Hamburg. Geheimtipp: Wo kantonesische Küche so gut schmeckt wie fast nirgends sonst in Hamburg, ist Genussexperte Gerd Rindchen nicht weit.

Die Gegend um die Hamburger Kirchenallee herum, wo mit Schauspielhaus und Ohnsorg-Theater gleich zwei renommierte Bühnen geneigter Besucher harren, ist mit glamourösen Restaurants nicht überreich gesegnet: Schifferbörse und Bodega Nagel offerieren rustikal Hamburgisches à la Labskaus, Matjes und Pannfisch, im Paulaner im Reichshof gibt es Bier, Schweinsbraten, Haxn und Knödel, das Blockhouse bietet seine bewährten Steaks und ein seit fast 50 Jahren ansässiger Chinese, der mit seiner Vielfalt von Vorspeisen wirbt, offerierte bei unseren drei bisherigen Besuchen eher geschmackliche Einfalt. Kulinarischer Platzhirsch ist also das jüngst wiedereröffnete Stadtrestaurant im Reichshof, wo die junge Crew um Mario Regensburg eine überaus gekonnte regionale Frischeküche zelebriert.

Aber das ist ein eigenes Thema. Heute geht’s um einen spannenden, von mir hoch geschätzten Geheimtipp, der ganz unauffällig direkt ums Eck in der Ernst-Merck-Straße 10 lauert: Das Herr He bietet in schlichtem Ambiente eine rundum erfreuliche, aromensatte und vielfältige kantonesische Frischeküche, die zum Besten zählt, was man aus dem Reich der Mitte in der Hansestadt genießen kann – zu moderaten Preisen.

Restaurants Hamburg: Herr He überzeugt schon mit der Vorspeise

Ängstliche Besucher werden in Zeiten von Covid beruhigt hier einkehren können: Vor dem Eingang hängt ein Absperrseil, Test, Impfbestätigung oder Genesenenausweis werden gewissenhaft mit dem Personalausweis abgeglichen, und erst wer seine Hände gründlich unter den strengen Blicken der vorn postierten Zerberussin desinfiziert hat, darf am ebenfalls akribisch gesäuberten Tisch Platz nehmen – wo er dann noch ein ellenlanges Kontaktformular ausfüllen darf.

Erinnert ein wenig an den Grenzübergang Berlin-Friedrichstraße bis 1989, ist aber im Wieler/Lauterbach’schen Sinne vorbildlich. Sind diese Hürden überwunden, geht es nicht etwa spornstreichs in den Hades, sondern, ganz im Gegenteil, in ein kleines kulinarisches Paradies.

Bei der reichhaltigen und kreativen Vorspeisenauswahl mit Wan Tans, gebackenen oder gedämpften Reisteigrollen oder Pastetchen ist alles, egal ob Rote Reisteigröllchen mit knusprigen Garnelen (6,50 Euro), gebackene Taroteigpastetchen mit Hühnerfleisch (5,20 Euro) oder Wan Tan mit Bambus und Garnelen (5,30 Euro), individuell abgeschmeckt. Ganz besonders liebe ich hier die knusprig-herzhafte Frühlingsrolle mit Spitzkohl und Schweinehack (5,20 Euro). Eine schöne Art hier zu dinieren ist es, sich mit mehreren Mitessern eine Riesenauswahl diverser Vorspeisen kommen zu lassen und genussvoll zu teilen.

Seafood, eine Stärke im Herr He – ob Tintenfisch oder Garnele

Zu den großen Stärken des Herrn He zählen auch Seafood-Gerichte: Der gebratene Tintenfisch mit Paprika und Zwiebeln in schwarzer Bohnen-Soße (15,90 Euro) ist butterzart, Zwiebeln und Paprika sind knackig-frisch angebraten, die Soße sorgt für den tiefgründigen aromatischen Drive.

Grandios die scharfen gebratenen Garnelen in Schale mit chinesischem Pfeffer und Knoblauch (18,50 Euro) – von der erstklassigen Konsistenz des Grundprodukts her tippe ich mal auf die guten argentinischen Wildwasser-Garnelen, diese kommen perfekt saftig angebraten mit super-würzigem, aber nicht zu scharfem Pfeffer-Knoblauch-Knusper und ruhen wohlig in einem knusprigen, ebenfalls essbaren Reisteig-Netz.

Die klassische Pekingente ist eine Bank – Schwächen gibt es nur beim Wein

Vorzüglich auch die klassisch-chinesischen Hauptgerichte wie die gebratenen Brechbohnen mit würzigem Schweinehack (14,60 Euro), der geschmorte und gebackene Schweinebauch mit Auberginen (15,60 Euro) oder die gebratenen Zuckerbohnen mit Cha Siu, Garnele und Cashewnüssen (16,90 Euro). Eine sichere Bank ist hier die klassische Pekingente (27 Euro für eine, 52 Euro für zwei Personen). Dazu gesellt sich ein sehr preiswürdiger Mittagstisch. In der Regel ein sehr gutes Zeichen: Als Gast ist man meist zumindest zu zwei Dritteln von asiatischen Mitbürgern umgeben. Auch in der Take-away-Abteilung herrscht ein reges Kommen und Gehen meist asiatischer Kunden.

Die Weinauswahl ist eher mau, unter den drei Weißweinen ragt mit dem Achkarrer Grauburgunder (Glas 5,40 Euro, Flasche 16,80 Euro) ein recht gut trinkbarer Vertreter noch einigermaßen hervor. Die Betreiber sind sich dieses Mankos offenbar bewusst, offerieren sie doch auf der Getränkekarte ausdrücklich die Möglichkeit, sich gegen ein Korkgeld von 15 Euro pro Flasche die eigenen Lieblingstropfen mit ins Lokal zu schleppen. Der Plan steht also: Der nächste Besuch im Herr He findet statt mit einem vielschichtigen, mineralischen Riesling und einem tiefgründigem Chianti Classico unterm Arm.