Hamburg. Unser Genussexperte Gerd Rindchen besucht das Petit Amour in Ottensen – und ist vom Grande Menü mehr als begeistert.

Das Petit Amour am Spritzenplatz hat einen Stern. Das ist nicht ganz gerecht. Denn im Gegensatz zu manch anderem Restaurant dieser Kategorie kocht Mitinhaber und Küchenchef Boris Kasprik mit seinem Team auf einem ganz anderen Stern – zumindest auf dem wesentlich seltener anzutreffenden Planet Zweistern.

Mit seiner grenzenlosen Produktverliebtheit, der im Stahlbad französischer, deutscher und japanischer Drei­sternetempel gereiften hohen Kunstfertigkeit und seiner auf klassischer französischer Hochküche beruhenden stilsicheren Kreativität spielt der junge Herr Kasprik definitiv in der Liga eines Christoph Rüffer (Haerlin) oder eines Matteo Ferrantino (Bianc).

Sternerestaurant in Hamburg: Petit Amour in Ottensen

Ein Abend mit Wein zu zweit in dem nett eingerichteten und sehr gemütlichen Restaurant in Ottensen, das über staunenswerte zwölf (!) Tische verfügt, kostet so viel wie ein ordentlicher Geschirrspüler, ist aber eine schöne Erinnerung fürs Leben – und wer braucht schon noch mehr Haustechnik?

Das Grande Menü für 169 Euro (was anderes kann man eh nicht bestellen) umfasst offiziell fünf Gänge, wartet aber drum herum mit einem solchen Feuerwerk von Aromen, Düften, Texturen und Geschmäckern auf, dass man am Ende des Abends mit mindestens 20 unterschiedlichen Genusseindrücken nach Haus marschiert, von denen nicht wenige die Erhebung des Küchenchefs in den Adelsstand rechtfertigen würden.

Gerd Rindchen liebt gutes Essen und kennt sich aus mit guten Weinen.
Gerd Rindchen liebt gutes Essen und kennt sich aus mit guten Weinen. © Bertold Fabricius

Das aktuelle Menü startet mit einem knusprigen, hauchdünnen Hörnchen von der Agria-Kartoffel, gefüllt mit Imperial Kaviar und Crème fraîche. Dazu ein Kartoffeltatar mit Wachtelei und ein würziges Ziegenkäse-Karoffel-Praliné.

Unter dem verharmlosenden Begriff „Amuse Bouche von Bretonischem Hummer und Sellerie“ naht dann schon eines der Highlights des Abends, ein Aufgalopp feinster Spezereien von besagtem Krustentier: Essenz vom Hummer mit Gelenk, Corail (Hummerkaviar) und Sellerieschaum, Weißwurst vom Hummer mit Laugengebäck, Sellerieperle gefüllt mit Saft an Hummerbeinchen, Wantan vom Hummerkopf mit Sellerie-Kimchi, flambiertes Tatar vom Hummerschwanz mit Hummeröl, -Eis, -Gelee und –Esspapier, dazu Sellerie als Sud, roh mariniert und als Chip: umwerfend.

Sternekoch Boris Kasprik ist Saucen-Spezialist

Nun startet das eigentliche Menü: Die Essenz von Coquillages mit bretonischen Muscheln, Lauchcreme und Meeresfenchel brilliert mit pochierten Austern, Austernkraut, gratinierter Schwertmuschel und einer aromatischen Austernperle und zeigt das große Können des Kochs bei der Bereitung von Saucen, Suds und hoch konzentrierten, aber immer den Eigengeschmack der Zutaten in den Vordergrund stellenden Essenzen.

Der nun folgende zart geräucherte Ora-King-Lachs (Kasprik: „Das ist bei Lachs das, was Wagyu beim Rind ist“) wird umrahmt von feiner, klassischer Beurre Blanc, Brunnenkressepüree, Püree von Gelbe Beten und einem à part gereichten Rote-Bete-Sud. Sehr fein und doch gleichzeitig ausdrucksstark komponiert.

Im Hauptgang geht es meinen Namensvettern an den Kragen: Das Limousin-Kalb kommt als schmuckes Duo daher. Zum einen gibt’s klassisches Filet, das durch geröstetes, konzentriertes Kalbspulver genau den herrlichen Hauch Röstaromen erhält, den man sonst bei schonend bereitetem Filet gern mal vermisst.

Zum anderen ein wunderbar aromensatt geschmortes Ragout vom Kalbsbäckchen, das durch Gelee und Chip von der Amalfizitrone eine perfekt kontrastierende Frische erhält und durch Poveraden, kleine, feine Artischocken in zwei Texturen, elegant unterfangen wird.

Petit Amour: Dessert mit Limonentouch

Den aufpreispflichtigen Käsegang überspringen wir mal und wenden uns spornstreichs dem Pres Dessert zu: Das ist eine herrliche Erfrischung mit Melone und Verbene (Eisenkraut) als Sud, Sorbet und Granité mit feinem Limonentouch. Das eigentliche Dessert ist eine imposante, nachgebaute Williams Christbirne mit flüssigem Birnenkern, Piemonteser Haselnussbisquit und Salzkaramell-Eis. Ein letzter, genialer Paukenschlag des begnadeten Kochkünstlers, bevor der Abend mit Café Gourmand und einem beglückenden Reigen kleiner, feiner Petits Fours ausklingt.

Für Weinbeschreibungen oder Empfehlungen reicht der Platz nicht, nur so viel: Sie können sich in die Hand des fröhlichen, jungen Serviceteams begeben, das keinerlei Schwellenangst aufkommen lässt und eine perfekt harmonierende Weinbegleitung (98 Euro p. P.) mit spannenden Überraschungen, auf die man sonst nie käme, zusammengestellt hat.

Eines ist gewiss: Wenn ich mal wieder meinen Sparstrumpf auswringe, weil mir nach kompromissloser, beglückender Spitzenküche in Hamburg ist, werden meine Schritte mich erneut ins pulsierende Ottensen lenken.

Petit Amour, Spritzenplatz 11, Tel. 30 74 65 56 Mi–Sa 18–23 Uhr