage, TV-Präsenz ja oder nein. Bis auf den Süllberg-Chef treten die Hamburger Sterneköche nicht im Fernsehen auf. Sie kochen in ihren Restaurants und sonst nicht. Sie entwerfen keine Bratpfannen, stellen keine Würzmischungen zusammen, halten keine Kochschule für einen Lebensmittel-Discounter ab.

Sie konzentrieren sich auf ihre Aufgaben am Herd und wissen, dass die Gäste nach dem Genuss auch gern ein paar anerkennende Worte mit dem Meister wechseln möchten. Wenn der aber gerade im Fernsehen eine Soße abschmeckt oder während einer Bühnenshow mit den Töpfen jongliert, dann geht das schlecht zusammen und führt vielleicht dazu, dass der eine oder andere Gast sein Geld künftig in anderen Lokalen ausgibt.

Die eigene Handschrift perfektionieren

Anna Sgroi möchte einfach und entspannt kochen, Christoph Rüffer den Gästen "gleichbleibende bestmögliche Qualität" servieren und Karlheinz Hauser mit seiner achtköpfigen Küchenbrigade weiterhin an einem Strang ziehen. Beide Köche streben nicht unbedingt nach dem dritten Stern. Aber wenn er denn verliehen wird, lehnen sie ihn bestimmt nicht ab.

Kevin Fehling hat diese Michelin-Höchstnote bereits auf dem Koch-Konto. Was kann für ihn, der nach eigener Aussage den "Hokuspokus der Sterne-Gastronomie liebt", noch kommen? "Ich möchte meine eigene Handschrift weiter perfektionieren. Und es ist auch eine Herausforderung, die drei Sterne zu halten."