Hamburg. Seit 1989 gehört das Nil zu Hamburgs kulinarischen Konstanten – Zeit für eine (Wieder-) Entdeckung durch Genuss-Experte Gerd Rindchen.

Als das Nil seine Pforten am Neuen Pferdemarkt öffnete, war es von Beginn an einer der hipsten und angesagtesten Läden der Stadt – wobei man das Wort „hip“ damals noch eher mit Babynahrung als mit trendigen Bartträgern assoziierte. Nun ist das aber auch schon ein paar Jährchen her, im Eröffnungsjahr 1989 gab es noch eine DDR, eine Mauer und eine D-Mark.

Während aber viele andere Läden in einem solchen Zeitraum Staub ansetzen, aus der Mode geraten oder irgendwann satt und zufrieden ihr stetes Ringen um den Gast allmählich ausklingen lassen, wirkt das Nil frisch und innovativ wie am ersten Tag.

Restaurants Hamburg: Das Nil, ein moderner Klassiker

Das liegt einerseits an der zeitlosen, behaglich-modernen Einrichtung und den wirklich schönen Räumlichkeiten im ehemaligen Schuhsalon mit den großen Schaufenstern, wo man auf drei Ebenen speist. Zum anderen auch daran, dass der Laden schon seinerzeit viele Trends vorweggenommen hat, die heute in der kreativen Gastronomie „state of the art“ sind: Gekocht wird ein innovativer Mix aus norddeutsch-bodenständig, flankiert mit mediterranen Elementen, eingekauft wird viel regional und saisonal, gern auch alte, wertvolle Gemüse- und Obstsorten oder alte, nicht überzüchtete Tierrassen.

Eine große Rolle spielt die Nachhaltigkeit, bei der Tierverarbeitung ist hier die „nose to tail“-Philosophie, also die Verwertung des ganzen Geschöpfes, schon längst gelebte Realität.

Tier des Monats ist im Oktober das Bentheimer Landschwein

Da die Tiere des Monats Oktober (die Karte wechselt monatlich) die possierlichen Bunten Bentheimer Landschweine sind, kann man aktuell von einem solchen nicht nur das atemberaubend gute, saftig-aromatische und ziemlich riesige 450-g-Kotelett mit Spitzkohl und herbstlich-gemütlichem Ofenkürbis genießen (32 Euro), sondern auch eine großartige, sinnensatte hausgemachte Blutwurst, die sich mit Apfel, Blutwurst und Röstzwiebeln zum harmonischen Gesamtkunstwerk vereint (21 Euro).

Ein schöner Einstieg in den Abend sind aktuell der Ofenkürbis mit Linsen, Shitake und Austernpilzen, an dem auch Veganer und Veganerinnen ihre Freude haben (14,50 Euro), wie auch das sehr erfrischend konzipierte Seeteufel-Carpaccio mit Tomate, Koriander-Erdnusspesto und Joghurt (6 Euro). Und von der eleganten Weißen Bohnensuppe mit Schnittlauchöl (8,50 Euro), auf die ich ebenfalls mein begehrliches Auge gerichtet hatte, gab’s netterweise eine Espressoportion als Amuse-Gueule vorweg.

Das Signature Dish gibt es im Nil schon für moderate 49 Euro

Nostalgisch wird’s im Nil, wenn man das Signature Dish des Hauses, das fünfgängige Menü bestellt: Das startet aktuell sehr animierend mit Bunte Bete und Ziegenkäse vom Hof Bachenbruch, Miso-Mayonnaise, gerösteter Nori-Alge und Speck, setzt sich fort mit köstlichen Strozzapreti (eine italienische Nudelspezialität, deren Name übersetzt „Priesterwürger“ lautet) mit gebratenen Pilzen und Steinpilzcrumble, offenbart im dritten Gang die eingangs erwähnte Bohnensuppe, bevor als strahlender Hauptdarsteller ein à point bereitetes Lammkarree mit geschmortem Lattich, gequetschten Kartoffeln und Wacholderjoghurt erscheint.

Der Ausklang erfolgt wohlig-gemütlich mit einem Apfelschlupfer an Zimteis und Crème patissière. Und was ist daran nostalgisch? Der Preis: Moderate 49 Euro werden aufgerufen, aber nur am Wochenende – wer sich das Vergnügen von Sonntag bis Donnerstag gönnt, ist mit 39 Euro dabei. Dafür gibt’s woanders vielleicht ein Filetsteak mit Ofenkartoffel und Salat.

Weinberatung von der Chefin: ein steter Quell der Freude

Ein steter Quell der Freude ist auch die Weinberatung durch die Chefin und Sommelière Elisabeth Füngers, gemeinsam mit Mitinhaber Steffen Hellmann schon von Tag eins an mit an Bord. Mit nimmermüdem Elan spürt sie, auch in den entlegeneren Ecken der Weinwelt, wunderbare Gewächse auf, die dann im Restaurant oft überraschend preisgünstig angeboten werden.

Eine echte Occasion ist beispielsweise der rote 2018er La Source, Saint Jean de Barroux (38 Euro). Der biodynamische und unfiltrierte Ventoux von dem „echt süßen“ (O-Ton E. Füngers) Winzer Philippe Gimel fegt animierend, raumgreifend und strahlend über den Gaumen und ist zu den Fleisch- oder Pilzgerichten ein echt guter Kamerad. Spannend ist auch der 2018er Kékfrankos (Blaufränkisch) der ungarischen Shootingstars Heimann & Fiai.

Freunde weißer Gewächse werden erfreut feststellen, dass sie für den lebhaften und saftigen Riesling „Buntsandstein“ des renommierten VDP-Weingutes Bergdolt man gerade 23 Euro berappen müssen, sich am würzigen Grünen Ortsveltliner Strass von Birgit Eichinger für 32 Euro ergötzen können oder den verlässlichen Sancerre von Gerard Millet für 36 Euro bekommen. So ist das Nil auch 32 Jahre nach seiner Eröffnung das, was es stets war: ein in sich stimmiges, kulinarisch-bacchantisches Gesamtkunstwerk.