Ottensen. Boris Kasprik hat bei den besten Köchen der Welt gelernt. Aus einer alten Kneipe in Ottensen machte er das schicke Petit Amour.

Boris Kasprik kann sich noch gut an die Zeiten erinnern, als er sich sonnabends öfter mal mit seinem besten Freund getroffen hat. Meistens lag die Stadt dann noch im Dunkeln. Die beiden sind ganz früh morgens in Hamburg in ihren alten VW-Bus gestiegen, und wenig später ging es rauf auf die Autobahn. Während Freunde und Bekannte an Nord- oder Ostsee düsten, um am Strand die Wellen zu zählen und abends Party zu machen, zog es Boris zu den Sternen.

Die Ziele waren Düsseldorf und München, der Schwarzwald und die Pfalz. Sie saßen stundenlang in ihrem klapprigen Gefährt, um dann irgendwo in der Republik den Parkplatz eines feinen Restaurants anzusteuern. Die besten Köche des Landes waren ihnen jede Strapaze wert.

Gebratener Steinbutt mit Charlottenpueree.
Gebratener Steinbutt mit Charlottenpueree. © Andreas Laible

Sie wechselten hinten im Auto ihre Klamotten, zogen ein frisches Hemd und ein Jackett an, betraten das Lokal und bestellten erwartungsvoll das Acht-Gänge-Menü. Sie aßen Hummer und Trüffeln, tranken dazu die besten Weine, und den Abschluss bildete jedes Mal eine wundervolle Dessert-Kreation. Sie hatten monatelang für diesen einen Abend gespart. „Für das Geld, das wir in drei Stunden ausgegeben haben“, sagt Boris, „sind andere zehn Tage lang in ein tolles Hotel in die Türkei geflogen – all inclusive.“

Boris Kasprik ist ein freundlicher junger Mann. Er lächelt stets, wenn er leise seine Geschichten erzählt. Er strahlt Ruhe aus, weit weg von Verrücktheit, Aufschneiderei und Übertreibung. Und er hat einen Plan.

Jetzt stürzt sich Boris in ein Abenteuer, dessen Ausgang völlig ungewiss ist. Aber er hat alles dafür getan, damit diese Geschichte gut ausgeht. „Ich habe mich eigentlich immer hochgearbeitet“, sagt Boris. Er will hoch hinaus. Höher als viele andere. Er will in die Erste Liga. Bis zu den Sternen? Vielleicht. Aber wie wird man Sternekoch? Und warum will man das werden?

Mit 13 Jahren entdeckte Boris seine Leidenschaft fürs Kochen

Die Geschichte der Sterne-Gastronomie ist mehr als 100 Jahre alt. Und sie hatte ganz am Anfang, im Jahr 1900, mehr mit Rädern und Motoren als mit Rinderfilet und Mousse au Chocolat zu tun. Der Michelin-Führer war anfangs ein reiner Werkstatt-Wegweiser des französischen Reifenherstellers für damals nicht einmal 3000 Autofahrer in Frankreich. Erst ein Vierteljahrhundert später kamen nach und nach Hotel- und Restaurant-Tipps dazu, und mittlerweile erschien der kostenpflichtige Guide Michelin auch in Belgien, Deutschland und der Schweiz.

1936 wurde dann die bis heute gültige Definition der Michelin-Sterne eingeführt. Ein Stern bedeutet: „Eine sehr gute Küche: verdient besondere Beachtung.“ Zwei Sterne heißt: „Eine hervorragende Küche: verdient einen Umweg.“ Drei Sterne sind der Ritterschlag: „Eine der besten Küchen: ist eine Reise wert.“

Als der Österreicher Eckart Witzigmann 1980 als erster deutschsprachiger Koch – und überhaupt erst dritter Koch außerhalb Frankreichs – für das Aubergine in München drei Sterne bekam, war Boris Kasprik noch nicht geboren.

Fünf Jahre später kommt er in Hamburg zur Welt und besucht später hier die Rudolf-Steiner-Schule. Als er acht Jahre alt ist, stirbt seine Mutter Inge Kasprik. Boris und seine Schwester Natja kommen zu Pflegeeltern nach Itzehoe. Boris sagt: „Die hatten nicht so das Verhältnis zu Genuss und zum guten Essen.“ Sie sind außerdem strenge Vegetarier. Vielleicht ist das der Grund, warum Boris mit 13 Jahren eine Leidenschaft für das Kochen entdeckt, die ihn nicht wieder loslassen wird. Die ihn ständig antreibt und auch ein bisschen hoffen lässt, dass seine Kochkunst vielleicht auch einmal viele Menschen zu einem Umweg veranlassen wird.

Während seiner Schulzeit macht Boris ein Praktikum im Jena Paradies bei den Deichtorhallen. Nach dem Hauptschulabschluss überredet er die beiden Chefs Carlo Bessler und René Bütefisch, ihm eine Lehrstelle zu geben. Er bekommt sie.

Drei Jahre dauert die Ausbildung. Er lernt das Handwerk. Nicht aus Büchern, sondern am Objekt. Beilagen wie Nudeln oder Spätzle werden hier selbst gemacht. „Wir haben Rinder auseinandergenommen und gelernt, welche Stücke kurz gebraten, welche geschmort oder gekocht werden können.“ Er lernt, wie sich die Faserstrukturen der Tiere auf den Geschmack auswirken und was das für die Zubereitung bedeutet.

Danach zieht er in die Welt hinaus. Er will in die besten Restaurants auf dem Globus. Er will alles über die französische und die asiatische Küche erfahren. Er will in die Erste Liga.

Der Ton in den Küchen ist rau und laut, die Arbeitszeiten sind an der Schmerzgrenze, die Bezahlung reicht gerade zum Überleben. So manches Mal, sagt Boris, habe er in diesen Lehrjahren vor Wut geweint.

Bei Alain Ducasse auf dem Eiffelturm lernt er, dass das Produkt Vorrang hat

Da fliegen schon mal die Zwiebeln und auch anderes Gemüse durch die Küche. Der Leistungsdruck ist groß. Zwölf bis 16 Stunden Arbeit am Stück sind normal. Einmal zieht Boris dieses Pensum zwei Wochen lang durch. Und ein anderes Mal, erzählt er, habe er in Paris drei Tage lang 19 Stunden am Stück gearbeitet. „Bis die Füße blutig waren.“ Er macht das auch, um sich die Reisen zu weiteren Ausbildungsstätten im Ausland zu finanzieren.

In Belgien verdient Boris 850 Euro im Monat. Zehn Jahre ist das jetzt her. Davon muss er 450 Euro Miete für ein fünf (!) Quadratmeter großes Zimmer in Brügge bezahlen. Toilette und Dusche befinden sich auf dem Flur. „Wenn das Restaurant im Sommer vier Wochen Betriebsurlaub hatte, gab es keinen Lohn“, sagt er. Boris isst damals in seinem kleinen Kabuff sehr oft Miracoli. „Für 1,99 Euro.“

Fehler in der Küche werden kaum verziehen. Und sind auch nicht wiedergutzumachen. „Wenn ich nicht aufgepasst habe und der Fisch übergart ist“, sagt er, „hieß das, dass am Ende die Gäste darunter zu leiden hatten. Weil dann nämlich der enge Zeitplan, in dem die Gerichte serviert werden müssen, durcheinandergeriet.“ Eine mittlere Katastrophe für jedes Restaurant, das etwas auf sich hält und davon lebt, dass der Gast zufrieden ist, wiederkommt und seine guten Erfahrungen vor allem an Freunde und Bekannte weitergibt.

In der Küche gibt es deshalb nur ein Tempo: Alles muss zack, zack gehen. „Eigentlich hängst du immer hinterher“, sagt Boris.

Aber gleichzeitig, findet er im Rückblick, seien die Teams in den Küchen rund um den Globus für ihn auch immer so etwas wie ein Familienersatz gewesen.

Boris arbeitet bei Küchenchef Geert­ van Hecke in Brügge im De Karmeliet – drei Sterne. Bei Jean-Claude Bourgueil Im Schiffchen in Düsseldorf – drei Sterne. Bei Alain Ducasse und Pascal Feraud im Le Jules Verne auf dem Eiffelturm in Paris – ein Stern. Bei Seiji Yamamoto im Ryu Gin in Tokio – drei Sterne. Bei Thomas Martin im Louis C. Jacob in Hamburg – zwei Sterne.

Boris sagt, er habe in jedem Land verschiedene Dinge gelernt. Aufgesogen ist wohl das passendere Verb.

In Belgien geht es am Anfang vor allem darum, sich durchzubeißen. Er kann die Sprache nicht. „Und die Deutschen sind dort nicht so beliebt.“ Wenn im Herbst Trüffelzeit ist, müssen sie manchmal am Tag bis zu 50 Kilo Trüffeln mit Zahnbürsten reinigen. „Und ich habe dort sehr viel über Süßspeisen und Gebäck erfahren.“ Er bleibt ein Jahr.

Als Boris wieder in Hamburg ist, werden die Fachmagazine auf ihn aufmerksam

Im Schiffchen in Düsseldorf durchläuft er anschließend viele Positionen. Er ist zuständig für kalte Vorspeisen (Gardemanger), für die Saucen (Saucier), für das Gemüse (Légumier), für den Fisch (Chef-Poissoner) und als Küchenkonditor (Patissier). Er fängt als Jungkoch (Commis) an und wird dann Chef de Partie für den Bereich als Fischkoch. Er arbeitet neue Mitarbeiter ein und ist nach zwei Jahren quasi stellvertretender Küchenchef (Souschef).

In Paris bei Starkoch Alain Ducasse lernt er vor allem, dass immer das Produkt im Vordergrund steht. „Die besten Tomaten gibt es im August, da muss ich im Mai nicht über Tomaten nachdenken“, habe Ducasse immer gesagt.

In Tokio lernt er völlig neue Produkte kennen. „In Europa nahezu unbekannte Fisch- oder Gemüsearten.“ Dazu ganz besondere Schnitttechniken, um an sich zähe Strukturen in Fleisch, Fisch oder Gemüse so zu bearbeiten, dass die Lebensmittel zu einem Genuss werden. Oder das Konfieren, das langsame Garen von Fleisch in Öl bei niedrigen Temperaturen, damit ein Lammrücken auch rosa bleibt.

Boris, der inzwischen Englisch und Französisch spricht, macht außerdem zahlreiche Weiterbildungen. Über die molekulare Küche, die sich mit den chemischen Prozessen bei der Zubereitung von Speisen befasst. Und bei Alain Ducasse in Paris über das Vakuum-Garen und die mediterrane Küche.

Zurück in Hamburg wird er Küchenchef im Weißen Haus in Neumühlen direkt am Museumshafen, legt seine Küchenmeisterprüfung an der Gewerbeschule 11 in der Angerstraße mit „Gut“ und „Sehr gut“ ab und wird Küchenchef im Chez Fou in Bahrenfeld.

Seine Künste am Herd bleiben jetzt nicht mehr länger unentdeckt. Da ist ein junger, ambitionierter Koch aus Hamburg am Werk, heißt es in den Fachmagazinen, „der sich zuvor in einigen ganz großen Häusern der Welt den handwerklichen Feinschliff geholt hat“. Sie jubeln: „Bei der Praline vom Kalbsbries nebst Kalbskopfterrine und Mixed Pickles spiegelt sich ebenfalls Kaspriks langjährige Erfahrung an der Seite der großen Franzosen wider.“

Sie loben: „Die verrückten Spielereien des Boris Kasprik sind zu jeder Zeit und in jedem Bissen authentisch.“ Sie schwelgen darüber, dass „eher raffinierte Ehrlichkeitsspeisen denn avantgardistische Tellerarchitekturen“ seine Küche verlassen. Und sie sagen ihm eine große Zukunft voraus: „Diesen Namen sollten Sie sich merken: Boris Kasprik. Ich bin mir sicher, dass er bald zu den großen Köchen Deutschlands zählen wird.“ Da ist er gerade 28 Jahre alt und im Grunde atemlos durchs Leben gehetzt.

Im Sommer vor zwei Jahren nimmt sich Boris eine Auszeit. Zwei Monate innehalten. Zur Seite treten, um sich einmal in Ruhe selbst zu betrachten. Wo stehe ich? Und welche Richtung ist jetzt die richtige? „Ich brauchte Zeit, um mir darüber klar zu werden, was ich will – und was nicht.“

Er hat im Grunde zwei Möglichkeiten: Er verlässt die gehobene Gastronomie, geht in die Produktentwicklung und wird ein sehr normaler Angestellter mit regelmäßigen Arbeitszeiten und gutem Einkommen. Und gründet vielleicht eine Familie.

Oder er verwirklicht seinen großen Traum – ein eigenes Restaurant. „Das heißt aber auch, dass ich in den nächsten fünf Jahren keine eigene Familie haben werde.“

Er wägt Chancen und Risiken ab, listet Vor- und Nachteile auf – und hört schließlich doch auf seinen Bauch. Er setzt sich zu Hause hin und schreibt ein „Konzept für die Etablierung einer Restaurant-Gastronomie der Spitzenklasse in Hamburg-Ottensen.“ Er formuliert darin sein Ziel: „Eine Erwähnung in den branchenüblichen Gastronomie-Führern im oberen Teil der Bewertungssysteme, die sogenannte Sterne-Gastronomie.“ Er begründet die Lage: „Ottensen ist zentral, grün, urban, elbnah. Lediglich in angrenzenden Stadtteilen sind mit dem Landhaus Scherrer und dem Le Canard Nouveau Spitzengastronomien vorhanden.“

Er definiert, etwas sperrig, seinen Stil. „Meine Küche basiert auf der traditionellen französischen Küche, offen korrespondierend mit zeitgemäßen Einflüssen experimenteller moderner Küchentechniken sowie Einflüssen der japanischen Küche.“ Er will „die Rückkehr zum traditionellen handwerklich hergestellten Nahrungsmittel oberster Qualität, dem in schlichter Anordnung Essenzen, Saucen, Gemüsekombinationen und geschmackliche Kontrapunkte dienen, seinen Geschmack bestmöglich zu entfalten“. Und er verweist auf ein entsprechendes Netzwerk an Zulieferern von qualitativ hochwertigen Ausgangsprodukten und erstklassigen Weinen, „das in den letzten Jahren von mir aufgebaut wurde“.

Dann investiert er noch einmal 200 Stunden in einen Businessplan. Er sucht einen Standort, macht einen Termin bei der Bank und kratzt 30.000 Euro Eigenkapital zusammen. Schließlich kommt es zum gemeinsamen Termin mit der Bank und der Hamburger Bürgengemeinschaft, die von seinem Konzept überzeugt ist und ihm schließlich eine Bürgschaftsurkunde ausstellt. Damit wird der Kredit bewilligt.

Das Projekt bekommt auch einen Namen, einen Arbeitstitel: Petit Amour. Seine kleine Liebe. Irgendwann wird das dann der richtige Name für sein Restaurant. „Weil es keinen passenderen gibt“, sagt Boris.

Das Problem ist nur: Boris Kasprik hat sich in einen Standort verliebt, der so gar nichts Glänzendes hat. Allerhöchstens so etwas wie verwelkten Charme. Man kann auch sagen, die Räumlichkeiten sind Lichtjahre von den Sternen entfernt. Vor Urzeiten war in diesen engen, historischen Räumen, in denen man ziemlich lange nach einem rechten Winkel suchen muss, einmal eine Schlachterei.

Daraus wurde später das Bierlokal Spritzenklause. Es hat eine 60-jährige, aufregende Kneipengeschichte hinter sich. Der Tresen ist aus Holz, das Astra gab’s aus der Flasche, die Musik kam aus der Jukebox. Aber nichts ist nun mal für die Ewigkeit.

Der neue Vermieter stellt erst einmal fest, dass die Räume einer „Generalsanierung“ bedürfen und schickt der Kneipenwirtin Kerstin Herzog die Kündigung. Sie besteht auf der mit dem Vorvermieter vereinbarten Laufzeit bis Juli 2016. Der Fall landet vor Gericht, die Richter bestätigen die Kündigung, es kommt zur Zwangsräumung. Aus schrill soll also chic werden.

Die Genehmigung für das Restaurant gibt es vom Bezirksamt Altona, Abteilung Verbraucherschutz. Boris legt dort seinen Meisterbrief vor, ein polizeiliches Führungszeugnis und einige Nachweise über Schulungen, die er gemacht hat.

Dann ist der Weg frei für seinen Traum. Boris kann nicht ahnen, dass ihm die kommenden Monate zahlreiche Albträume bescheren werden. Er hat keinen Schimmer, worauf er sich eingelassen hat.

Als sie die Holzvertäfelung und den Fußboden herausreißen, dominiert dahinter und darunter die Farbe „Nikotingelb“. Boris sagt: „Die Dielen konnte man durchtreten.“ Als sie den Tresen herausnehmen, stoßen die Leute von der Abrissfirma darunter auf eine durchnässte Styroporschicht. Sie zeugt vom jahrzehntelangen feuchtfröhlichen Treiben.

Falsche Bestandspläne haben eine neue Statik und folglich auch eine neue Prüfstatik zur Folge. „Allein die Küche mussten wir dreimal umplanen.“

Aus Schallschutzgründen, so die Auflage des Bauamts, muss die Decke abgehängt werden. Aus historischen Gründen, so die Auflage des Denkmalschutzamtes, muss der alte Stuck an der Decke erhalten bleiben. Was nun? Nach zahlreichen Begehungen und Diskussionen einigt man sich darauf, dass der Stukkateur unter der neuen Schallschutzdecke eine neue Stuckverzierung anbringt. Aber der alte Stuck muss zuvor erhalten und ausgebessert werden – nur sehen kann man ihn jetzt nicht mehr.

Um aber zu prüfen, ob die neue Decke die Wohnung über dem Restaurant nun auch vor zu lauten Geräuschen schützt, muss noch ein Schallschutzgutachten erstellt werden. Kosten: 2000 Euro.

Anfang des Jahres kommen die Maurer. Wände werden herausgerissen, Träger eingesetzt, neue Wände gezogen. Dann kommen die Trockenbauer, die Elektriker, der Klempner. Die Fußbodenheizung und die Leitungen werden verlegt. „Sämtliche Leitungen!“, sagt Boris.

Im Keller wird der gesamte Boden herausgenommen und eine Spülstraße eingebaut. Und für 10.000 Euro ein großer Fettabschalter, durch den jetzt sämtliche Flüssigkeiten aus der Küche laufen, um das Fett aus dem Abwasser zu ziehen. Problem: Das Gerät muss über das Dach entlüftet werden. Dafür sind mehr als 50 Meter lange Rohre nötig, die nun durch die Kellerräume und dann außen an der Hauswand nach oben laufen.

Die Feuerwehr besteht auf einer neuen Brandschutz-Luke im Keller. Neu sind im Untergeschoss außerdem ein zweimal zwei Meter großer Kühlraum, ein Raum mit Schreibtisch, Computer und Drucker sowie die Personaltoilette.

Der Eröffnungstermin musste viermal verschoben werden

Vor drei Wochen ist die Küche eingebaut worden. Maßgeschneidert, damit man auf engstem Raum mit Töpfen und Pfannen hantieren kann. Die Kühlschubladen befinden sich direkt unter der langen Herdzeile, ein multifunktionaler Heißluftdämpfer ist ebenso vorhanden wie ein Steinofen mit Extra-Blechformen für die Baguettes, die nun hier gebacken werden.

Auf der ersten Visitenkarte des Petit Amour steht: Eröffnung des Restaurants im Herbst 2014. Boris hat das schnell auf Februar 2015 korrigiert. Dann will er am 15. März eröffnen. Schließlich am 30. Mai. Er verliert schließlich noch eine Woche, weil er nachts auf dem Nachhauseweg zusammengeschlagen wird. Nun wird er sein Restaurant am 9. Juni eröffnen.

Die Zeit drängt. Der Kredit läuft schon seit November. Und Boris fragt sich seitdem ständig, ab wann er sich sein erstes Geschäftsführer-Gehalt zahlen soll. Er hat jetzt die ersten Arbeitsverträge unterschrieben. Er hat Lebensmittel bestellt. Es muss losgehen. Sonst fangen die Kosten an, ihm davonzulaufen.

Es war in den letzten Monaten ein ständiges Auf und Ab. Himmel und Hölle. „Ich habe so oft gedacht, dass ich das Schlimmste jetzt hinter mir habe“, sagt er und lächelt wieder. Er hat manchmal bis drei Uhr nachts noch die letzten E-Mails beantwortet und stand um sieben Uhr morgens wieder im Laden, um den Handwerkern aufzuschließen.

Er hat auch deshalb durchgehalten, weil sich vieles in den letzten Wochen oft angefühlt hat „wie Weihnachten“; als er das erste Mal auf den Lederbänken gesessen hat, die von einem Einrichter aus dem Viertel angefertigt worden sind, das erste Mal die Pläne für die sehr puristische Inneneinrichtung mit den graugrünen Wänden und dem neuen Tresen gesehen hat, das erste Mal seine Visitenkarten in der Hand gehabt hat oder die Voransicht für seine eigene Homepage, als er das erste Mal auf dem frischen Estrich laufen konnte, als aus der Bruchbude langsam ein Restaurant wurde.

Als alles, wofür er so lange gerungen hat, nach und nach sichtbar wurde.

Vergessen ist der Ärger mit der Küchenplanung, dem Denkmalschutzamt oder dem teuren Fettabschalter, der anfangs nicht passte. Groß die Freude, als er das erste Mal die Teller aus Portugal und das Besteck aus Flensburg in den Händen hält. „Ich habe mir schon vor zehn Jahren gesagt: Wenn ich mal ein Restaurant aufmache, dann werde ich dieses Besteck haben.“

Es kann also losgehen. Glaubt man den Restaurant-Kritikern, dann liegt Boris Kaspriks Stärke „in der raffinierten und dabei harmonischen Komposition der einzelnen Zutaten“. Sie haben auch ein Beispiel beschrieben: „Das pochierte Landei mit Champignoncreme und hauchdünnem, knusprigen Iberico-Schinken kommt ohne Gewürze aus – das intensive Aroma der perfekt zubereiteten Komponenten reicht aus, um ein großartiges Geschmackserlebnis daraus zu machen.“

Viele seiner Zutaten kommen von weiter her. Da setzt Boris eher auf Qualität als auf Regionalität. Das Lamm, den Fisch und das Mehl bezieht er direkt aus Frankreich.

Was Restaurant-Kritiker weniger interessiert, ist das wirtschaftliche Risiko, dem sich junge Gastronomen aussetzen. Leute wie Boris, die sich irgendwann entschließen, ihren Traum zu leben, etwas Neues zu wagen, Arbeitsplätze zu schaffen und auch das Gesicht eines Stadtteils zu verändern. Wenn man buchstäblich über den Tellerrand schaut, wird schnell sichtbar, was das Scheitern beinhaltet. Boris sagt: „Finanziell geht es beim Petit Amour um meine Existenz.“ Er hat sich mit 170.000 Euro verschuldet. Die Entscheidung für das eigene Restaurant und gegen die gediegene Festanstellung bedeutet für ihn deshalb auch, „noch mehr erwachsen zu werden“.

Die hochmoderne Spülstraße im Keller schafft 15 Teller in zwei Minuten

Was er außerdem riskiert? „Freunde und Bekannte“, sagt er. „Wenn man fünfmal eingeladen wird und immer wieder absagt, weil etwas dazwischenkommt, gibt es kein sechstes Mal.“

Aus dem überaus talentierten Jungkoch Boris ist jetzt der Restaurantbesitzer geworden. Der Chef. Er hat eine große Verantwortung übernommen. Er ist Arbeitgeber, plant den Einkauf und die Speisen, steht am Herd und ist der Gastgeber. Er kümmert sich um Zahlen und Bilanzen, um Rechnungen und Gehälter, um Sorgen und Nöte seiner Angestellten. Er ist Projektleiter für den Umbau und Personalchef.

Vor fünf Monaten hat er angefangen, sein junges Team zusammenzustellen. Fünf Leute hatte er schon im Februar zusammen. Matthias wird sein Restaurantleiter. Lisa ist für vier Monate für den Service zuständig, dann muss er sie ersetzen, weil sie auf die Hotelfachschule geht. Christian wird sein stellvertretender Küchenchef. Marie Joe und Christopher sind seine Köche. Ein oder zwei Spüler wird er erst einmal auf 450-Euro-Basis einstellen. „Wenn es läuft, kriegen sie eine Festanstellung“, sagt Boris. Er sagt auch: „Wenn es nötig ist, stelle ich mich selbst an die Spülstraße.“ In der hochmodernen Anlage im Keller können 15 Teller in zwei Minuten gesäubert werden. Messer, Gabel und Löffel brauchen 360 Sekunden. „Das Besteck wird aber jedes Mal nach dem Spülen noch nachpoliert“, sagt Boris.

Sein Plan: Er will jeden Morgen im Büro arbeiten und am späten Vormittag mit den Köchen zusammen anfangen. Es soll zwei Menüs geben, vier und acht Gänge, sowie eine übersichtliche Karte mit À-la-carte-Gerichten. Die Preise für die Menüs betragen 49 und 89 Euro, Vorspeisen liegen bei 15 Euro, Hauptgerichte bei 35 Euro. Das Petit Amour, das nach der Komplettverwandlung schlicht und gleichzeitig gemütlich daherkommt, bietet an zwölf Tischen, die teilweise zusammenlegbar sind, Platz für knapp 30 Gäste. Draußen soll eine kleine Sommerterrasse mit 14 bis 18 Plätzen entstehen.

Vor zwei Wochen hat Boris eigenhändig mit dem Heißluftreiniger draußen die Fassade gereinigt. Jeder Stein erstrahlt nun in neuem Glanz. Boris sagt, er wird seine kleine Liebe morgens auf- und abends wieder abschließen. Wie lange soll das gehen? „Die ersten Jahre auf jeden Fall.“

Sonntag und Montag ist Ruhetag. „Das ist für das Personal sehr attraktiv, wenn man am Wochenende immer einen Tag freihat.“ Sonntag sei außerdem „Tatort“-Tag, sagt Boris, da hätten die Leute keine große Lust auf ein Drei-Stunden-Menü.

Es sei denn, eine große Messe wie die Internorga ist in Hamburg. Dann wird sein Restaurant auch am Sonntag geöffnet sein. Weil es ja sein kann, dass das Petit Amour vielen Menschen irgendwann nicht nur einen Umweg wert ist. Sondern sogar eine Reise.

Petit Amour Spritzenpl. 11

www.petitamour-hh.com